Der Hotelname als Verpflichtung

Wo Jucker draufsteht, ist Jucker drin: Karin und Thomas Jucker haben in Tägerwilen, hart an der Grenze zu Konstanz, ein aussergewöhnliches Boutique­Hotel geschaffen. Das Thurgauer Hotelier paar packt jede sich bietende Chance, noch besser zu werden.

Einfachheit ist der Mut zum Wesentlichen» steht auf der Speisekarte unter Lammme­daillons, Rindsfilet, Bodensee­fischen, Poké­Bowl und war­ mem Schoggikuchen. «Den Satz kann man durchaus als Leitmotiv für unser Haus verstehen», sagt Thomas Jucker. Er stapelt ein wenig tief. Das Restaurant Linde und das Boutique­Hotel Jucker’s neigen zwar nicht zur Opulenz, bieten aber alles andere als einfache Kost. Die Hotelzimmer und Suiten? Geschmack­ und liebevoll einge­richtet, in erdigen Farbtönen, mit allem, was der Gast braucht, von der geräumigen Duschkabine bis zum Boxspringbett. Das Restaurant? Stilvoll, mit Eichenboden, elegantem Mobiliar und dezenter Dekora­tion. Auf dem Teller? Juckers «Natural­Gourmet­Küche» ist weit über dem Stan­dard, den man in Tägerwilen erwartet. Und im Erdgeschoss weht gar der Duft der grossen weiten Welt – in der Cigar­Lounge, in der Bar Gin Chill und in der Event­Loca­tion.


Wie also kommt Tägerwilen, einen Stein­wurf entfernt von der deutschen Grenze, zu einem aufregenden Drei­Sterne­Supe­rior­Hotel? Dank Karin (53) und Thomas Jucker (49).


Als sie sich kennenlernten, war sie Vize­direktorin, er Küchenchef im Feldbach im nahen Steckborn. 2001 eilten sie seinen Eltern zur Hilfe, die in zweiter Generation den traditionellen Gasthof Linde mit eher rustikalen Hotelzimmern führten. 2007 übernahm das Powerpaar, baute 2009 und 2014 um.


Hotelzimmer im Anbau

Die Linde im Riegelhaus aus dem 17. Jahr­hundert blieb Restaurant, in einem styli­schen Anbau entstand das Boutique­Hotel Jucker’s mit 13 Hotelzimmern und zwei Rooftop­Suiten.

Reicht das? «Ja», betont Karin Jucker. «Die Grösse ist gut, wir sind nicht in der Stadt, sondern in einer ländlichen Region.» Das Hotelierduo folgt weniger gescheiten Strategien oder hochtrabenden Leitbildern als seiner Intuition. «Wo Jucker draufsteht, muss auch Jucker drin sein», sagt Karin. «Das ist eine enorme Verpflichtung. Es hängt viel von uns zwei ab.» Jeder müsse sich blind auf den Partner verlassen. «We ­der mein Mann noch ich könnten den Betrieb allein führen», sagt die Hotelière, die im benachbarten Kreuzlingen auf­gewachsen ist. Zurück zu den Strategien: Sie hätten oft auf den ersten Blick unpo­puläre Entscheide getroffen, etwa als im Restaurant die Vitrine mit der alten Fahne des Musikvereins Tägerwilen durch ein Weinregal ersetzt wurde. Oder als sie von einem Tag auf den andern ein Rauchverbot verhängten. «Aber die Schritte haben sich immer als richtig erwiesen», bilanziert Karin. Sie hält ein waches Auge auf die Kosten. 15 Mitarbeitende sind an Bord, einige in Teilzeit.

In der reinen Hotellehre, die klar definierte Kundensegmente für unabdingbar hält, wird es das Jucker’s nie unter die Parade­beispiele schaffen. Was Karin mit einer «multifunktionalen Geschichte» meint, bedeutet die Vermischung von Business­gästen, Fans von Thomas’ Können am Herd und Touristen, darunter viele Velofahrer. «Wir brauchen alle, um zu leben», betont Chef Jucker, der seine Ideen oft beim Schwitzen in der Sauna generiert. «Es kam auch schon vor, dass ich nach eineinhalb statt drei Stunden heimfuhr, um die Gedanken niederzuschreiben und meiner Frau davon zu erzählen.»


Die eigenen Bedürfnisse als Massstab

Im Prinzip nehmen die beiden innovativen Betriebsinhaber die eigenen Bedürfnisse zum Massstab: «Wir möchten unser Haus so gestalten, dass wir hier selber gerne als Gäste absteigen würden», sagt Thomas Jucker. Und man hat im Jucker’s einiges gewagt, um sich von den Mitbewerbern abzuheben.













Drei Stossrichtungen:


1. Private Spa: originelle Finanzierung

Eine kleine, feine Wellnesszone, inklusive Sichtschutz nach aussen und oben, liegt hinter dem Hotelgebäude: Das Garden Spa bietet einen Hot Pot in einem Holzzuber und ein Saunahäuschen. Wer ein Zimmer im Jucker’s gebucht hat, darf mindestens eine Stunde saunieren und sprudeln. Sehr gut belegt sei die Oase, sagt Karin Jucker. Um das Private Spa finanzieren zu können, bemühte man nicht die Banken, sondern versuchte es mit einem Crowd­Founding. Etwa 30 000 Franken flossen aufs Konto und wurden mit Gutscheinen abgegolten. Die Idee stiess in der Branche auf Interesse, Karin stellte sie an einer Veranstaltung von Thurgau Tourismus vor.


2. Lounge und Bar für alle

Das Parterre des Hotelgebäudes ist Ban­kettsaal, Seminarraum, Lounge und Bar und kann nach Belieben unterteilt werden. Bei unserm Besuch sind zwei weibliche Businessgäste über ihre Laptops gebeugt. Einen Barkeeper beschäftigen die Juckers nicht, geordert wird über Telefon oder Kamera.

100 verschiede Sorten stehen in der Bar Gin Chill zur Auswahl. «Gin», sagt Karin, «wird von beiden Geschlechtern gern ge trunken.» Sie hat einiges über die Spirituo se gelernt. «Mich reizt es, nun auch noch verschie­dene Rumvarianten anzubieten.»


3. Zweites Standbein dank Pasta

An der Tägerwiler Hauptstrasse hat Tho­mas Jucker im November das Pastawerk eröffnet, einen Laden mit hausgemachten Teigwaren und südländischen Spezialitä­ten. «Das Projekt wurde während Corona geboren», erzählt der Initiant. «Wir stellten ein Catering auf die Beine, das so gut lief, dass wir auf den Geschmack kamen. Der Shop mit Pastaverkauf und ­produktion ist nun unser zweites Standbein.» Während die Preise in der Linde für die Region eher hoch sind, gibts im Pastawerk einen Teller Nudeln oder Ravioli mit Salat für zwölf Franken. «Damit schaffen wir einen guten Ausgleich», so Hausherr Jucker.


Nähe zu Konstanz als Vorteil

Auf die Preise im Thurgauer Familienbe­trieb hat die Nachbarschaft zu Deutsch­ land kaum Einfluss. Im Gegenteil: «Wir begrüssen im Restaurant viele Gäste aus Konstanz», sagt Karin Jucker. Und in der sommerlichen Hochsaison seien die Raten drüben in den Hotels fast gleich.

Die Bahnfahrt von Tägerwilen Dorf in die Konstanzer Innenstadt dauert sieben Minuten, Einkaufstouristen schlagen das Basislager im Jucker’s auf. Im Winter lockt das Hotel mit dem Package «Shopping Queen».

In ihrem überschaubaren Betrieb können sich die Juckers intensiv um den Gast küm­mern, Mietvelos vermitteln, den Picknick­korb zur Grillstelle im Wald bringen. Thomas kennt als passionierter Pedaleur die schönsten Routen am See und im Thur­gau.

Das Jucker’s ist weitherum das einzige Haus, das der Kooperation der Best 3 Star Hotels of Switzerland angehört. «Wir sind noch zu wenig lange dabei, um ein Fazit zu ziehen, was uns die Mitgliedschaft bringt», räumt Karin Jucker ein. «Aber wir fühlen uns gut aufgehoben, schätzen den Aus­tausch und spüren, dass die andern Hote­liers in der Vereinigung aus ähnlichem Holz geschnitzt sind wie wir.»

Sagts und eilt zum Telefon, das heftig klingelt, denn die Chefin ist nicht nur Managerin und Gastgeberin, sondern auch Rezeptionistin und Hausdame. Womit wir doch nochmals beim Leitspruch wären: Zumindest die Strukturen im Jucker’s sind denkbar einfach.


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