Wie aus einem hoffnungslosen Fall ein Tophotel wurde

Kaum jemand gab dem Vitznauerhof mit seiner grossen Geschichte noch eine Chance. Dann kam vor fünf Jahren Raphael Herzog. Mit einem überraschenden Konzept, einer Menge Optimismus und einem tollen Team verwandelte er das historische Schlösschen in ein blühendes Hotel mit mediterranem Flair.

An traumhafter Lage direkt am Ufer des Vierwaldstättersees stehe ein Geisterhaus, hiess es vor 18 Jahren. Ein Hotel ursprünglich, aber kaputt, verlassen und leer. Also fuhren wir hin – und rieben uns ungläubig die Augen. Das Hoch-wasser hatte Hotel und Park tatsächlich weitgehend zerstört, ein chaotisches Bild. Übrig geblieben war als einziger Bewohner der frühere Hoteldirektor Kurt Balmer, der sich mit einem Anflug von Galgenhumor selbst als Hausgeist bezeichnete. Die Arabella-Sheraton-Kette, zu der das Haus damals gehörte, mochte nicht mehr investieren. Sie verkaufte es an die Pensionskasse Pro in Schwyz, die keine Ahnung hatte, was sie mit einem Hotel anfangen sollte. Der Jammer war gross. Schliesslich hatten im geschichtsträchtigen Schlösschen Berühmtheiten wie Richard Strauss, Hermann Hesse oder General Guisan den für damalige Zeiten grossen Luxus eines First-Class-Hotels genossen.


Die Suche nach dem Erfolg

Vier Jahre nach der Hochwasserkatastrophe dann die Überraschung: Der Vitznauerhof wurde restauriert und renoviert und im Frühling 2010 wiedereröffnet. Als Vitalresort mit fünf Sternen, einer medizinischen Abteilung, einem schönen Spa und einem Gourmetrestaurant. Das Konzept war ein gigantischer Leer-lauf. Kaum jemand verirrte sich zum Wellnessen nach Vitznau. Das Hotel war meist so leer wie nach dem Hochwasser; einmal waren wir zwei Tage lang die einzigen Gäste, was allen einigermassen peinlich war.


Gut ein Jahr nach der Wiedereröffnung gab der Direktor den Konkurs bekannt und verliess das Hotel zügig. Ein Troubleshooter wurde geholt, das Projekt Vitalresort beerdigt. Dann wurde die Betriebsgesellschaft Vitznauerhof gegründet, präsidiert von Daniel Horat, Besitzer mehrerer Restaurants und einer Weinhandlung in der Zentralschweiz. Als sich der Vitznauerhof mit dem Waldhotel Davos zusammentat, flammte leise Hoffnung auf. Das Haus in Davos wurde fortan im Sommer geschlossen, das ganze Team zog dann nach Vitznau und im Winter wieder zurück ins Prättigau. Eine Lösung auf Dauer konnte es nicht sein.


Raphael Herzog setzte im Vitznauerhof sein Hotelkonzept erfolgreich um.












Der unerwartete Durchbruch

Der grosse, kaum noch für möglich gehaltene Durchbruch kam dann vor fünf Jahren. Raphael Herzog erhielt von Daniel Horat und dem Verwaltungsrat der Betriebsgesellschaft das Angebot zur Führung des Vitznauerhofs und sagte zu. Aus dem Himmelfahrts-kommando, das viele in diesem Job sahen, wurde eine schier unglaubliche Erfolgsstory.

«Letzthin habe ich ein Foto aus meiner Zeit in der Hotelfachschule gefunden, das mich mit ein paar Schulkollegen beim Essen im damals neu eröffneten Vitznauerhof zeigt», sagt Herzog. Wow, was für ein grandioses Hotel, dachte er sich. Später war er dann oft zu Besuch beim befreundeten Urs Langenegger im gerade glamourös renovierten Parkhotel Vitznau – und sah den Vitznauerhof tief im Schatten des benachbarten neuen Luxuspalastes. «Mittlerweile hat sich das aber wieder geändert», lacht er.


Das berühmte Ibiza-Feeling

Als er im Vitznauerhof begann, hatte er einen Plan für drei bis fünf Jahre. Dass das einträgliche Hochzeitsgeschäft weitergeführt werden musste, war klar. Ebenso klar war, dass das Hotel folglich nicht immer eine Oase der Ruhe sein würde. Ein Ibiza-Vibe würde doch grossartig an das romantische Ufer mit seinen uralten Büschen und Bäumen passen, dachte sich Herzog. Ibiza-Vibe heisst für ihn nicht bloss Party, sondern es muss Platz haben für alles. Für Ruhe, Yoga, Retreats, wilde Feste und gutes Essen. Im Vitznauerhof, sagte er sich, soll man einfach das Leben geniessen können. Wie auf Ibiza eben. Die Balearen-insel, die er mehrmals im Jahr besucht, ist seine Traumdestination. «Weil es ein genialer Mix ist aus Bohemian-Lifestyle, Riviera-Feeling, Natur, Feiern, gesundem Essen, Nachhaltigkeit, Innovation und mediterranem Flair.»


Auf Ibiza berät und unterstützt Herzog seit vielen Jahren die Besitzerfamilie eines Luxushotels. Die Luxushotellerie hat für ihn überhaupt eine magische An ziehungskraft. Doch obwohl er früher nur in solchen Häusern gearbeitet hat, fiel ihm die Umstellung auf ein Vier-Sterne-Superior-Hotel leicht. «Nur wenn wir wieder einmal ganz gross auftrumpfen wollen, erkennen wir, dass wir gar nicht die Manpower dazu haben», sagt er. Sein Hang zum Luxus wird bisweilen freilich auch im Vitznauerhof sichtbar. Die Gäste schätzen das durchaus. Viele seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben auch schon in Luxushotels Erfahrungen gesammelt.

Die grossen Vorbilder

Raphael Herzogs Plan ging zu 100 Prozent auf. Seit er vor fünf Jahren begann, jagt der Vitznauerhof von einem Rekord zum andern. Glamping, U-Boot, Elektroboot, Wassersport total oder das Oldtimer-Autorallye sind nur einige der Highlights auch in diesem Sommer. Ein neues Pop-up-Restaurant wird für Überraschungen sorgen. Und dann gibt es natürlich Abschiedsevents mit hochkarätigen Gästen für Jeroen Achtien, der sich in seinem Gourmetrestaurant Sens zwei Michelin-Sterne erkocht hat und Ende August in seine niederländische Heimat zurückkehrt. Interimistisch übernehmen dann der Souschef und der Restaurantmanager bis Ende Saison das Restaurant unter dem Label Sens After Hours. Fürs kommen-de Jahr ist ein Konzeptwechsel vorgesehen.

Wenn im Vitznauerhof bisweilen die Erde bebt, werden unweigerlich Erinnerungen an das Giardino Ascona wach. An dieses – mittlerweile wieder erblüh-te – Kulthotel, wo der vor sechs Jahren verstorbene Paradiesvogel Hans C. Leu in den 90er-Jahren die Luxushotellerie revolutionierte. Leu ist denn auch ein grosses Vorbild von Raphael Herzog. «Es hat mich immer fasziniert, wie er starre Strukturen aufbrach und Neues kreierte, wie er seinen Gästen ein unver-gessliches Ferienerlebnis bieten konnte.» Aber nicht nur den Zampano selbst, auch dessen Ex-Frau Anne-liese Leu hat er als eindrückliche Hotelière kennen und schätzen gelernt. Bleibenden Eindruck hat ihm überdies Ernst «Aschi» Wyrsch gemacht, mit dem er im Steigenberger Belvédère in Davos zusammengearbeitet hat.


Die Erfolgsrezepte

Es ist denn kaum ein Zufall, dass Raphael Herzog seinen Vorbildern in vieler Hinsicht ähnlich ist. Dass Kreativität und Innovation zu seinen grossen Stärken zählen, dass er die Gabe hat, auch dann kühlen Kopf zu bewahren, wenns rundherum lichterloh brennt. Wie seine Vorbilder ist er stets offen für neue Ideen – und bereit zu lernen. Er beobachtet andere Branchen und versucht, das Beste davon in die Hotellerie zu übertragen. Wie seinerzeit Leu, der manches dem damals höchst populären Club Med abgeschaut und das Giardino in eine Art Theater verwandelt hatte. Und er passt sich immer den regionalen Gegebenheiten an. «So entstehen Verbindungen und Netzwerke, so lernt man am meisten», weiss er. Erfahrungen sammeln und diese in Erfolg ummünzen war ihm immer wichtiger als sein Gehalt. Das kommt dann von selbst.


Das Team als Familie

Nicht zuletzt freut es Herzog, wenn neue und andere Ideen auch in seinem Team, das er als Familie sieht, geboren werden. Den jungen, aufgestellten und her-vorragend ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern, die er zusammengeschweisst hat, schreibt Herzog denn auch einen grossen Teil des Erfolgs des Vitznauerhofs zu. Umgekehrt ist es kaum erstaunlich, dass seine Leute voll des Lobes sind über ihren Chef. Er sei immer da und habe für alle, egal auf welcher Hierarchiestufe, ein offenes Ohr, heisst es im Vitznauerhof.


Im Unterschied zu allen andern Saisonhotels weit und breit ist das Hotel auch heuer wieder bis Silvester geöffnet. Dann wird das alte Jahr mit einer rauschen-den Party, diesmal unter dem Motto Studio 54, ver-abschiedet und das neue eingeläutet. «Natürlich läuft es im kühleren Herbst nicht ganz so gut wie im Sommer», räumt Herzog ein, «aber wir alle sind felsenfest davon überzeugt, dass wir auch das schaffen werden.» Die ersten der eingefleischten Fans haben jedenfalls bereits wieder für die nächste Silvesterfete gebucht.

«Ich habe noch viele Ideen»

Dass sich ein Hotel stets weiterentwickeln muss, weiss Herzog nur zu gut. Auch und erst recht dann, wenn man auf der Erfolgswelle reitet. Dass ihm der Verwal-tungsrat praktisch freie Hand lässt, dass ihm keiner dreinredet, bezeichnet er als grosses Glück. Nachdem sein Konzept für die ersten fünf Jahre schon fast sen-sationell gut aufgegangen ist, plant er jetzt die nächs-ten Jahre. Man kennt die neusten Trends und sucht sich das Beste heraus, um das historische Hotel fit zu machen für die Zukunft. Im Moment passiere ja sehr viel, und das in einem enormen Tempo, weiss Herzog. Ein grosser Schritt nach vorn wäre ein Anbau mit zusätzlichen Zimmern, aber auch die Vergrösserung des Spa und ein Konferenzbereich. «Ich habe viele Ideen.»


Und was erhofft er sich, mit noch nicht 40 Jahren, sonst noch so vom Leben? Die Antwort ist einfach. Er möchte immer Spass und Freude haben an dem, was er gerade macht. Begleitet von lieben Menschen.


Raphael Herzog

Raphael Herzog absolvierte eine Lehre als Hotelkaufmann HGT mit Berufsmatura im Hotel Schützen in Rheinfelden. Danach arbeitete er sich im Schützen und der dazugehörenden Privatklinik ins Marketing ein. Nach der Rekrutenschule erfüllte er sich einen Bubentraum und tingelte mit dem Zirkus Monti zwei Jahre lang durchs Land. Anschliessend besuchte er die Hotelfachschule Luzern und arbeitete in Kapstadt und Los Angeles, ehe er in die Schweiz zurückkehrte. Wichtigste Etappen waren das Grandhotel Belvédère in Davos, wo er während des WEF innert fünf Tagen über 200 grosse Events organisierte und es als enorm prägend empfand, «Unmögliches möglich zu machen». Im Arosa Kulm war er als Vizedirektor für Sales und Marketing verantwortlich. Schliesslich eröffnete er als Direktor das Luxushotel The Capra in Saas Fee und ist seit mittlerweile fünf Jahren Direktor im Vitznauerhof. Raphael Herzog ist auch Stiftungsrat der Pensionskasse Gastro Social, Vize-Verwaltungsrat der Hotel Montana AG, Mitglied des Zentralvorstands der Hotel & Gastro Union sowie Lehrer überbetriebliche Kurse für KV, Branche Hotel-Gastro-Tourismus.

Der Vitznauerhof – eine bewegte Geschichte

1870 Das Grundstück des späteren Hotels Vitznauerhof dient als Werft. Dort wurden die Raddampfer «Germania» und «Italia» zusammengebaut und zu Wasser gelassen.


1896 Die Hotelierfamilie Franz Michel kauft 1896 die Grund-stücke vor und hinter dem Bach und beginnt mit der Planung und dem Bau des Hotels.


1901 Im Mai wird das Seehotel Vitznauerhof als First Class Hotel eröffnet. Es ist im Jugendstil nach den Plänen des Mann-heimer Architekten Kühn erbaut. Das Hotel bietet sämtlichen Luxus, der damals von einem First Class Hotel erwartet wurde: Anschluss an das schweizerische Telefonnetz, elektrisches Licht, eine Niederdruck-Dampfheizung sowie eine schöne Park-und Gartenanlage.


1911 Die Hotelierfamilie Bon übernimmt das Hotel. Bei Umbauarbeiten muss der morsche Dachturm entfernt werden. Es beginnt die Epoche, in der internationales Publikum mit Rang und Namen nach Vitznau kommt. Das Seehotel Vitznauer-hof beherbergte viele berühmte Gäste wie Hermann Hesse, Richard Strauss, General Henri Guisan und Paul Klee oder Fürstin Gina von Liechteinstein, die zeitweise eine ganze Etage für sich beanspruchte.


1924 Robert Keller, der den grössten Teil seiner beruflichen Laufbahn in den Hotels der Familie Bon verbracht hatte, kauft den Vitznauerhof, wo er seit 1919 Direktor ist. Mit der Familie Keller durchläuft das Hotel drei Generationen. Der Zeitgeist der 50er-Jahre, die Entdeckung neuer Materialien wie Linoleum und Pavatex sowie wirtschaftliche Schwankungen lassen viele der wunderschönen Zeichen des Jugendstils verloren gehen.


1996 Im November übernimmt die Refugium Vitznauerhof AG das Seehotel. Sie möchte verloren gegangenes wieder zum Leben erwecken. Der erneute Umbau beginnt, der Turm wird wieder aufgesetzt.


1997 Das Hotel feiert die Wiedereröffnung.


2002 Die Arabella Sheraton Gruppe übernimmt das Hotel.


2005 Im August erlebt die Region eine Hochwasserkatastrophe, die das Haus und den Park weitgehend zerstört. Das Hotel wird geschlossen.


2006/07 Im Dezember geht das Hotel an die Pensionskasse Pro in Schwyz und wird zu einem Vitalresort umgebaut.


2009 Bei der Renovation und Erweiterung wird viel Wert auf den Erhalt der historischen Bausubstanz gelegt.


2010 Im Mai wird das Hotel Vitznauerhof Vitalresort mit einer medizinischen Abteilung eröffnet.


2011 Im August geht dass Hotel Konkurs, der Direktor verlässt das Haus persofort. Er wird ersetzt durch einen Delegierten der Besitzerschaft, das Projekt Vitalresort wird gestoppt.


2015 Der Vitznauerhof wird als 4-Stern-Superior-Hotel mit Sommerbetrieb weitergeführt.


2018 Raphael Herzog übernimmt das Hotel und führt es zu ungeahnten Erfolgen.

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