Hotel-Betten-Check in einem Schlafwagen der SBB
Der Schlafkomfort- und Hygieneexperte Jens Rosenbaum testete im Auftrag des Fachmagazins «Hotelier» die Betten in einem Schlafwagen der SBB. Er fuhr im Januar 2022 im Nightjet von Hannover nach Zürich – im Gepäck hatte er sein mobiles Labor. Rosenbaum bezahlte für sein Schlaf-Ticket 209 Euro. Wie sauber sind die Schlafwagenabteile? Wie komfortabel sind die Betten in den rollenden Hotels?
Das Thema Schlafwagen macht schon länger wieder Furore in den Medien. Es klingt auch verlockend, auf intelligente Weise die Zeit der Nacht zu nutzen, um grosse Distanzen zu überwinden. Und Nachhaltigkeit wie auch Achtsamkeit sind aktuell starke Treiber. Nachhaltig reisen, Zeit für sich haben und in pandemischen Zeiten anderen auch noch aus dem Weg gehen können, denn so ein Schlafwagenabteil kann man ganz für sich allein haben. Dabei ist es gar nicht lange her, dass die Deutsche Bahn (DB) glaubte, mit Nachtzügen weder Geschäft machen noch Fahrgäste halten zu können, und trennte sich daher 2016 von diesen.
Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) hingegen dachten anders, übernahmen die nicht mehr benötigten Waggons der DB, ergänzten damit den schon vorhandenen Bestand und setzten diese Flotte seitdem fleissig auf immer mehr Strecken ein. Auch die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) greifen seitdem wieder darauf zurück, nachdem sie 2009 schon mal aus dem Nachtzuggeschäft vorrübergehend ausgestiegen waren, und lassen diese, unter ihrem Namen, aber von der ÖBB betrieben, auf attraktiven Strecken rollen.
Ein Hotel auf Rädern?
Aber handelt es sich nun um ein Hotel auf Rädern? Oder ist das Bett nur Nebensache und die Beförderung die Kernleistung?
Die Seiten der SBB im Internet lassen eine Interpretation in Richtung fahrbares Hotel zu, da dort schon sehr deutlich der Komfort der Beherbergung für eine Nacht herausgestrichen wird: «Nach einer komfortablen Nacht im Nightjet kommen Sie ausgeschlafen mitten in … an.» Und auch das Wort «Deluxe-Abteil» wird aktiv genutzt. Aber kann hier ein Schlafwagen mit dem Komfort eines Hotels mithalten? Wie viel Komfort braucht es und wieviel Kompromissfähigkeit wird abverlangt? Das wollte der «Hotelier» herausfinden und hat die Reise mit der SBB via ÖBB auf sich genommen, wohl wissend, dass die Messlatte der Kriterien hier sicherlich anders anzusetzen ist.
Buchung & Check-in
Die Buchung erfolgte in einem Reisebüro. Das Angebot für die höchste Kategorie, das Deluxe-Abteil, bietet gemäss Internet eigenes Bad mit Waschbecken, Dusche und WC, mit frischer Wäsche bezogene Betten, Welcome-Paket, umfangreiches Frühstück, Steckdose, Duschgel und Handtücher. Es wird in vielen Beiträgen hervorgehoben, dass im Schlafwagen Betten zum Einsatz kommen, im Gegensatz zu Pritschen in den Liegewagen, aber wie hier Bett definiert wird, ist nicht zu erfahren. Die online einsehbaren Bilder vermitteln ein tadelloses Ambiente. Im Zug wird noch nach Wünschen aus der Bordküche gefragt, Inhalt und Uhrzeit des Frühstücks vereinbart sowie mit 8 Uhr die gewünschte Weckzeit, eine Stunde vor dem Erreichen des Ziels.
Ausstattung des Schlafabteils
Bei dem hier eingesetzten Waggon handelte es sich um einen doppelstöckigen Wagen, wobei die Abteile längs der Fahrtrichtung übereinander liegen und über einige Stufen zu erreichen sind. Öffnet man die Türe, so betritt man mittig ein 3,5 Meter langes und 1,2 bis 1,8 Meter tiefes Abteil mit einer mittleren Stehhöhe von zirka 185 Zentimetern. Hinter einer Falttüre befindet sich auf der linken Seite die Badnische. Auf der rechten Seite des Abteils und quer zur Fahrtrichtung erstreckt sich dann die Liegefläche im Format 80 Zentimeter breit, 180 Zentimeter lang und ausgestattet mit einer 10 Zentimeter hohen Schaumauflage – Matratze möchte man dazu nicht sagen – samt Matratzenschutzbezug. Da sich über dieser Liegefläche noch eine zweite ausklappen lässt, liegt das Kopfende der unteren, bedingt durch einen Überbau, in einer 31 Zentimeter tiefen und nur 37 Zentimeter hohen Nische. Dabei unterscheidet sich die Ausführung der Etagenbetten in diesem Abteil von jenen, die im Internet gezeigt werden, wo kein solcher Überbau zu sehen ist.
Die Schlafstätte selbst war mit zwei Kissen im Format 40 × 60 Zentimeter und einer Füllung aus Polyesterfasern ausgestattet. Die Einziehdecke, ebenfalls mit Polyesterfüllung, ist sogar noch eine Reminiszenz an vergangene Tage und trägt das Logo der Deutschen Bahn. Ebendiese war mit der Bettwäsche falsch herum, also auf links bezogen. Unter der Matratze befindet sich eine Art Lattenrost, der aber aufgrund mangelndem Federweg keinerlei Federungskomfort bietet. Pritsche würde es treffender beschreiben. Das ist nicht nur alles etwas dürftig, sondern sieht auch so gar nicht nach den Bildern aus, die im Internet zu sehen sind. Auch der Abgleich mit der beworbenen Ausstattung ernüchtert. Es sieht weder wie frisch bezogene Wäsche aus, noch sind Handtücher anzutreffen. Mit «Deluxe» kann also kaum die Ausstattung gemeint sein, sondern wohl eher die fünf Quadratmeter abgeschirmter Raum zur eigenen Nutzung. Auch sehen Abteil und Ausstattung leider sehr mitgenommen aus, mit deutlichen Gebrauchsspuren. Gemäss vorhandenen Quellen wurden diese Doppelstockwagen 1995 von den ÖBB eingeführt, gefühlt seitdem auch unverändert im Einsatz.
Wie ist der Schlafkomfort?
Bei einem Hotel auf Rädern gewisse Kompromisse schliessen zu müssen, leuchtet ein, aber 180 Zentimeter Bettlänge sind eine Zumutung. Eingedenk der Tatsache, dass Personen ab einer Körperlänge von 180 Zentimetern ein Bett in Überlänge, also länger als 200 Zentimetern für optimalen Schlafkomfort benötigen, ist die hier vorhandene Bettlänge für viele Reisegäste nicht ausreichend. Wer dennoch darin seinen Platz gefunden hat, macht unweigerlich Bekanntschaft mit dem Überbau am Kopfende. Dieser ist zwar schon extra gepolstert, damit die Stösse mit dem Kopf nicht ganz so hart ausfallen, aber man stösst sich unweigerlich. Denn eine Nacht reicht nicht aus, um das notwendige Ausweichmanöver zur Vermeidung von Kopfstössen in den Automatismus der Bewegungsabläufe zu überführen. Aufgrund der fehlenden Unterfederung und bei nur zehn Zentimeter Schaumauflage – diese zudem lange über ihrem Zenit – ist von Komfort keine Spur. Wer sich damit dennoch hat arrangieren können, der merkt dann, wie sinnvoll die Ohrstöpsel im Welcome-Paket sind. Denn bei einer gemessenen Geräuschkulisse von 74 Dezibel und mehr, in Spitzen auch länger über 90, braucht es die Ohrstöpsel aus dem Welcome-Paket, so man sich mit deren Gebrauch anfreunden kann. Ja, Schlafen geht, aber in Summe eher nur Notschlaf. Gemessen an der geweckten Erwartungshaltung leider unbefriedigend.
Und wie ist die Hygiene?
Der optische Eindruck, Teppich mit Jahresringen (da freut man sich über die Slipper aus dem Welcome-Paket), Schmutz in den Sesseln, starke Gebrauchsspuren und ein nicht wirklich sauberes Bad und WC (nicht Gegenstand des Tests, aber gleichwohl geprüft), setzt sich beim Bett fort. Flecken auf Kissen und Matratze, Schuhsohlenabdruck auf dem Matratzenschutz und ein schlecht bezogenes Bett wirken nicht wirklich beruhigend. Allerdings sind die gemessenen Hygienewerte beim Bett dann nicht so schlimm wie befürchtet. Hier wird tatsächlich das Versprechen «frische Wäsche» gehalten. Ausreisser sind lediglich die Kissen. Aber mit einem Hygieneindex von unter 2000 KbE (koloniebildende Einheit) schafft es die SBB sogar in die Hygieneklasse 2, was wirklich gut ist. Doch was nützt ein guter Laborwert, wenn der Gast nur auf Basis visueller Eindrücke sein Urteil fällen kann. Schliesslich schläft das Auge mit.
Check-out
Der angebotene Weck-Service um 8 Uhr durch den Zugbegleiter funktioniert nicht ganz, da hier die Rechnung ohne die Grenzbeamten gemacht wurde. Da wird bereits um 7.25 Uhr höflich, aber energisch an der Türe geklopft, um sich die Papiere zeigen zu lassen. Das geht in Ordnung, aber da der Zug ja nicht zum ersten Mal in dieser Richtung unterwegs ist, wäre es für den erstmals Reisenden hilfreich, über jenes Zeitfenster informiert zu werden, wo mit der Grenzkontrolle zu rechnen ist. Das Frühstück kommt wie bestellt pünktlich um 8 Uhr, und auch der Zug läuft fast auf die Minute genau im Bahnhof Zürich ein.
Das sagt das Hotel
Hier wurde bei den SBB nachgefragt, weil die getestete Zugverbindung auf den Seiten der SBB angeboten wird und die Züge aussen den Schriftzug der SBB tragen. Wer seinen Namen auf ein Produkt schreibt, sollte auch für den Inhalt verantwortlich sein, zumindest Auskunft geben können. Das konnten die SBB auch, allerdings erst nach Rücksprache mit den ÖBB. So sind tatsächlich verschiedene Versionen von Schlafwagen respektive Nachtzügen unterwegs. Die SBB haben dabei aber keinen Einfluss auf die Komforteigenschaft und Ausstattungsmerkmale. Auf die Frage, was aus Sicht der SBB bei den Schlafwagen im Vordergrund stehen sollte, wird in der Antwort schon festgestellt, dass aus Kundensicht Komfort und Ausstattung relevant seien und dazu unter anderem auch ein bequemes und ausreichend grosses Bett gehöre, ebenso wie eine Schallisolierung. Es wird aber auch der Hinweis gegeben, dass «der Betrieb von Schlafwagen immer eine Suche nach dem bestmöglichen Kompromiss aus Kundenwusch und dem Machbaren auf der Schiene» sei.
Fazit
Mit Neugierde und grossem Wohlwollen wurde diese Reise angetreten. Denn die Idee der Nachtzüge ist gut, grün und verlockend. Auch wurde mit Kompromissen gerechnet, alles andere wäre unfair. Aber Beschreibungen wie «Deluxe-Abteil» und «komfortable Nacht» sowie die gezeigten Bilder im Internet schaffen nun mal eine Erwartungshaltung. In der hier gebotenen Ausführung muss man von dem Gedanken eines Hotels auf Rädern aber Abstand nehmen. Weder handelt es sich um eine komfortable Nacht, noch erreicht man wirklich ausgeschlafen sein Ziel. Das ist mehr als schade, denn es geht sicher auch anders, was die Entwicklung der neuen Generation von Nightjets vermuten lässt. Natürlich muss bei diesem Test die Frage beleuchtet werden, ob die Erwartungen zu hoch angesetzt waren. Doch wer mit seinem eigenen Marketing einen wahrnehmbaren Unterschied zwischen Angebot und tatsächlicher Leistung produziert, setzt sich damit auch der Gefahr aus, ein definiertes Mass an Enttäuschung zu schaffen.
Empfehlung
Eine gute Idee bleibt gut, doch das Marketing darf nicht mehr versprechen, als letztlich gehalten werden kann. So sollte dem Gast nicht verschwiegen werden, mit welcher Version eines Nachtzuges er seine Reise antritt und welche Unterschiede vielleicht im Komfort zu erwarten sind. Überprüft werden sollten auf jeden Fall die Bettmasse wie auch die Bettausstattung. Im Kern handelt es sich um eine Beförderung, wobei der Gast die Wahl hat, den Komfort seiner Beförderung zu wählen. Solange die dafür gebotenen Liegemöglichkeiten aber keinen bettgleichen Komfort bieten, sollte man diese auch nicht so verkaufen. Es bleibt ja der Vorteil, das Ziel im Vergleich deutlich entspannter und nachhaltiger zu erreichen als nach kraftraubender Autofahrt oder stressigem Flug mit entsprechend negativem ökologischem Fussabdruck. Das Thema Schlafwagen hat genug Begeisterungspotenzial, es braucht keine Übertreibungen.