«Ich bin an Misserfolgen und Enttäuschungen gewachsen»


Heinz Julen

Das Zermatter Urgestein Heinz Julen ist ein Universalgenie von internationaler Strahlkraft, eine ungemein charismatische Persönlichkeit, die man erfinden müsste, wenn es sie nicht gäbe. Zusammen mit drei Schwestern wuchs er im Bergdorf Findeln oberhalb von Zermatt auf. Die Mitarbeit

im Restaurant der Eltern war selbstverständlich. Er genoss Freiheiten, die ihn beflügelten. Er fuhr Traktor, schraubte Kühlschränke auseinander, entdeckte die Malerei und die Kunst, baute Häuser und Hotels, wurde berühmt – und blieb stets am Boden. Sein grandioses Backstage Hotel mitten in Zermatt ist ein einzigartiges Kunstwerk voller Überraschungen. Und schon plant er Neues. Das nächste Hotel soll das exakte Gegenstück zum «Backstage» werden.


Sie sind Hotelier, Künstler, Architekt, Freigeist und noch einiges mehr. Als was sehen Sie sich selbst?

In der Öffentlichkeit werde ich wohl am ehesten als Künstler wahrgenommen oder bezeichnet. Würde ich das selbst von mir sagen, könnte es als Selbstüberschätzung wahrgenommen werden. So halte ich mich an das Zitat von Joseph Beuys: «Jeder Mensch ist ein Künstler.»


Was fasziniert Sie an Hotels?

Ein Hotel ist die ideale Plattform, um ein Gesamt-kunstwerk zu schaffen. Etwas, das so gut wie alle Sinne des Menschen anspricht.


Mit Ihrem Backstage Hotel schreiben Sie eine tolle Erfolgsgeschichte.

Das Backstage Hotel ist 2009 aus dem «Vernissage» heraus entstanden, diesem kulturellen Zentrum, das in eine Kunstgalerie, ein Kino und Theater, eine Bar oder ein Auditorium verwandelt werden kann. Dort habe ich vor 26 Jahren meine Bautätigkeit in Zermatt begonnen. Zum 20-Jahr-Jubiläum des «Vernissage» habe ich dann ein Boutiquehotel darauf gesetzt. Das Projekt ist über die Jahre hinweg entstanden, ähnlich einer Skulptur.


Was sind die Hauptgründe für den Erfolg?

Ein Grund dafür ist sicher, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom unkonventionellen Konzept begeistert sind, diese Begeisterung weitergeben und sich inspirieren lassen. Ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass wir einen Michelin-Stern und die meisten GaultMillau-Punkte in Zermatt haben. Letztlich ver-danken wir den Erfolg aber unseren Gästen, die uns bei jedem Besuch unterstützen und uns die Möglichkeit geben, immer weiterzugehen.


Wie wichtig ist für Sie die Gastronomie im Hotel?

Wichtiger, als ich anfangs gedacht habe. Sie ist zwar aufwändig, aber es macht Spass, wenn ich abends mei-nen kleinen Rundgang mache und die Gäste strahlen sehe. Und der Gast verbringt auch eine gewisse Zeit im Hotel, was sonst vielleicht nicht der Fall wäre. Besonders bewusst wurde mir das, als wir während der Pandemie im «Vernissage» den Dinners Club mit Musik, Film und Gastronomie eröffnet haben.


Wie viele Hotels tragen Ihre Handschrift?

In Zermatt sind es vier bis fünf, je nach Sichtweise.


Dazu kommen Restaurants, Bars, Residenzen und vieles mehr. In wie vielen Ländern sind Sie mit Ihrer Kunst eigentlich präsent?

Eigene Kunst habe ich über die Kunsträume Zermatt in sehr viele Länder dieser Welt schicken oder gar selbst aufhängen oder installieren dürfen.


Weshalb haben Sie seinerzeit das Kunststudium abgebrochen?

Es zog mich damals zurück ins Bergatelier in Findeln, in die Einsamkeit meiner Gedanken und Arbeiten.


Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg?

Schwer zu sagen. Ich glaube, dass ich vor allem an mei-nen Misserfolgen und Enttäuschungen gewachsen bin.


Wie wichtig ist für Sie der christliche Glaube?

Bestimmt wichtiger als der Erfolg. Weil er persönlich nachhaltiger ist und unermesslichen inneren Reichtum bringen kann.


Stimmt es, dass Sie nie etwas allein wegen des Geldes gemacht haben?

Meine Projekte sind von Visionen getrieben, bestimmt nicht vom Geld. Erstaunlicherweise hat sich das bis heute ausbezahlt, auch wenn die Wege oft anders verliefen, als ich das erwartet oder erhofft hatte. Allein des Geldes wegen ging ich gestern immerhin zur Bank, um etwas Bargeld abzuheben.


Welches vollendete Projekt hat Ihnen am meisten Freude bereitet?

Meine Projekte sind eigentlich nie richtig vollendet, Sie leben den Bedürfnissen der Zeit und Gesellschaft nach.


Vor vier Jahren haben Sie an der Zermatter Bahnhofstrasse auf 160 Quadratmetern den Shop Zermatt Selection Kunst eröffnet, wo Sie Kunst, Designs und Souvenirs voller Zermatter Emotionen präsentieren. Wie läufts?

Zermatt Selection ist trotz der schwierigen Startphase inmitten der Pandemie gut angelaufen. An Toplage ist es ein ganz wichtiges Fenster für unsere Betriebe, meine Designmöbel und Lampen. Vor allem ist es auch Schauplatz der Kunsträume Zermatt. So wurden dort im vorletzten Winter Originale von Peter Doig aus-gestellt, die ab Oktober im Musée d’Orsay in Paris zu sehen sein werden. Die Zermatter Bahnhofstrasse wird so entscheidend aufgewertet. Seit der Eröffnung verkaufen wir erstaunlicherweise viel mehr über unsere Website von Zermatt Selection. Das liegt vielleicht daran, dass ich den Laden so konzipiert habe, dass er physisch auch erlebbar wird, wenn er geschlossen ist.


Sie planen ein neues Hotel als Gegenstück zum «Backstage». Wann soll es entstehen und wie soll es aussehen?

Es wäre ein Projekt des Herzens in einem ganz ruhigen Ortsteil von Zermatt. In Winkelmatten, wo ich neben einer alten Kapelle eine kleine Bauparzelle besitze. Es ist vom Baureglement her gesehen bewilligungstauglich und wäre ein Gegenstück zu meinem eher lebhaften Backstage Hotel. Das Projekt soll ganz auf Ruhe und Spiritualität ausgerichtet sein. Vielleicht ist es gar ein leiser Hilferuf angesichts der grossen inter-nationalen Hotelketten, die vor den Toren Zermatts stehen. Zu meiner Verwunderung werden diesen von der Gemeinde die Türen eher aufgemacht als meinem kleinen und doch so grossen Projekt.


Gibt es einen Traum, den Sie sich noch erfüllen möchten?

Träume, zu denen ich alle einladen könnte, reichen von Winkelmatten bis hinunter nach Stalden. Alle anderen Träume bleiben eingeschlossen in meinem Herzen.

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