«Ich fokussiere aufs Positive und Besondere»

«Ich fokussiere aufs Positive und Besondere»

Sarah Gini sieht die Aufgabe als Hoteltesterin für das «Andrin Willi Hotelrating Schweiz» als Traumjob. Für den «Hotelier» berichtet sie über ihre Vorgehensweise und was ihr beim Testen wichtig ist. Und eines ist für sie ganz klar: Fallen stellt sie den Hotels bei ihren Besuchen nicht. 

«Hast du Interesse, beim Andrin-Willi-Hotelrating mitzuarbeiten?» Was für eine Frage! Aber sicher. «Klar», antwortete ich, ohne zu zögern. Schliesslich bekam ich Anfang Jahr plötzlich die Chance, meine berufliche Leidenschaft für die Hotellerie mit der ­privaten Freude am Tourismus zu verbinden. Ein Mega-Moment. Vorfreude pur. 

Falls Sie sich jetzt fragen, wie man sich über diesen Job so freuen kann. Nun, ich glaube, wenn Sie zu Ende lesen, verstehen Sie mich. Ich habe Publizistik studiert und bin seit über 15 Jahren im Hotel- und Tourismusmarketing tätig – sowohl auf Unternehmens- als auch auf Agenturseite. Heute bin ich Mitinhaberin von ­Trimarca, der ältesten Werbeagentur Graubündens. Mit unserem 15-köpfigen Team entwickeln wir ­Marken und Kampagnen – oft für Hotellerie und ­Tourismus. Klar, dass ich diese Erfahrung auch in meine Hoteltests einfliessen lasse.

Vor dem ersten Hotelbesuch habe ich mir viele Ge­­danken gemacht. Wie gehe ich das an? Wie kann ich objektiv bleiben? Wie viel Persönliches darf mit einfliessen? Die Bewertung erfolgt nach klaren Kriterien, dennoch setzt das Rating bewusst auf die professionelle und irgendwo auch persönlich gefärbte Sicht. Wer mich kennt, der weiss: Ich bin kein Tüpflischisser. 

Viel mehr interessiert mich die emotionale Welt. Wie fühle ich mich im Hotel? Wie wird mit den Mitar­beitenden umgegangen? Denn aus meiner Erfahrung weiss ich, dass die menschlichen Faktoren weit höher zu gewichten sind als das Staubkörnchen an der Türschwelle. 

 


Vom Empfinden und dem grossen Ganzen
Aber klar. Ich halte mich an die Kriterien des Andrin-Willi-Hotelratings und achte ganz besonders auf die Guest Journey. Bestimmt kommt hier meine Brille als Marken- und Kommunikationsberaterin zum Tragen. Ich sehe nicht nur das einzelne Detail, sondern auch wie sich alle Erlebnisse zu einem stimmigen Gesamtbild fügen – oder eben nicht. 

Mein Job beginnt mit der Anfrage beim Hotel, ob Interesse an einer Teilnahme am Rating besteht – ganz offiziell und überhaupt nicht undercover. Beim Hotel löst die Anfrage einen internen Prozess aus. Bereits da kann ich grosse Unterschiede erkennen: von der perfekten Abwicklung bis hin zur völligen Unerreichbarkeit über verschiedene Kanäle. 

Im Hotel selbst bin ich dann mit geschärften Sinnen unterwegs. Ich achte auf Stimmlagen, auf «the first impression», die Qualität des Frühstücks, die Art der Begrüssung. All das formt das Erlebnis, das Gäste mit nach Hause nehmen. Mal gibt’s Collagen im Heiss­getränk und eine Selektion selbstgemachter Protein­shakes. Als ich meine fünfjährige Tochter zum Test eines Familienhotels mitnehme, verteilt sie die Höchst­punktzahl ans Hallenbad. Und, wie könnte es anders sein, an die Pancakes. 

Fallen stellen, das Housekeeping mit kleinen Tricks prüfen? Das ist nicht mein Stil. Es soll Testpersonen geben, die gezielt Bereiche verschmutzen oder kontrollieren, wie schnell Abfalleimer geleert werden. Mein Ansatz ist ein anderer. Ich fokussiere aufs Positive, suche das Herausragende und Besondere: Dinge, die ich begeistert weitererzähle. So ticke ich auch in meinem Berufsalltag, in meinen Kundenbeziehungen. Und falls offensichtlich etwas schiefläuft, weise ich darauf hin und gebe dem Hotel die Chance, es zu ­korrigieren.

Das Gespräch mit den General Managern
Zu meinen Besuchen gehören immer ein Hotel­rundgang und ein Gespräch mit der Direktion. Dabei entstehen spannende Begegnungen. Wer eines der besten Hotels der Schweiz führt, hat Ambition und Persönlichkeit. Da treffe ich Visionäre, auf grossartige Gastgeber. Manchmal auf Exzentriker – aber sicher nie auf den Durchschnitt. Beim Kennenlernen spüre ich schnell, worauf Wert gelegt wird, welche Kultur im Team vorherrscht und welche Ziele fürs Haus ­vorhanden sind. Diese Begegnungen sind für mich das absolute Highlight. 

Weibliche Perspektive
Ob Frauen anders testen als Männer, kann ich nicht beurteilen. Wir im Team gehen alle nach denselben Kriterien vor und bemühen uns um Objektivität. Selbstverständlich hat jeder und jede persönliche ­Vorlieben, die irgendwo mitschwingen. Ein paar geschlechtstypische Klischees erfülle ich mit Sicherheit. Bei der Weinkarte vertraue ich lieber unseren Experten im Team – und die Zigarrenlounge wird bei mir nie ein Höhepunkt sein. Dafür habe ich eine Schwäche für Kooperationen und gute Brands bei Amenities oder im Spa. Als Markenexpertin achte ich besonders auf Storytelling, aufs Branding und die ­kleinen, überraschenden Details. 

Vertrauen und Transparenz
Für mich ist das Ganze ein Traumjob und ein Privileg, durch das ich einen anderen Einblick in die besten Hotels der Schweiz bekomme. Um den ambitionierten Hotelteams und Leistungen gerecht zu werden, braucht es grosse Aufmerksamkeit. Dies ist mir be­­wusst und ich weiss um die Verantwortung, die ich trage. Denn schliesslich zeugt es von grosser Trans­parenz, wenn ein Hotel mir die Gelegenheit gibt, die Testaufgabe wahrzunehmen. Ich lege deshalb grossen Wert auf die Vor- und Nachbereitung der Besuche. Wohl darum fühlt sich dieser Job nicht nur wie Ferien an. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau.


Sarah Gini ist Mitinhaberin der Trimarca AG, ­Agentur für Strategie & Design und Hotel-Testerin im Team des Andrin Willi Hotelrating Schweiz

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Ein Hoteltest ist weit mehr als eine Momentaufnahme oder ein persönlicher Eindruck. Je nach Zielsetzung – Klassifizierung, Qualitätsentwicklung oder betriebswirtschaftliche Entscheidungsgrundlage, braucht er Substanz, klare Kriterien und echte Aussagekraft!

Im Qualitätsmanagement etwa wirkt ein Test direkt auf das betriebswirtschaftliche Ergebnis ein. Erfolgreiche Betriebe planen ihre gastorientierten Abläufe bewusst und genau dafür ist ein präzises Stärken- und Schwächenprofil unerlässlich. Es bildet den ersten Schritt zu verbindlichen Qualitätsstandards und dient schlussendlich als praxisnahes Qualitäts-Handbuch für den Betrieb.

Auch im Marketing und in der Mitbewerberbeobachtung zählt Klarheit. Ein transparentes Profil macht den Vergleich mit der Konkurrenz erst möglich und bildet die Basis für strategische Entscheidungen und echte Wettbewerbsvorteile.

Und nicht zuletzt liefert ein HotelMystery Check im Kontext eines Immobilienerwerbs harte Fakten. Fakten, die bei Verhandlungen mit entscheidend sein können.

Gerade deshalb wirkt der starke Fokus auf persönliche Eindrücke und individuelle Sichtweisen im erwähnten Bericht etwas unausgewogen. Die Aussage, man gehe „nach denselben Kriterien vor und bemühe sich um Objektivität“, klingt nach einer eierlegenden Wollmilchsau, gut gemeint, aber wenig greifbar. Objektivität entsteht nicht aus Bemühung, sondern aus klaren Standards, messbaren Beobachtungen und konkreten Empfehlungen.

Ein wirkungsvoller Hoteltest braucht mehr als schöne Eindrücke: Er muss Stärken benennen, Schwächen klar ausleuchten und vor allem Hinweise geben, wie man besser werden kann – fachlich fundiert, erfahrungsbasiert und ohne Besserwisserei.

Nur dann entsteht echter Mehrwert für das Haus und seine Teams. Aber dies nur nebenbei.

Burkhard Bruning

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