Riccardo Giacometti führte Luxushäuser in Asien und Europa, erlebte bewegte Zeiten in Zürich und Flims und ist heute eine Kapazität auf den Gebieten Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Die Liebe zur Spitzenhotellerie aber ist geblieben.
Vor vier Jahren mussten Sie als General Manager des «Atlantis by Giardino» das Luxushotel schliessen. Was macht das mit einem?
Riccardo Giacometti: Ich wusste, dass ich das Hotel für den Verkauf vorbereiten sollte. Die Schliessung fiel mir dennoch emotional schwer. Ich erinnere mich an die vielen Gespräche mit den Mitarbeitern, die plötzlich vor einer unsicheren Zukunft standen. Besonders während Corona waren diese Gespräche sehr belastend. Es ging mir nicht nur um die Zukunft des Hotels, sondern vor allem um die Menschen, die dort arbeiteten.
Sie wurden dann noch kurz ins «Waldhaus Flims» geholt. Was haben Sie dort vorgefunden, gab es überhaupt noch etwas zu retten?
Nachdem ich das Atlantis-Projekt abgeschlossen hatte, gründete ich meine eigene Firma und fokussierte mich auf Digitalisierung und Beratung. Als ich ins «Waldhaus Flims» kam, war es in einer wirklich schwierigen Lage. Die Situation war das Ergebnis von Missverständnissen und falschen Erwartungen seitens der Besitzer, die den Schweizer Markt nicht wirklich verstanden hatten. Ich erinnere mich, dass ich 2017 schon einmal ein Angebot für das «Waldhaus» abgelehnt hatte, weil ich kein gutes Gefühl betreffend die Besitzerschaft hatte. Als ich dann 2021 als Berater zurückkam, bestätigte sich mein Eindruck: Es fehlte an einer klaren Vision und einem langfristigen Plan. Doch ich war überzeugt, dass das Waldhaus Potenzial hatte, wenn man bereit war, Zeit und Ressourcen zu investieren. Leider fehlte den Besitzern die Geduld, was das Ende bedeutete.
Weshalb hatte das «Waldhaus» eigentlich fast immer Probleme?
Die Hauptgründe liegen tief in dessen Geschichte. Das «Waldhaus» hatte seit den 1960er-Jahren nur selten wirklich profitabel gearbeitet, und dann auch nur durch den Verkauf von Ländereien. Es gab strukturelle Probleme, die bei der letzten Renovierung einfach nicht angegangen wurden. Statt die Wurzeln des Übels zu erkennen, konzentrierten sich die Besitzer auf kosmetische Änderungen in der Hoffnung, dass ein frischer Anstrich und neue Teppiche ausreichen würden. Doch das war eine Illusion. Ein Hotel dieser Grösse und Historie braucht mehr als oberflächliche Renovierungen – es braucht eine klare Vision, eine tiefe Kenntnis des Marktes und vor allem Respekt vor den Bedürfnissen der Gäste und Mitarbeiter.
Vor vier Jahren haben Sie Ihre eigene Consultingfirma Cross-Point Swiss Hospitality Lab gegründet. War es immer Ihr Traum, einmal selbstständig zu werden?
Das war nie mein Traum. Ich habe es geliebt, in grossen Hotels zu arbeiten, Projekte zu leiten und Teil eines Teams zu sein. Als das «Atlantis»-Projekt endete, hatte ich eigentlich geplant, nach China zurückzukehren, wo ich ein Angebot von Universal Studios hatte. Aber dann kam Corona und damit die Unsicherheit. Was nun? 2008 habe ich die Finanzkrise miterlebt. Damals war ich Direktor der Hotels «Imperial» und «Bristol» in Wien und wusste, dass es ungefähr zwei Jahre dauern würde, bis sich die Hotelbranche wieder erholt. Diese Zeit wollte ich nicht ungenutzt lassen, und so habe ich mich entschieden, meine Leidenschaft für Digitalisierung in eine neue berufliche Richtung zu lenken. Es war ein Schritt ins Ungewisse, aber auch eine spannende Herausforderung. Heute bin ich froh, diesen Weg gegangen zu sein, auch wenn er nicht geplant war.
Sie haben sich in der Luxushotellerie spezialisiert auf Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Steigerung der Rentabilität und haben Abschlüsse in Hotelmanagement, Finanzen, Revenue Management und Coaching. Wie kam es ausgerechnet zu dieser Spezialisierung?
Das liegt an meiner Neugierde und dem Wunsch, in meiner Karriere keine Lücken zu lassen. Als ich mich in der Luxushotellerie hocharbeitete, wurde mir schnell klar, dass ich mehr Wissen in bestimmten Bereichen brauchte, um erfolgreich zu sein. Also habe ich gezielt Kurse in Finanzen, Revenue Management und anderen wichtigen Bereichen belegt. Schon als Kochlehrling Anfang der 90er-Jahre half ich den Küchenchefs in St. Moritz, den PC zu bedienen und Excel-Kalkulationen sowie Menü-Engineering zu erstellen. Ich war der erste Lehrling, der bei der Lehrabschlussprüfung seine Rezeptsammlung auf dem Laptop präsentiert hat. Im Militär als Fourier habe ich dann mit einem Kollegen, der Programmierer war, ein kleines Tool entwickelt, um die Buchhaltung zu vereinfachen. Diese frühen Erfahrungen haben meine Leidenschaft für Technologie geprägt. Später, Anfang der 2000er-Jahre, als ich im «Sheraton» am Frankfurter Flughafen arbeitete, erstellte ich eigene Skripte, um Daten aus den Systemen zu ziehen und die Personalplanung effizienter zu gestalten. Diese Begeisterung für Daten und Technologie hat sich im Laufe der Jahre weiter vertieft. Heute sehe ich in der Künstlichen Intelligenz die nächste grosse Welle, die die Hotellerie grundlegend verändern wird. Es ist unglaublich spannend, Teil dieser Entwicklung zu sein und mitzuerleben, wie Technologie unsere Branche revolutionieren kann.
Wie ist Ihr neues Geschäft angelaufen?
Es lief langsam an, wie es wohl bei den meisten neuen Unternehmen der Fall ist. Ich startete mit einigen Projekten für Bekannte, vor allem im Bereich der Digitalisierung. Doch durch mein globales Netzwerk wuchs das Geschäft schnell, und ich konnte Kunden in aller Welt gewinnen – von der DACH-Region über den Mittleren Osten bis nach Asien. Interessanterweise kam am Anfang ein Grossteil der Aufträge nicht aus der Schweiz, sondern aus dem Ausland. Die Hotellerie in der Schweiz ist ein hartes Pflaster, besonders für jemanden wie mich, der hier relativ unbekannt ist. Trotzdem habe ich es geschafft, ein internationales Geschäft aufzubauen, das sich zunehmend im digitalen Bereich abspielt. Meine Leidenschaft für die Hotellerie bleibt bestehen, aber mein Hauptfokus liegt jetzt auf Datenanalysen, Künstlicher Intelligenz und der Unterstützung von Führungskräften, die diese Technologien implementieren wollen.
Welche Art von Unternehmen setzt auf Sie?
Ich arbeite vorwiegend mit Hotels und Unternehmen im Luxussegment, sowohl in der DACH-Region und Europa als auch weltweit. Zusätzlich halte ich Vorlesungen und Keynote-Vorträge, um CEOs dabei zu unterstützen, die Chancen der digitalen Welt zu erkennen und effektiv zu nutzen. Zu meinen Kunden zählen aber auch eine Bank sowie mittelständische Betriebe, und ich gebe Vorlesungen an renommierten Hotelfachschulen in Holland und Österreich. Mit meiner Erfahrung als Geschäftsführer integriere ich Technologie nahtlos in Geschäftsprozesse, um wertvolle Zeit für Familien, Teams und Gäste zu gewinnen.
Wie wichtig wird die KI für die Hotellerie?
Künstliche Intelligenz wird für die Hotellerie überlebenswichtig sein. Sie bietet uns die Möglichkeit, Aufgaben effizienter zu erledigen und wieder mehr Zeit für das Wesentliche zu haben – die Menschen. Leider haben viele Hoteliers noch nicht erkannt, welches Potenzial in KI steckt. Sie nutzen KI, um Gästebewertungen zu beantworten oder E-Mails zu schreiben, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Ein KI-Assistent, der jederzeit verfügbar ist, ist ein unschätzbares Hilfsmittel. Im Winter 2022/23 habe ich im «Seehof» Davos das WEF fast allein mit Hilfe von KI-Technologie organisiert, da viele Schlüsselpositionen fehlten, und es lief hervorragend. Für mich steht fest: Jedes Hotel sollte einen auf die spezifischen Bedürfnisse zugeschnittenen KI-Assistenten haben. Die Zukunft der Hotellerie wird stark durch KI beeinflusst. Wer diese Technologie nicht nutzt, wird Schwierigkeiten haben, mitzuhalten, denn sie bietet ungemein viel Mehrwert.
Könnten Sie sich vorstellen, je wieder selbst ein Luxushotel zu führen?
Ich liebe die Hotellerie und könnte mir das durchaus vorstellen – allerdings nur projektweise. Ich bin kein Verwalter, der über Jahrzehnte in einem Hotel bleibt. Meine Stärke liegt darin, Hotels neu zu positionieren und Konzepte zu entwickeln. Sobald ein Hotel stabilisiert ist, sollte jemand anderes übernehmen, der sich um den langfristigen Feinschliff kümmert. Wenn ich ein Hotel wieder übernehmen würde, müsste es etwas ganz Besonderes sein.
Riccardo Giacometti
Der Engadiner Riccardo Giacometti stammt aus der Dynastie des berühmten Künstlers und Bildhauers Alberto Giacometti. Vor einem Vierteljahrhundert absolvierte er im Zürcher Luxushaus «Atlantis» ein Praktikum und machte danach Karriere in asiatischen und europäischen Spitzenhotels, ehe sich der Kreis schloss. Vor vier Jahren musste er als General Manager das «Atlantis by Giardino» schliessen und gründete die Firma Cross-Point Swiss Hospitality Lab, die heute weltweit und mit grossem Erfolg auf den Gebieten Datenanalysen, Künstliche Intelligenz und Unterstützung von Führungskräften tätig ist.