Sinnlose Hotels? Gibts das? Wie sinnvoll ein Hotel ist, kann ich Ihnen natürlich nicht pauschal beantworten. Das hängt von ganz vielen verschieden Faktoren ab. Meine Frage bezieht sich allerdings auch weniger auf die Sinnhaftigkeit, sondern vielmehr auf den Sinn als physiologische Wahrnehmung, also die Sinneswahrnehmung in einem Hotel. Unsere kognitive Wahrnehmung ist primär visuell bestimmt, doch auch alle an deren Sinne tragen zu unserem Befinden bei. Als ich mir letztens ein paar Tage Urlaub gönnte, startete ich einen kleinen Selbstversuch. Ich wollte herausfinden, welche meiner Sinne werden wie, wo und wann angesprochen, und wie wirkt sich dies auf mein Befinden aus.
Beim Eintritt ins Gebäude begann ich sofort mich visuell zu orientieren. Wo befindet sich was? Wo ist die Rezeption? Wo der Fahrstuhl oder die Treppe? Ist es hell oder eher dunkel? Welche Farben sind eingesetzt und sprechen mich diese an? Welche Wertigkeit hat das Mobiliar? Alt oder neu? Ausserdem gleicht das Visuelle sofort all das ab, was ich bereits online gesehen habe. Stimmen die Bilder? Bin ich hier richtig?
Doch genau zur gleichen Zeit passiert noch viel mehr. Welcher Klang empfängt mich beim Betreten des Hotels? Laufe ich über Steinboden und erzeuge mit meinen Schuhen Hall, oder sind es eher gedämpfte Töne, während ich über einen Teppich schreite. Läuft im Hintergrund Musik, und wenn ja welche? Schliesst die Tür meines Zimmers mit einem hellen Klacken oder mit einem dumpfen Rumms?
«Sich regelmässig in die Fussstapfen der Gäste zu begeben, ist wichtig.»
Ebenso nimmt die haptische Wahrnehmung Einfluss auf unser Befinden. Sind die Oberflächen eher grob oder glatt, samtig weich oder eher rau? Ist das Mobiliar bequem und schmiegt sich meinem Körper an, oder schmerzt es beim Sitzen oder Liegen?
Und zu guter Letzt, sind es die oft unterschätzten olfaktorischen Reize, welche mich positiv oder negativ beeinflussen können. Welcher Duft steigt mir im jeweiligen Bereich des Hotels in die Nase? Denn mein Gehirn nimmt diese Reize sofort auf und signalisiert mir, ob ich das nun als sehr gut, neutral oder schlecht werten soll. Ich kann das nicht steuern, es passiert einfach. All diese Faktoren haben Einfluss auf mein Befinden. Es wird entschieden, ob ich mich wohl und sicher fühle oder ob ich Unbehagen verspüre.
Der berühmte erste Eindruck beinhaltet plötzlich viel mehr als nur den optischen Anblick. Besonders an neuen Orten sind unsere Sinne doppelt geschärft, evolutionstechnisch wollen wir uns orientieren und absichern. Im Bewusstsein, dem Unbewussten bewusst zu werden, sich selbst zu fühlen und zu beobachten, löst innert kürzester Zeit unglaublich viel aus. Ich habe diverse Wertungen vorgenommen, die mir nun signalisieren, wie ich handeln soll. Aber die Fülle (so fühlt es sich an) gibt mir das Anzeichen, ob ich hierbleiben will oder nicht. Ich frage mich, ist sich das Hotel dessen bewusst, was es noch vor dem Ersten «Grüezi» in mir ausgelöst hat?
Rational ist klar – Nichtbewusstes kann bewusst beeinflusst werden. Aber die Ausführung und Steuerung ist in Anbetracht dieser Menge an Informationen in kleinstem Zeitraum hochkomplex. Es wird mir jedoch einmal mehr klar, wie wichtig unsere Sinne für unser Dasein und dem natürlichen Menschsein sind. Es bringt mich zum Schluss: Erst wenn alle unsere Sinne positiv angesprochen werden, können wir erfolgreiche, nachhaltige Erlebnisse erzielen und uns von der Konkurrenz abheben. Sich regelmässig in die Fussstapfen der Gäste zu begeben ist wichtig. Auch sich selbst oder andere zu beobachten hilft, Wahrnehmungen über Handlungen und Körpersprache zu erkennen. Insofern unterschätzen wir unsere sekundären Sinne nicht, sondern versuchen wir sie gezielt anzusprechen und begünstigend zu steuern.
Ivo Christow
Head of Design
krucker.swiss