Sorell-Hotelchef Thomas Kleber über den «Fachkräftemangel» im Gastgewerbe
Die Menschen reisen gerne und möchten die Welt entdecken. Gerade in der Schweiz gehört Essen gehen zum Kulturgut und wird gerne zelebriert. Doch wem ist es nicht auch schon so gegangen: Im Restaurant wird der Tisch nicht abgeräumt, im Hotel steht man in langen Schlangen an der Rezeption, nur um Auszuchecken – und man denkt sich: Warum geht es hier nicht schneller und warum gibt es hier denn nicht mehr Mitarbeitende?
Eine Frage und ein Problem, das in Hotellerie und Gastronomie schon seit längerer Zeit zum Alltag dazu gehört. Es ist nicht einfach, Fachkräfte zu finden und diese auch langfristig zu halten. Die Corona-Pandemie hat diese Herausforderung zusätzlich verschärft. Während andere Branchen profitierten, brachen die Umsätze in der Hotellerie und Gastronomie um bis zu 90 Prozent ein. Trotz Kurzarbeit mussten schweren Herzens Stellen abgebaut werden. Viele Mitarbeitende, die ihren Job gezwungenermassen verlassen mussten, haben sich neu orientiert. Das Ergebnis: Allein in der DACH-Region und nur auf dem Branchenportal hotelcareer.com über 22 000 ausgeschriebene Stellen, die besetzt werden wollen. Jetzt, da die Lockerungen da sind und man wieder Gäste empfangen könnte, können viele Restaurants und selbst angesagte Szene-Bars gar nicht mehr öffnen. Und die, die noch öffnen können, haben oftmals viel zu wenige Mitarbeitende.
Soweit die aktuelle Lage. Aber wie kann es nun weitergehen? Was kann die Branche tun, um attraktiver zu werden für Arbeitnehmende? Klar, der Lohn ist ein wichtiger Hebel. Und – ich will kein Blatt vor den Mund nehmen – da hat die Hotellerie- und Gastronomie-Branche natürlich Luft nach oben. Es sind aber auch andere Faktoren, die eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird für viele immer wichtiger und wir müssen uns entsprechend neuen, kreativen Arbeitsmodellen wie Job-Sharing und flexiblen Einsätzen öffnen. Dank der Grösse und Vielseitigkeit der Genossenschaft ZFV-Unternehmungen, zu der die Sorell Hotels gehören, haben wir die Chance, Synergien zu nutzen und Mitarbeitende flexibel einzusetzen. Das bedeutet beispielsweise, dass Rezeptionist:innen in verschiedenen Hotels eingesetzt werden. Wir stellen fest, dass dies die meisten Mitarbeitenden als Bereicherung empfinden.
Um die vielen offenen Stellen zu besetzen, müssen wir bereit sein, Mitarbeitende aufzunehmen, die eventuell ungelernt, aber dafür höchst motiviert sind. Viele ältere Menschen oder Mütter und Väter, die nach der Elternzeit wieder den Einstieg ins Berufsleben suchen, werden aktuell viel zu wenig als mögliche Arbeitskräfte berücksichtigt. Idealerweise finden sich Interessierte im direkten lokalen Umfeld oder sind sogar bisherige Gäste. Hier gilt es, über den bisherigen Tellerrand hinaus zu denken!
Wichtig für die Zukunft sind ausserdem Betriebe, die bereit sind, auszubilden. Wir dürfen uns nicht über fehlende Fachkräfte beschweren, wenn wir selbst zu wenig dafür tun. Wichtig ist, die Bedürfnisse der heutigen jungen Menschen zu verstehen und sie zu antizipieren. Wertschätzung, Anerkennung, aber vor allem auch Sinnhaftigkeit der Arbeit werden immer wichtiger.
Neue Fachkräfte gewinnen und ausbilden ist zentral, dabei dürfen wir aber die bestehenden Mitarbeitenden nicht vergessen. Um zu verhindern, dass die aktuelle Situation noch kritischer wird, muss daher unbedingt auch bei den aktuell Beschäftigten angesetzt werden – ihre Leistung ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Sie sind es, die wir pflegen und wertschätzen müssen, denen wir Verständnis und Flexibilität entgegenbringen müssen und dadurch aufzeigen, dass sie entscheidend für den Erfolg sind. Dies gilt natürlich für die Arbeitgebenden, aber durchaus auch für die Gäste. Denn die Mitarbeitenden sind der Schlüssel für ein positives Erlebnis beim Hotel- oder Restaurantbesuch – ohne sie geht nichts.
Thomas Kleber, 55, ist seit Juli 2017 Managing Director Sorell Hotels Switzerland und Geschäftsleitungsmitglied der ZFV-Unternehmungen. Seine Hauptaufgabe ist die Führung und strategische Weiterentwicklung der Sorell Hotels.
Der gebürtige Rheinländer mit belgischem Pass verfügt über mehr als 38 Jahre Erfahrung in der nationalen und internationalen Hotellerie. Er studierte Hotelbetriebwirtschaft und bildete sich an der Cornell University in Ithaca New York, an der IST Hochschule und am Swiss Excellence Form weiter. Zuletzt war er als Area General Manager der Steigenberger Hotels Schweiz und Konstanz, als CEO der Astoria-Gruppe Luzern sowie als Geschäftsführender Direktor des Kameha Hotels in Bonn, des Palais Coburg in Wien sowie des Park Hotels Vitznau tätig. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Die Sorell Hotels sind die grösste Schweizer Hotelgruppe im Eigenbesitz – mit 16 individuellen Stadthotels im 3- und 4-Sterne-Bereich in neun Destinationen. 2019 wurde mit rund 500 Mitarbeitenden ein Gesamtumsatz von 61 Millionen Franken erzielt. Die Sorell Hotels gehören zu den ZFV-Unternehmungen, einem traditionsreichen, in der ganzen Schweiz tätigen Gastronomie- und Hotellerie-Unternehmen mit rund 2000 Mitarbeitenden.