Wir wollen mehr Lebensqualität im Tourismus


In der österreichischen Tourismusregion «Wilden Kaiser» setzt man jetzt voll auf Lebensqualität, Nachhaltigkeit und eine lebenswerte Zukunft. Eine europaweit einzigartige Strategie, von der auch die Hotels in der Region profitieren sollen. Frage an den Tourismusprofi Lukas Krösslhuber: Was könnten Schweizer Tourismusorte und Hotels von der neuartigen Strategie am «Wilden Kaiser» lernen?



Lukas Krösslhuber, Sie haben soeben Ihre neue Tourismus-strategie 2024 für die Region Wilder Kaiser vorgestellt. Sie wollen die Aufenthaltsqualität in den Ortskernen verbessern. Wie wollen Sie das erreichen?

Nun, unser Ziel ist, die Lebensqualität der bei uns urlaubenden, arbeitenden und lebenden Menschen durch nachhaltigen Tourismus weiter zu verbessern. Da spielt die Begegnungsqualität in den Orten eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit den Ge­­meinden, dem Handel und den Anrainern wollen wir die Ortskerne so umgestalten, dass sie wieder ein Ort der Begegnung ­zwischen Jung und Alt, zwischen Einwohner:in und Gast werden. Dazu muss der Verkehr verlangsamt oder auch reduziert und der Fokus auf langsame Fortbewegungsarten wie Gehen oder Radfahren ge­­legt und dem Genuss Raum gegeben werden.


Wie profitiert die Hotellerie am Wilden Kaiser von dieser neuen Strategie 2024?

Die Hotellerie profitiert, wie hoffentlich die anderen Anspruchsgruppen auch, mehrfach. Durch die Forcierung eines sinn­betonten Qualitätstourismus schöpfen sie selbst, vor allem die junge Generation, mehr Befriedigung aus der eigenen Arbeit. Es ist leichter, Mitarbeitende zu finden und zu halten. Die Gäste schätzen nachhaltige Bemühungen immer mehr und zeigen das auch durch höhere Ausgaben für Qualitätsprodukte. Und natürlich, indem sie wiederkommen und auch anderen das Hotel empfehlen. Von diesen «begeisterten Botschaftern» profitieren die Hoteliers enorm. Und dank höherer Umsätze können sie wiederum in ihre Mitarbeitenden investieren, aber auch konsequent weiter in Richtung Nachhaltigkeit im eigenen Be­­trieb arbeiten.


Die Strategie 2024


Als Region, die vom Tourismus lebt, weiss man am Wilden Kaiser: Wenn Umwelt und Gesellschaft in eine ­nachhaltige und lebenswerte Zukunft geführt werden sollen, ist es an der Zeit, die Welt aktiv mitzugestalten. Und wo sollte man damit anfangen, wenn nicht im eigenen, direkten ­Wirkungsbereich? So hat der Tourismusverband (TVB) bereits im Jahr 2017 unter dem Motto «Lebensqualität am Wilden Kaiser» genau jene ­Fragen gestellt, die hier ansetzen. Daraus ist ein handfestes Programm mit dem Titel «Strategie 2024» entstanden, an dessen Umsetzung seit 2019 gearbeitet wird. Diese Strategie hat der TVB Wilder Kaiser in den ­vergangenen Monaten im Rahmen der internen Workshop-Reihe «Wandel als Chance» unter professioneller Begleitung noch einmal auf den ­Prüfstand gestellt. Daraus ist das Handlungsprogramm einer «Lebensqualität durch nachhaltigen Tourismus» entstanden, welches nun ­langfristig das Fundament allen touristischen Arbeitens und den Rahmen für die künftigen Strategien bildet.


wilderkaiser.info





Sie wollen die Auslastung in den Hotels steigern, gleichzeitig setzen Sie auf nachhaltigen Tourismus, Natur, Ruhe und ökologische -Kriterien. Existiert da nicht ein gewisser Widerspruch?

In den Hauptreisezeiten streben wir keinerlei Steigerung der Auslastung an, im Gegenteil. Hier setzen wir mit unserer Strategie auf eine Steigerung der Qualität und der Wertschöpfung, aber nicht, was die Zahl der verfügbaren Betten und damit der Nächtigungen betrifft. Es sind auch diese Auslastungsspitzen, die das ökolo­gische und soziale System am meisten be­lasten, und die wollen wir verringern. Unser Ziel ist daher, die Auslastung der Hotelbetriebe gleichmässiger über das gesamte Jahr zu verteilen. Das macht auch insofern Sinn, als dass in Zeiten, in denen Hotels, Bergbahnen & Co. bereits in Be­trieb sind, sowieso Energie und Perso­­­- nal benötigt wird. Da ist es sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich effizient, vorhandene Kapazitäten besser zu nutzen.


Sie wollen die Wertschöpfung pro Gast erhöhen. Wie erreichen Sie dieses Ziel?

Der grösste Hebel ist für uns tatsächlich unsere gelebte Verantwortung für Mensch und Natur. Aber natürlich setzen wir auch auf andere Massnahmen, wie etwa eine Steigerung des Vorabverkaufs von Zusatzleistungen oder Vorstufen von Dynamic Pricing. Der durchsetzbare Preis ist im­­mer ein Resultat des gefühlten Wertes eines Produktes. Wir gehen davon aus, dass Bodenständigkeit und Nachhaltigkeit als Werte immer wichtiger werden und dem Gast dementsprechend auch monetär et­­was wert sind. Insofern sind Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg für uns kein Widerspruch, sondern bedingen einander im Jahr 2021 sogar.


Die Tourismusgesinnung soll, wie Sie sagen, verbessert werden. Ich stelle fest, dass dieses Bewusstsein für den Tourismus in weiten Teilen Österreichs stark vorhanden ist. Oder liege ich falsch?

Nein. Wir wissen durch Befragungen und Fokusgruppen, dass die Tourismusgesinnung in Tirol und auch am Wilden Kaiser grundsätzlich sehr gut ist. Die Einwohner wissen um die Bedeutung des Tourismus und schätzen das umfangreiche Angebot im Freizeitbereich, Handel und Gastro­nomie. Sie sagen aber auch, es darf nicht mehr «Mehr» werden und sehen durch­- aus die Schattenseiten wie Verkehr, Lärm oder Feldfrevel. Diese Bedenken gilt es sehr ernst zu nehmen und gemeinsam Lösungen zur Verbesserung zu erarbeiten.


«Unser Ziel ist, die Auslastung der Hotelbetriebe gleichmässiger über das gesamte Jahr zu verteilen.»







Der Tourismus soll noch attraktiver werden. Was heisst das? Und worin liegt auch hier der Mehrwert für den Hotelier?

Derzeit wird der Tourismus vielfach als Branche gesehen, wo Menschen in stark hierarchischen, eher monotonen Arbeitsverhältnissen mit unattraktiven Arbeitszeiten ausgebeutet werden. Und wenn sie erschöpft sind, werden sie durch billigere Arbeitskräfte ersetzt. Solche Arbeitsbedingungen sind aber nicht mehr zeitgemäss! Viele Menschen streben heutzutage auch im Beruf nach Selbstverwirklichung, und dazu braucht es eine sinnstiftende Tätigkeit in einem Umfeld, das die persönli­che Entwicklung fördert. Wenn es gelingt, im Betrieb ein derartiges Klima oder dem­entsprechende Arbeitsbedingungen und ein starkes Teamgefüge zu schaffen, dann profitieren Mitarbeitende und Hoteliers gleichermassen.


Warum sollte ein Schweizer Gast unbedingt am Wilden Kaiser Ferien machen?

Ich könnte jetzt mit dem irrsinnig grossen Skigebiet, der herrlichen Berglandschaft und den tollen (für Schweizer günstigen) Hotels argumentieren. Das sind richtige und notwendige Kriterien. Ich persönlich denke aber, dass unsere Gäste am Wilden Kaiser vor allem die Menschen schätzen und das, was sie verkörpern. Bei uns gibt es keine Hotelketten oder ähnliches, unsere Häuser sind inhabergeführt und zeichnen sich durch ihre Gastfreundschaft und die – teils seit Jahrzehnten andauernde – persönliche Beziehung zu den Gästen aus. Dazu kommt unser Angebot auf Werteebene, das man auch so übersetzen könn­­te: «Wenn Dir Verantwortung für Mensch und Natur genauso wichtig ist wie uns, dann sei unser Gast und lass uns gemeinsam, bei einem guten Glas Wein, darüber philosophieren, wie wir die Welt ein klein wenig besser machen können». Darüber hinaus sind wir von Zürich aus in nur vier Stunden mit dem Direktzug sehr gut er­­reichbar. In Kombination mit unserer kostenlosen Vor-Ort-Mobilität ist das ein we­­sentlicher Aspekt in Sachen Komfort, aber eben auch in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit.



«Wir gehen davon aus, dass Bodenständigkeit und Nachhaltigkeit als Werte immer ­wichtiger werden und dem Gast dementsprechend auch monetär etwas wert sind.»


Wie würden Sie denn die strategische Positionierung der Tourismusregion Wilder Kaiser kurz umschreiben? Was macht diese Region einzigartig?

Was uns strategisch von unseren Mitbewerber:innen unterscheidet ist einerseits, dass wir uns trauen, die relevanten Fragen zu stellen – auch wenn es nicht immer einfache Antworten gibt. Andererseits, dass wir diese Fragen nicht hinter verschlossenen Türen und nur aus Perspektive der Tou­­ristiker:innen diskutieren. Unser Selbstverständnis und unsere Strategie fusst zu 100 Prozent auf dem seit 2017 laufenden Bürgerbetei­ligungsprozess. Denn Lebensqualität und positive Tourismusgesinnung lassen sich niemals von oben verordnen. Hier setzen wir auf einen gemeinsamen Prozess mit den hier lebenden und arbeitenden Menschen, denn nur so können wir gemeinsam für einen zeitgemässen Tourismus und eine Region, die auch in 50 Jahren noch höchste Lebensqualität bietet, arbeiten.




Lukas Krösslhuber

studierte in Innsbruck in den 1990er-Jahren Betriebswirtschaft und ­Sportwissenschaften. Sport­begeistert, aber touristisch unbeschrieben, übernahm er 2003 die Geschäftsführung der Osttirol ­Werbung. Ab 2006 baute er die neu gegründete Kitzbüheler Alpen ­Marketing GmbH auf und seit 2011 hat er die Geschäftsführung des ­Tourismusverbandes Wilder Kaiser inne.



Ausgehend von einem florie­renden Tourismus am Wilden Kaiser hat sich Krösslhuber in den letzten Jahren verstärkt mit der Frage nach touristischem Erfolg für Destina­tionen in ökonomischer, ökologischer und sozialer Sicht auseinander­gesetzt

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