Selbst ist die Frau: Winzerin Irene Grünenfelder vertraut der Natur

Die Selfmade­-Winzerin Irene Grünenfelder hat das Weingut Eichholz im Herzen der Bündner Herrschaft in Jenins von Grund auf zum Erfolg geführt. Ihre Geschichte als Einzelkämpferin ist ebenso ungewöhnlich wie beeindruckend. Die ehemalige Lehrerin und Tochter eines Viehbauern ist eine der bekanntesten Winzerinnen der Schweiz geworden. Seit 2016 ist sie Ambassadrice-­Ehrenmitglied des Sommelierverbandes SVS.





Die sinnlichen Weine von Irene Grünenfelder sind Kult und gehören zu den gefragtesten Raritäten der Schweiz. In der Flur Eichholz in Jenins pflanzte sie 1993 eigenhändig ihre ersten Reben. Das Weingut Eichholz war damals ein Einfrau­ betrieb. Zur Winzerfamilie gehören auch die Tochter mit dem schönen Namen Europa und ihr Sohn Johannes, der als ihr Nachfolger vorgesehen ist und in ein paar Jahren das Weingut übernehmen wird.


«Wein rührte mich zu Tränen»

Irene Grünenfelder ist in Alvaneu Bad im Albulatal aufge­wachsen. Die ausgebildete Primarlehrerin hat unter anderem beim «Bündner Tagblatt» gearbeitet. Um im Journalismus wei­terzukommen, begann sie ein Studium, wurde dann schwanger und ist durch ihren ehemaligen Mann Hans­Jakob Hunger auf diesen Hof gekommen. Hier war brachliegendes Rebland vor­handen, die Schwiegereltern hatten nur einen kleinen Rebberg bepflanzt. Dort merkte sie, dass ihr Weinbau Spass macht, liess sich die Pensionskasse auszahlen, pachtete die Weinberge ihrer Schwiegereltern und begann, Wein zu machen. Ihre grosse Liebe zum Wein weckte ein Pinot Noir bei Hubert Lignier im Burgund. «Dieser Wein hat mich durch seine Schönheit zu Tränen gerührt», gesteht sie.


Schon die Römer betrieben hier vor 2000 Jahren eine Sust, eine Pferdewechselstation. Übrig geblieben ist davon ein riesiger Ziehbrunnen mit der enormen Tiefe von 32 Metern. Der histo­rische Ort hat sich im Laufe der Zeit verändert und weiterent­wickelt. Aus dem vor bald 30 Jahren von ihr gegründeten kleinen Weingut ist inzwischen ein 6,5 Hektaren umfassendes, renom­miertes Familiengut geworden. Mutter und Sohn Johannes Hun­ger stellen sich nun gemeinsam der faszinierenden und kostbaren Herausforderung, authentische, finessenreiche und lebendige Weine anzubieten. Ein ökologisches Gleichgewicht im Rebberg, Biodiversität und ein vitaler Boden sind dafür die Bedingungen. Biologisch ist daher für sie nur logisch.


Unkonventionelles zum Start

Als Quereinsteigerin konnte sich Irene Grünenfelder Unkonven­tionelles leisten. So pflanzte sie 1996 als eine der Ersten der Herr­schaft Sauvignon Blanc an, aus dem sie einen durch seine Aroma­intensität umwerfenden Wein keltert. Ihre Weine sind jedes Jahr schnell vergriffen. Das liegt zum einen an der geringen Menge, zum anderen an der aussergewöhnlichen Qualität. Ihre Devise lautet: «Ich vertraue der Natur und misstraue der Technik und der Chemie.»


Grossartige Weine gelingen ihr längst. Diese reifen in einem win­zigen Keller, in dem ein grosses ovales Holzfass und knapp 30 Bar­riques kaum Platz haben. Ihre Pinot­-Noir­-Klone stammen aus der Schweiz und dem Burgund. Der Wein Eichholz aus Burgunder­Klonen, eines der Flaggschiffe unter den Schweizer Pinots, ge niesst Kultstatus. Alles wird spontan vergoren und mit grosser Sensibilität für die Umwelt erzeugt.


Der Wein findet sich selbst

Das Eichholz ist das optisch auffälligste Weingut in Jenins. Von Weitem sichtbar steht die kleine Häusergruppe inmitten des Rebenmeers, hier ist das Reich von Irene Grünenfelder. Ihre Weine sind ehrlich, geradlinig und widerspiegeln eins zu eins das Terroir, den Jahrgang und schliesslich sie selbst. Um dies zu erreichen,

braucht es viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Reben. Jede Parzelle, jede Rebe hat ihre individuellen Bedürfnisse. Die grosse Kunst im Keller ist es, diese Einzigartigkeit der Trau­ben zu bewahren und zur Geltung zur bringen. Das Rezept dazu ist einfach: Möglichst nichts tun, keine Reinzuchthefen, keine Schönungen, nur eine Klärfiltration. Der Wein findet sich selbst. Ihre Weine sind elegant, mit schöner Frucht und guter Harmonie. Ihre Pinots haben Finesse, sind harmonisch und aromenreich. «Meine heutigen Weine haben einen anderen Ausdruck, einen anderen Charakter. 1995 waren meine Weine sehr fruchtbetont, heute mache ich charaktervolle Weine», bekräftigt sie.


Irene Grünenfelder arbeitet leidenschaftlich gern draussen in der Natur in ihrem Weinberg und genauso gerne auch drinnen im Keller. «Schön ist, dass man ein Produkt von der Pflanzung bis in die Flasche begleiten kann», sagte sie. Dass sie eine zupackende Art hat, sieht man ihren Händen inzwischen an.


Was ist ihre liebste Liaison von Speisen und Wein? «Ein Mousse von schwarzer Schokolade, wenig gesüsst, mit einem Confit von Zwetschgen. Dazu ein Gläschen meines Dioli, eines portweinähn­lichen Likörweins.» Ein weiteres Markenzeichen ist ihr trockener Humor, wenn sie erklärt: «Inzwischen habe ich begriffen, was es heisst, selbständig zu sein», und dann blitzschnell zum Punkt kommt. «Man macht alles selbst, und das ständig.» Noch ein schöner Schlusspunkt von ihr: «Wein ist wie Politik: Man weiss erst nach der Wahl, was er wert ist.» Irene Grünenfelder ist eine echte Weinhandwerkerin, die von ihren Reben sicher geliebt wird.




«Für mich zählt vor allem das Produkt»

Interview Bruno-Thomas Eltschinger


Sind Sie ein Gefühls- oder ein Kopfmensch?

Beides. Gefühl braucht es im Umgang mit den Reben, in der Kelterung und mit den Kunden. Aber ohne Kopf wird ein Betrieb wohl nie wirtschaftlich tragbar sein.


Welche Gerüche machen Sie glücklich?

Der Geruch der verschiedenen Blumen und Kräuter in meinem Weinberg und der ganz zarte Duft der Reben­blüte.


Was ist das Beste an Ihrem Beruf?

Dass er so vielseitig ist. Ich arbeite vor allem in und mit der Natur, was mir unheimlichen Spass macht und mich jedes Jahr von Neuem herausfordert und auch demütig macht.


Welchen Geschmack verbinden Sie mit Ihrer Kindheit?

Der Geruch von Kühen und Heu? Mein Vater war Vieh­bauer.


Welches war Ihr erstes prägendes Weinerlebnis?

Ein Morey­-St-­Denis von Hubert Lignier, in Morey­-St-­Denis genossen.


Welchen Wein haben Sie immer vorrätig?

Diverse Pinots und Chardonnays aus dem Burgund und der Bündner Herrschaft.


Welcher junge Winzer beeindruckt Sie?

Mein Sohn Johannes. Sein Engagement im Weinberg, wegen seiner naturnahen Bewirtschaftung, die weit über Bio hinausgeht, ist einzigartig. Sein Gespür und seine Kreativität im Keller sind ansteckend.


Welche Weinpersönlichkeit hat Sie am meisten beeindruckt?

Raymond Paccot, Domaine la Capitaine, Vaud. Sein Umgang mit der Natur, seine gelassene Weisheit.


Was ist für Sommeliers bei einem Wein wichtiger als für Winzer?

Ich denke, dass für Sommeliers Geschichten wichtig sind. Für mich zählt vor allem das Produkt.


Wie wichtig sind Sommeliers für die Arbeit der Winzer?

Sie sind für uns unheimlich wichtig. Sommeliers sind unsere besten Botschafter. Sie empfehlen unsere Weine, erklären sie. Es ist sehr viel wertvoller, wenn Weinlieb­haber beim Genuss meiner Weine auf mein Weingut aufmerksam werden, als wenn sie meine Weine auf­grund irgendwelcher Jurypunkte auswählen.


Was erwarten Sie von einem guten Sommelier?

Dass er sich mit den Weinen auseinandersetzt, die er verkauft. Diese schon mal verkostet hat und, im opti­malen Fall, schon mal das Weingut besucht hat.


Welches Erlebnis mit einem Sommelier vergessen Sie nie?

Es war vor vielen Jahren im Schloss Schauenstein (Caminada). Oliver Friedrich empfahl uns als Somme­lier einen Chardonnay aus dem Burgund. Einige Jahre später wollte ich denselben Chardonnay, und er konnte noch nachvollziehen, was wir damals getrunken haben.


Was ist Ihnen an Ihren Etiketten wichtig?

Schlicht mit Wiedererkennungseffekt.


Welcher Wein ist auch preislich eine Sünde wert?

Chateau Haut­Brion.


Welches ist der perfekte Wein der Schweiz?

Das ist zum Glück Geschmacksache.


In welchem Restaurant sind Sie immer wieder Gast und warum?

Im Rössli in Bad Ragaz. Super Küche, gutes Weinsorti­ment bei vernünftigen Preisen.


Was fällt Ihnen an anderen Menschen als Erstes auf?

Der Geruch und die Art, wie er oder sie auf mich zu ­kommt.


Wie lautet Ihr Lebensmotto?

Der Weg ist das Ziel. Und keinen Fehler zweimal begehen.


Welches ist Ihr wichtigstes Sinnesorgan?

Natürlich die Nase und der Gaumen.


Was war die mutigste Entscheidung in Ihrem Leben?

Mein Weingut aufzubauen. Ohne Kenntnisse, ohne Geld.


Was trinken Sie am liebsten?

Wein, Kaffee, Tee, Wasser...


Welches Talent, von dem niemand weiss, besitzen Sie?

Das soll eben niemand wissen…


Was darf in Ihrem Kühlschrank niemals fehlen?

Käse.


Welche Haushaltsarbeit machen Sie am liebsten?

Die Wohnung umstellen.


Wie verbringen Sie Ihre Freizeit am liebsten?

Mit Freunden in der Natur.


Gibt es eine Erfahrung, die Ihr Leben nachhaltig verändert hat?

Meine zwei Kinder.


Was hat Sie in letzter Zeit emotional berührt?

Die baldige Betriebsübergabe an meinen Sohn Johan­nes Hunger.


Gibt es etwas, das Sie unbedingt noch erleben möchten oder wo Sie noch hinwollen?

Ich will noch alles erleben, was sich bietet, und gehe überall hin.



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