Sonder-Bar

Geschäftsmodelle der sonderbaren Art stehen diesmal im Zentrum der sonderbaren Presseschau an der Sonder-Bar.


Hotelzimmer in leeren Läden

Es gibt in einer Stadt kaum etwas öderes als zugekleisterte Schaufenster von Läden, die schliessen mussten. Gehäufte und langanhaltende Leerstände von Ge­­schäften sind das sichtbare Zeichen wirtschaftlicher Probleme, die einzelne Ladenbesitzer zwangen auf­zugeben. Oder, wenn es noch schlimmer ist, stehen die leeren Läden für den wirtschaftlichen Abschwung eines Quartiers oder einer ganzen Stadt.


Normalerweise interessieren leere Schaufenster und Läden kaum. In Wien ist das anders. Da entstand eine erfolgreiche Geschäftsidee: Aus ungenutzten Laden­lokalen wurden Hotelzimmer. Die Urbanauts GmbH bietet rund 30 Hotelzimmer in ehemaligen Laden­lokalen. «Verköstigung» gibt es keine. Dafür «Handreichungen für Frühstückslokale und Bierbeisl in der Nachbarschaft, Bars und Klubs». Die ­Initiantin dieses innovativen Konzepts, Theresia Kohlmayr, stammt aus einer Hotelierfamilie. Sie spricht von einer «horizontalen Anordnung» ihres Hotels, das seine Dienste in der Nachbarschaft an­­bietet – «mit der Stadt als Foyer». Dies im Gegensatz zu klassischen Hotels, die ihre Zimmer und Services vertikal anbieten.

Das Konzept ist erfolgreich. Die Betreiberfirma schreibt schwarze Zahlen und erzielt mit zehn Beschäftigten einen Umsatz von rund 2 Millionen Euro. Die Auslastungsquote der Ladenlokalhotelzimmer, die in Wien teilweise «nahe der Touristenhotspots Belvedere und Karamelitermarkt» liegen, beträgt übers Jahr gerechnet 80 Prozent. Die Ladenlokalhotelzimmer sind auf Dauer angelegt und nicht bloss Übergangslösungen, bis der Laden wieder vermietet ist. Man ist teilweise Pachtverträge über 15 Jahre eingegangen.


Die Ursprungsidee machte aus leeren Ladenlokalen einzelne Hotelzimmer. Heute stehen aber nicht nur Zimmer zur Verfügung. In Linz wurden in einer umgebauten ­ehemaligen Tabakfabrik 33 möblierte Appartements gemietet, die vor allem von Geschäftsreisenden genutzt werden. Weitere Expansionsmöglichkeiten werden ge­­prüft. Überall dort, wo es leerstehende Lokale mit einem «Foyer» in der Nachbarschaft gibt, kann das Konzept prinzipiell angewendet werden. Aktuell gibt es ein Projekt in Triest. Und mit Besitzern von leerstehenden Schlössern ist man in Gespräch. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.9.2022)


Gekaufte Fake-Hotelbewertungen

Bevor man ein Hotel online bucht, konsultiert man gerne Empfehlungen von Gästen, die bereits im ausgewählten Haus abgestiegen sind. So weit, so unproblematisch. Das Problem beginnt dann, wenn man nicht mehr weiss, ob die Bewertungen, die Kommentare und Empfehlungen echt oder fake sind. Und das weiss man eigentlich nie.


Bewertungen und Empfehlungen von Hotels sind zur gewöhnlichen Handelsware geworden. Im Internet werden sie feilge­boten. Im Selbsttest habe ich am 28. Oktober, 18.10 Uhr, «Bewertungen kaufen Hotel» gegoogelt. Das Ergebnis: über 23 Millionen Treffer und auf der ersten Seite zwölf Firmen, die Hotelbewertungen anbieten (z. B. Holidaycheck, Tripadvisor, Fivestar-Marketing, Rezensio, Mystar-Marketing, pro.regiondo, freiraummanager, abouttravel usw.). Da ­wurden von einer Firma fünf Bewertungen für 74.95 Euro angeboten; zehn Bewertungen kosten 143.95 Euro (statt 149.50) und 50 Bewertungen sind für 629.95 Euro (statt 747.50) zu haben.


Unter dem Titel «Fünf Sterne für alle(s)» geht ein Artikel der Frank­furter Allgemeinen Zeitung (11.10.22) der Sache mit den Online-Bewertungen in Deutschland nach. Die Recherche kommt zum Schluss: «Fake-Bewertungen sind im Internet omnipräsent – und führen ­Kunden in die Irre. Agenturen verkaufen sie inzwischen auf skrupellose Art und Weise.» Die Handelsware Hotelbewertung (wohl aber jede Bewertung im Internet) hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das sehen auch grosse Anbieter wie Google, oder Amazon so, wie der FAZ-Artikel festhält. 2021 habe Google «knapp 100 Millionen Rezensionen geblockt oder entfernt». Amazon wird mit der Aussage zitiert, das Unternehmen habe 2020 «mehr als 200 Millionen mutmasslich missbräuchliche Rezen­sionen unterbunden». Der Vertrauensschaden und der volkswirtschaftliche Schaden solcher Fake-Bewertungen lässt sich allerdings «nicht seriös beziffern».

Auf EU-Ebene blieben Anstrengungen, die von Unternehmen, die Be­­wertungen verkaufen, mehr Transparenz ver­langten, bisher erfolglos. Konsumentenschützer fordern, dass die Sache bei fehlbaren Firmen mit strafrechtlichen Massnahmen verfolgt wird – weitgehend erfolglos. Ein Grund dafür ist, dass es «so viele unterschiedliche Ge­schäftsmo­delle der Portale» gibt. Dagegen anzukommen, meint eine bayrische Verbraucherschützerin, wäre nur mit einem «Potpurri an vielen ­kleinen Regelungen». Auf der anderen Seite werden Unternehmen, ­beispielsweise Google im Artikel mit Aussagen zitiert, wonach sie im Kampf gegen Fake-Bewertungen Investitionen in «erheblichem Umfang» tätigen. Das Rennen zwischen Regel-Potpurri und nicht völlig glaubwürdigen Unternehmen ist noch offen. Der Autor des Artikels aber meint abschliessend: «Je tiefer man sich in die Welt der Bewer­tungen im Internet begibt, desto grösser wird das Misstrauen, das einen beschleicht.»


«Zukunftsbranche» Reisen

«Zukunft» ist nicht nur ein Thema in unserem Fachmagazin. In Deutschland fand kürzlich das Jahres­treffen der Reisebranche statt. Die Ent­wicklungen im Reiseverhalten sind in gewissem Sinne ein Indikator für Entwicklungen in der Belegung und Auslastung von Hotels in Feriendestinationen. Der Präsident des Reiseverbandes zeigte sich präsidial­optimistisch und nannte dafür als wesentlichen Grund: «Wir sind eine Zukunftsbrache. Denn das ­Reisen lässt sich nicht ­digitalisieren.»

Der deutsche Wirtschaftsminister, Rudolf Habeck, war als Gastredner geladen und setzte dazu einen Kontrapunkt. Die Ausgangsposition bildeten die ­Aussagen zur «Zukunftsbranche». Aber auch die acht Prozent der globalen Emissionen, die Tourismus und Reisen verursachen. Der Spitzenpolitiker der Grünen sagte: «So sehr Reisen Horizonte erweitert, so sehr trägt es auch zur Erderwärmung bei. Das zuzugeben ist keine Schande. Es zu leugnen wäre eine.» Die Änderungen in Reiseprogrammen nannte er «die halbe Miete».

Zurück zum deutschen Reiseverbandspräsidenten. Er erwähnte auch Rückschläge in der Pandemie und stellte eine grundlegende Veränderung des Personalmarktes in der Reisebranche fest: «Die klassische Stellenausschreibung hat ausgedient. Statt ‹wir suchen› muss es von nun an heissen ‹wir bieten›.» Zudem mahnte er seine Mitglieder, bei der Personalsuche «nicht mehr alle im selben Teich zu fischen – nämlich bei den Wettbewerbern in der Branche». (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.10.22) Dieses Problem scheint in der Schweiz etwa anders akzentuiert zu sein. An der Walliser Fachhochschule wollen rund 80 Prozent der Studentinnen und Studenten im Bereich Tourismus erst gar nicht in der Branche arbeiten.

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