Affective Hospitality: Emotionale Intelligenz ein Schlüssel zur Führungskompetenz

Affective Hospitality: Emotionale Intelligenz ein Schlüssel zur Führungskompetenz

Wer andere führen und begeistern will, muss zuerst sich selbst gut kennen. Denn wer lernt, die eigenen Emotionen bewusst wahrzunehmen und zu regulieren, schafft eine Basis für den Umgang mit Emotionen anderer Menschen und damit für ein Arbeitsumfeld, das von Offenheit und Respekt geprägt ist. Ein solches Bewusstsein und Umfeld spürt letztlich auch der Gast. Der Ansatz von Affective Hospitality an der EHL Hotelfachschule Passugg vermittelt emotionale Intelligenz als Grundlage für Vertrauen, Teamdynamik und authentische Führung.

Claudia Schmid


Im Lehrplan der Schweizer Hotelfachschulen wird der Fokus auf wichtige fachliche Kompetenzen im Bereich der operativen und administrativen Hotel- und Gastronomiedienstleistungen und der nachhaltigen Unternehmensführung gelegt. Für den Gast (und die Mitarbeitenden) zählt jedoch auch, wie sie sich im Hotel fühlen. Geht die Vorgesetzte auf meine gute Laune ein oder dämpft sie diese? Kann die Rezeptionistin mit der Frustration eines Gastes adäquat umgehen? Fühle ich mich willkommen und als Individuum wahrgenommen? 

Affective Hospitality ist der Ansatz, den die EHL Hotel­fachschule Passugg in Zusammenarbeit mit dem Center of Affective Science der Universität Genf entwickelt und damit emotionale Intelligenz seit 2022 in den Lehrplan integriert hat. In diesem Lernfeld werden in vier Modulen die EI-Kompetenzen «Emotionen erkennen», «Emotionen verstehen», «Emotionen regulieren» und «Emotionen beeinflussen» vermittelt. Die Besonderheit dabei ist, dass nicht der Kontakt zum Gast oder zu den Mitarbeitenden an erster Stelle steht, sondern allem voran die Beziehung zu sich selbst.
Die zentralen Fragen dafür sind: Wie nehme ich die Welt wahr? Wie wirkt die Welt auf mich ein? Wie beeinflusst mein Verhalten die Welt? Emotionen dienen dabei als wertvolle Wegweiser. Eine angenehme Emotion signalisiert, dass alles in Ordnung ist. Eine unangenehme Emotion zeigt an, dass ein wichtiger Wert oder ein Bedürfnis nicht erfüllt wurde. 



Selbstwahrnehmung und Selbstführung
Bevor wir also andere führen können, ist es notwendig, dass wir uns selbst verstehen. Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt der ersten drei Affective-Hospitality-Semester bei den Themen Selbstbeobachtung, -reflexion und -regulation: Welche Emotion spüre ich? Welche Ge­­danken und Körperreaktionen löst sie aus? Wie kann ich das in Worte fassen? Mit Techniken wie Check-in/Check-out während des Unterrichts, Zuhörübungen, Kreisgesprächen, Tagebuchaufzeichnungen und Achtsamkeitsmethoden wird die Wahrnehmung geschärft. Das hilft, automatische Reaktionsmuster und eingefahrene Sichtweisen ins Bewusstsein zu holen, was wiederum Voraussetzung dafür ist, regulierend einzugreifen und weniger hilfreiche Reaktionsmuster aufzulösen. Mit Erkenntnissen aus der Forschung und Modellen aus der Emotionstheorie wird das Verständnis für die praktischen Übungen unterstützt, die für einige zu Beginn etwas ungewohnt oder fremd anmuten.

Umgang mit Emotionen im Team und bei Gästen
Wer diese Fähigkeiten für sich entwickelt hat, wird sich im bewussten Umgang mit Emotionen von anderen Menschen einfacher tun, weil die Wechselwirkung zwischen den eigenen und den Emotionen von anderen deutlich wird. Nun ist es möglich, emotionale Zu­­stände zu begünstigen, die in der aktuellen Situation hilfreich sind. Wichtige Instrumente dafür sind aufmerksames Zuhören und eine offene Feedbackkultur zur Spiegelung von Selbst- und Fremdwahrnehmung, die den Perspektivenwechsel und das Einfühlungs­vermögen in der Beziehung zu anderen Menschen fördern. Ob es sich dabei um Mitarbeitende, Kollegen und Kolleginnen, Gäste oder Personen aus dem privaten Kontext handelt, spielt keine Rolle – das Trainieren emotionaler Kompetenz wirkt sich auf alle Lebens­bereiche aus.

Denn obwohl wir von Geburt an lernen, Emotionen bei anderen zu erkennen und zu interpretieren, wird uns der bewusste Umgang mit emotionalen Mustern nicht einfach in die Wiege gelegt. Wie alle anderen Fähigkeiten lässt sich jedoch auch die emotionale Intelligenz weiterentwickeln. Grundvoraussetzung dafür sind die Bereitschaft und die Neugierde zur ­Auseinandersetzung mit sich selbst, das Anerkennen, dass jeder Mensch eine ganz eigene Realität erlebt und den Mut aufbringen, sich authentisch darüber auszutauschen. Für viele gehört das Sprechen über das emotionale Befinden nach wie vor nicht an den Arbeitsplatz oder in die Schule. Obwohl eine zunehmende Anzahl an Studien das Potenzial emotionaler Intelligenz in Unternehmen nachweist, wie zum ­Bei­spiel eine bessere Zusammenarbeit, zufriedenere und motiviertere Mitarbeitende und Kunden, höhere Produktivität, geringere Fluktuation. 

Wenn Führungskräfte und Mitarbeitende Emotionen als wertvolle Ressourcen begreifen und in ihrer persönlichen Entwicklung zu mehr Offenheit, Authen­tizität und Vertrauen gestärkt werden, entsteht als «Nebenprodukt» ein unmittelbar positiver Einfluss auf Gäste. Mit der Integration von emotionaler Intel­ligenz in den Lehrplan der Höheren Fachschule ­werden die Studierenden als zukünftige Verantwortliche von Teams und Unternehmen im Sinne einer Affective-Hospitality-Kultur hoffentlich einen posi­tiven Einfluss auf die Hotellerie haben. Im Sinne des lebenslangen Lernens haben jedoch auch etablierte Führungsteams und Mitarbeitergruppen in Hotel­betrieben die Möglichkeit, sich mit Affective-Hospitality-Schulungen weiterzuentwickeln.



Claudia Schmid ist Leiterin Qualitätsmanagement und Dozentin Affective Hospitality an der EHL Hotelfachschule Passugg


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