Die Mitarbeitenden «scheinen» lassen

Die Mitarbeitenden «scheinen» lassen

Ein Pingpong-­Fragen­-Antworten-­Spiel von Ernst Aschi Wyrsch, dipl. Hotelier SHV/VDH.


Wir befinden uns in der Arbeits­welt in einer Zeitenwende. Das ist eine Erkenntnis aus der Coronazeit. Bis dahin war un ­sere Sorge immer: Haben wir genügend Gäste? Den Gast glücklich zu machen, war die Kernaufgabe der Hotellerie. Doch Corona zeigte, dass wir den gleichen Aufwand auch für die Mitarbei­tenden leisten müssen. Denn es wurden extrem viele Fachleute und Hilfskräfte aus der Hotellerie abgezo­gen. Das sind belastbare, flexible und hart arbeitende Kräfte, eine begehrte Klientel. So gingen wir in Grau­bünden zu etwa sieben bis acht Prozent «under­staffed» in die Wintersaison 2022/2023. Eine solche Unterdotierung an Mitarbeitenden hatten wir noch nicht.


Was können wir dagegen tun?

Wir müssen uns neu aufstellen. Das heisst, die Mitar­beitenden müssen mit der gleichen Aufmerksamkeit betreut werden wie die Gäste. Früher wurde über Arbeitsanweisungen geführt. Heute muss man die Mitarbeitenden miteinbeziehen. Das hat sehr stark mit dem Generationenwechsel zu tun. Die Y­ und die Z­Generation (Y = 1980 bis 1995, Z = ab 1996) wollen eine Beteiligung haben, sie wollen einbezogen werden. Man muss ihnen den Sinn und Nutzen einer Anwei­sung erklären. Das ist neu und anspruchsvoll in der Führung. Es braucht viel mehr Informationen.


Eigentlich müsste jedes Verwaltungsrats­ oder Ge­ schäftsleitungsprotokoll den Mitarbeitenden zur Ver­fügung gestellt werden, denn die guten digitalen Ideen kommen heute aus der Y­ und der Z­Generation. «Lea­dership» muss neu gedacht werden. Das Modell heisst weg vom Vor­gesetz­ten, bei dem es heisst: «Ich be ­stimme die Regeln», hin zum Gastgeber. Das bedeutet auch, Gastgeber für die Mitarbeitenden zu sein. Es bedeutet, sie und ihre Bedürfnisse in die Überlegun­gen miteinzubeziehen.


Das ist ein Paradigmenwechsel, wir können nicht mehr befehlen, sondern müssen überzeugen. Darum der Begriff des «Gastgebers». Denn das ist ein Mensch, der schaut, dass es den Leuten gutgeht, den Gästen genauso wie den Mitarbeitenden. Wenn das erfüllt wird, kann die Hotellerie und Gastronomie durchaus neue Leute in die Branche ziehen. Denn deren Auftrag lautet, Menschen glücklich zu machen.


Ist jeder Mitarbeitende an den Protokollen von Verwaltungsrat oder Geschäftsleitung interessiert?

Natürlich nicht, niemand kann zum unternehmeri­schen Handeln und Denken gezwungen werden, aber es kann angeboten werden. Allein dadurch findet schon eine wertschätzende Führung statt. Früher befahl der Chef, und die anderen gehorchten. Dieses Modell wurde abgelöst durch einen beteiligenden Führungsstil. Soweit die Mitarbeitenden sich denn beteiligen lassen. Das ist der springende Punkt. Das wurde bisher nicht gelehrt. Da müssen wir ansetzen, in einer Branche, in der die Nachteile zu stark betont werden.


Braucht es nicht auch Menschen, die sich die Hände schmutzig machen?

Doch. Ich fülle die Rolle der Führungskraft so aus, dass ich, bildlich gesprochen, den Schulterklopfen­Führungsstil anwende. Indem ich routinemässige Arbeiten nicht als selbstverständliche hinnehme. Eine gute Führungspersönlichkeit ist jemand, der herum­geht und schaut, wie es den Mitarbeitenden geht. Er holt sie ab bei dem, was sie tun. Die entscheidende Frage ist immer: Ist die Person zufrieden mit dem, was sie tut? Was kann ich tun, dass sie mehr Sinn und Nutzen in ihrer Tätigkeit sieht? Das ist auf jede Tätig­keit anwendbar und kann in einem Satz wunderschön zusammengefasst werden: Hinhören, um zu verste­hen, und nicht, um zu antworten.


Wer diesen Satz begriffen hat, ist als Führungsperson für die Zukunft gewappnet. Der Aufwand, der in der Mitarbeiterführung gemacht wird, muss massiv ge ­steigert werden, um die Attraktivität der Hotellerie und Gastronomie zu halten. Wer das nicht macht, wird immer mehr Probleme haben, Mitarbeitende anzuziehen. Es ist hochinteressant, dass wir jetzt im Kanton Graubünden und anderswo Betriebe haben, die keinen Mangel an Mitarbeitenden haben. Dagegen gibt es einen grossen Teil, der sagt: «Wir haben ein massives Problem.» Diese Unterschiede haben nichts mit Glück oder Zufall zu tun, sondern damit, wie Füh­rungskräfte ihre Rolle interpretieren.


Hat die Hotellerie ein Thema mit den Arbeitszeitstrukturen?

Ein Mitarbeiter, ein Job, das ist ein starres System. Innerhalb eines Betriebs kann eine Person aber viel­leicht zwei oder drei Aufgaben übernehmen. Wir müs­sen das gleiche Denken anwenden wie beim Gast und hinhören, ob das Angebotene wirklich das Gewünschte ist. Damit können wir die Mitarbeitenden einbinden und sehen, wie die Bedürfnisse der Gäste so abgedeckt werden, dass auch die Lebensqualität der Mitarbeiten­den gesichert ist.


Besonders Mitarbeitende aus der Y­ und der Z­-Genera­tion gewichten ihre Work­Life­-Balance höher als das rein Monetäre oder die technische Abwicklung einer Arbeitsstelle. Wenn ich also die Mitarbeitenden nicht über Sinn und Erfüllung erreichen kann, liegt der Fehler nicht bei diesen, sondern bei der Führungs­kraft. Dort liegt eine grosse Hebelwirkung. Dazu muss ich die Strukturen neu denken. Zum Beispiel: Wollen meine Mitarbeitenden Zimmerstunden haben? Für einige ist das perfekt und sie gehen zwei, drei Stunden Ski fahren. Dann gibt es andere, die das völlig alt­backen finden. Für diese muss ich mir überlegen, ist es richtig, wie wir es machen? Sonst kann ich den Mitarbeitenden kein adäquates Angebot machen. Der Schlüssel für Veränderung liegt bei den Führungs­personen, sie müssen neu denken. Sie müssen viel mehr hinhören. Was sie bisher automatisch bei den Gästen machten, müssen sie nun auch bei den Mit­arbeitenden tun.


Der Gast ist König, und was ist mit den Mitarbeitenden?

In der heutigen Zeit ist der Satz «Der Gast ist König» hochgradig gefährlich. Das impliziert, dass die Mit­arbeitenden Untertanen sind. Unsere Mitarbeitenden müssen immer noch dienen, das ist richtig. Doch sie müssen sich in der Wertschätzung auf Augenhöhe mit den Gästen befinden. Wenn Führungskräfte das begreifen, können sie Veränderungen bewirken.


Die gute Nachricht ist, dass ich das als Führungs­persönlichkeit nicht allein bewerkstelligen muss. Ich kann die Mitarbeitenden fragen: Hier ist das Bedürf­nisse des Gastes, wie können wir dieses erfüllen? Wer kann welchen Job machen? Wer welche Struktur ab ­decken? Dann kommen kreative Ansätze, und das ist die erwähnte Beteiligung. Es geht um operationelle Veränderungen, die für Gäste wie Mitarbeitende glei­chermassen passen. Raus aus dem Büro. Herumgehen. Den Menschen in die Augen schauen. Hinhören, nicht um zu antworten, sondern um zu verstehen.


Der Hotelier und Dozent für Leadership mit Herz, Ernst Aschi Wyrsch, meint, die Devise «der Gast ist König» ist «hochgradig gefährlich». Er will damit zum Nachdenken in der eigenen Branche anregen.

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