«Eine Verpflichtung unseres Landes für die Menschheit» – die Hotelerneuerung

«Eine Verpflichtung unseres Landes für die Menschheit» – die Hotelerneuerung

Jede Zeit hat ihre staatlichen Förderprogramme. Tourismus und Hotellerie

als wesentliche Teile der KMU-Wirtschaft sind seit jeher Teil dieser Programme. Geht es heute um Digitalisierung und Finanzierungen für Hotels, waren es

im Zweiten Weltkrieg Arbeitsbeschaffungsmassnahmen für Architekten.

Eine Inventarisierung der Hotels sollte die Basis für ein bauliches Sanierungsprogramm in der ganzen Schweiz liefern. Ein aktueller Blick 80 Jahre zurück.


Von 2024 bis 2027 will der Bundesrat 646 Millionen Franken für die Standortförderung ausgeben. Davon sind 278 Millionen für den Tourismus vorgesehen. Das Geld soll eingesetzt werden für die Digitalisierung oder für Erleichterun-gen der Finanzierung von Hotelinvestitionen (z. B. Sistierung von Darlehen). Der Bundesrat verspricht sich davon, die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität der Schweizer KMU-Wirtschaft zu erhalten und zu steigern. Die politische Beratung zur Standortförderung des Bundesrates begann am 24. April in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben im Ständerat.


Mission der Fremdenverkehrswirtschaft

1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, lancierte der Bun-desrat ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Fremdenverkehrswirtschaft. Zum einen sah er sich dazu veranlasst, weil die «meisten geöffneten Fremdenhotels mit Verlust arbeiten mussten und nicht an den notwendigen Unterhalt der Gebäude und Einrichtungen denken konnten». Als Basis für das Programm wurde ab 1943 eine umfassende Inventarisierung der Schweizer Hotellerie durchgeführt.


Im Vorwort zum Schlussbericht*, datiert mit 1. August 1945, betonte der Auftraggeber, Bundesrat Enrico Celio (* 1889/† 1980, Amtszeit: 1940–1950), die besondere Mission, welche der Fremdenverkehr hatte: «Die landschaftlichen Schönheiten unseres Landes, die heilende Wirkung unseres Klimas und das beruhigende Milieu unserer Friedensinsel legen uns besondere Verpflichtungen gegenüber der Menschheit auf.» So sollte «die Hotelerneuerung und die Kurortsanierung» als Instrument gegen Arbeitslosigkeit im «Kleingewerbe unserer Gebirgsgegenden» eingesetzt werden. Geleitet wurde die Hotelinventarisierung vom Luzerner Architekten und Präsidenten der Schweizerischen Zentrale für Verkehrsförderung, der auch Direktor der Landesausstellung 1939 (Landi) war, Armin Meili.


«Falsche Baugesinnung»

Die Notwendigkeit für das Projekt sah Meili in den «Verheerungen einer falschen Baugesinnung im Hotelwesen und insbesondere in den Kurorten». In dieser Analyse wird Meilis Mission erkennbar. Er wollte die Ergebnisse der «falschen Baugesinnung» transparent machen. Sie war in seinen Augen ein wesentliches Element für schlecht rentierende Hotels. Dazu schrieb er im Schlussbericht des Projekts «Bauliche Sanierung von Hotels und Kurorten» im Jahr 1945: «Wir sehen den Unkostenanteil nicht, den z. B. ein schlechter Grundriss verursacht. Diese Zahlen berücksichtigen auch nicht das überzählige Personal, das infolge zu langer Betriebsdistanzen, Wegkreuzungen oder zu vieler Stockwerke sowie schlecht disponierter Wirtschaftsräume benötigt wird.»


Die Situation des einzelnen Hotels liess Meili vor Ort von Experten anhand von vier Kriterien untersuchen: wirtschaftliche Situation, bauliche Gegebenheiten, Standort, personelle Qualitäten. Unterstützt wurde er bei der Rekrutierung der Fachleute von drei schweizerischen Verbänden (Ingenieur- und Architektenverein, Architekten-Bund, Techniker-Verband). Dabei war wohl kaum zu verhindern, dass auch Baufachleute mit «falscher Gesinnung» von der Massnahme zur Arbeitsbeschaffung profitierten. Das «Überangebot in unserer Hotellerie» erachtete man damals als Ergebnis eines «ungeordneten Spekulationswettlaufs». Meili erwähnte Orte, «die bis zum Überlaufen mit Hotels und Pensionen angefüllt sind, so dass der Anblick von ganzen Dörfern und Gegenden bis zur Hässlichkeit entstellt ist».


Modefeste Hotels

Der Mode der «kostspieligen Begleiterin der Hotel-lerie» stellte Meili die «Modefestigkeit» entgegen. Er plädierte im Hotelbau beziehungsweise -umbau für die «zeitlose Gestaltung des Zweckmässigen», die durchaus das «persönliche Kolorit seines Inhabers» tragen dürfe. Überhaupt erachtete Meili die «Hotelier-persönlichkeit», die ein Haus gut führt und «mit dem lebendigen Menschen rechnet», als wesentliches Element der Hotelerneuerung.


Neben diesem individuellen Faktor wollte er für die Hotellerie einen «Gesamtplan» für die Schweiz realisieren. Er schreckt nicht davor zurück, radikale Massnahmen vorzuschlagen. Hotels, «die ungünstig gelegen oder unzweckmässig disponiert oder überhaupt überaltert sind», müssten «ausgeschaltet» – sprich abgebrochen – werden. So wie beispielsweise das Hotel Du Lac in Luzern mit seiner prägenden Glaskuppel (1897). Es wurde als Opfer des Zeitgeistes 1948 abgerissen. Was im Sinne von Meili gewesen sein dürfte. Er empfahl die «Säuberung der Baukörper von den unzweckmässigen und hässlichen Zutaten aus dem Ende des letzten Jahrhunderts» (Darum wurde 1948 ein Gebäude der Belle Époque abgerissen, Luzerner Zeitung, 31 .1. 2023).


Satellitenhotel statt Bündnerstuben und Walliserkannen

In seinem Bericht mahnte Meili 1945, man solle sich vor dem «Kult des Kolossalen» hüten. Er sprach sich auch gegen «romantische Übertreibungen» aus, wenn beispielsweise «theatralische Bündnerstuben oder Walliserkannen» in Hotels eingebaut wurden. In bei-dem erkannte er Zeichen der «Vermassung des Frem-denverkehrs», die er ablehnte. Stattdessen plädierte Meili für das «Menschliche und Intime» in Hotels. Übertragen ins Bauliche, so empfahl er, sollten Hotels nur ausnahmsweise mehr als 200 Betten» haben.


Neben dem eher buchhalterischen Inventarisieren der schweizerischen Hotellandschaft drückt im Schlussbericht auch ein prognostisches Denken von Architekt Armin Meili durch. Er meinte, grosse Hotelbaukörper würden künftig in kleine Einzelgebäude aufgespalten, in den Typ des «Satellitenhotels». Konkretes stellt er sich für die Zukunft Hotelkomplexe vor, die als «Pfahlbauerdorf», als «Bergdorf» oder in Form eines «alten Kartäuserklosters» – unter «geschicktestem Einbezug der Landschaft – gebaut würden. Um, nicht ganz uneitel, ein von ihm entworfenes Projekt als gelungenes Beispiel anzuführen, ein Pavillonhotel in Verbier.


Kritik an Kurortbehörden

Die «Sanierung von Kurorten» war die zweite Ambition, die mit dem Meili-Schlussbericht 1945 verfolgt wurde. Untersucht worden sind 35 Kur-orte in der ganzen Schweiz, für die «Studienpläne» erstellt wurden. Sie sollten die Grundlage zur «schöpferischen Bearbeitung ganzer Orte» sein und zur «Milieubildung für Hotels» in den Kurorten beitragen. Es sollte den Behörden und der Privatwirtschaft «die Augen für die Wichtigkeit einer weitausholenden Planung» geöffnet werden.


Die Ortsplanungen, die von Gemeindebehörden oft nur entlang von den Ergebnissen aus «Ideenwettbewerben» an die Hand genommen worden waren, kritisierte Meili scharf. Er meinte, die Behörden würden dabei «vage Wünsche» verfolgen, ohne ein eigenes, klares Konzept zu haben. Die Verwirklichung solch vager Pläne verschlinge viel Geld, nicht selten für kostspielige Landenteignungen. Meili konstatierte, dass die Gemeindebehörden mit der Ortsplanung überfordert seien. Es mangle ihnen an der Fähigkeit, «Einzelinteressen in die Interessen des gesamten Ortes» einzuordnen. Um dieser Überforderung entgegenzuwirken und den Behörden ein Instrument für eine planerische Gesamtschau in die Hände zu geben, formulierte Meili die Hoffnung, dass «das grösste bisher in unserem Lande durchgeführte Planungswerk» eine «weitestmögliche Realisierung» verdiene.

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