Originell, aber nicht nachhaltig

Originell, aber nicht nachhaltig

In der Hoffnung auf höhere Auslastungszahlen und Umsätze erweitern viele Hoteliers ihr Bettenangebot mit zum Teil sehr speziellen Umsetzungen. Marc Aeberhard, Dozent an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern, ist nicht nur glücklich über diese «Aktionitis».

Die Lage des Hauses, das gastronomische Angebot, der Gästeservice, Zu satz­leistungen wie Spaange­bote oder Aktivitätenpro­gramme für Erwachsene und Kinder sowie die Ausgestaltung des Zimmerangebotes tragen wesentlich zum Erfolg eines Be­ herbergungsbetriebes bei. Mit zum Teil originellen und als besondere Innovation gepriesenen Ergänzungen der Übernach­tungsmöglichkeiten drehen zahlreiche Hoteliers an diesen «Stellschrauben des guten Gedeihens». Das Resultat sind be­ sondere, oft geradezu ausgefallene Hotel­zimmer, mit denen im In­ und Ausland um Gäste gebuhlt wird. Beispielsweise ein Rooftop­Zimmer mit Blick in den Sternen­himmel, ein Bett im nahen Kornfeld oder eine De­luxe­Jurte im Park. Stellt sich die Frage: Sind solche An gebote überhaupt notwendig und machen sie Sinn?


Alleinstellungsmerkmal fehlt

Für Marc Aeberhard, Dozent an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern, öffnet man mit dieser Frage die Büchse der Pandora: «In der Schweiz gibt es unzählige Hotels, deren Produktemix und Angebote sehr austauschbar sind. Andererseits exis­tieren relativ wenige Betriebe, die über ein signifikantes Alleinstellungsmerkmal beziehungsweise einen echten USP ver­fügen», ist er überzeugt. «Diese Ausgangs­lage mündet nur zu oft in Situationen, in denen einzeln angefügte Zusatzangebote vom Standardangebot wie Fremdkörper abstehen», erklärt Aeberhard. «Mit Fug und Recht kann man sich fragen, was damit bezweckt werden soll.» Für ihn sind es einzelne Mosaiksteine, die in keinem Gesamtkonzept stehen. «Da hat ein Hotel vielleicht 10, 20 oder mehr Zimmer, und eines davon unterscheidet sich ganz wesentlich von allen andern. Das macht eigentlich keinen Sinn und schafft bezüg­lich der Kommunikation nach Aussen und der Bewirtschaftung nach Innen eher Ver­unsicherung und Durcheinander.»


Maximales Frustpotenzial

Marc Aeberhard, er führte selbst während Jahren renommierte Hotelbetriebe im In­ und Ausland, bestreitet keineswegs, dass mit diesen Angeboten zusätzliche Umsätze generiert werden können, «denn sie lassen sich in der externen Kommunikation des Betriebes und durch touristische Orga­nisationen bestens vermarkten. Diese Themen werden von den Medien und potenziellen Gästen immer gerne auf ge­nommen», macht er deutlich. Aber: «Das Frust potenzial bei interessierten Gästen ist immer dann maximal, wenn es sich beispielsweise um nur ein einziges Roof­top­Zimmer handelt und dieses ständig besetzt ist. Sehr rasch ist man vom ganzen Betrieb enttäuscht.»

Für Aeberhard tragen solche Zusatzan­gebote wenig zur strategischen Positionie­rung des Hotels bei: «Sie definieren keines­falls Uniqueness, denn sie stehen ohne Bezug zum Gesamtkonzept eines Hotels.» Ein einziges Element wecke bloss eine Erwartungs haltung, der man unter Um­ ständen nicht entsprechen könne. Er unterstreicht seine Aussage mit einem t reffenden Bild: «Ein VW bleibt ein VW, auch wenn man einen Mercedes­Stern, das Bentley­Logo oder die Rolls­Royce­Emily auf die Kühlerhaube montiert. Das ist das grundsätzliche Problem.»


Die Hausaufgaben nicht gemacht

Originelle (Zimmer­)Anbauten sind ge­mäss Marc Aeberhard deshalb eine heikle Angelegenheit, weil sie nicht in der DNA des Betriebes verankert seien. Der Gast nehme grundsätzlich das Hotel an sich wahr, nicht ein einzelnes Element daraus. «Mag es noch so lustig sein, nachhaltig ist es aber ganz sicher nicht», gibt er zu Proto­koll und bringt einen weiteren Aspekt aufs Tablett: «Ein Hotelier muss sich die Frage stellen, ob er sein Haus über den Preis oder das Produkt vermarkten will. Steht der Preis im Vordergrund, hat er ohnehin be ­reits schlechte Karten, da die Konkurrenz durch grosse Hotelketten über ganz andere Yield­Tools verfügt.» Das Potenzial der Schweizer Hotellerie mit ihren traditionell gewachsenen Be trieben mit teilweise Jahr­hunderte alter Vergangenheit liege in ihrer Geschichte und ihrer historisch gewach­senen Seele. «Wer sich nicht über das Pro­dukt identifizieren kann, hat seine Haus­aufgaben nicht gemacht.»

Der Hotelfachmann begründet seine Aus­sagen auch mit einem Paradigmenwechsel in der Gesellschaft. Mit der Generation Z und der Generation Alpha rücke das «to have» in den Hintergrund. Heute sei das «to be» wichtig. Jetzt müsse die Frage im Vordergrund stehen, wie sich ein Hotelgast bei seinem Aufenthalt gefühlt habe: «Emp­fand er Geborgenheit, fühlte er sich an ge­kom men, spürte er eine positive Grund­stimmung, fand er Gefallen am Charakter des Hauses?» Es gehe nicht nur um «been there, done that, got the T­shirt», sondern um ein Gesamterlebnis, das Nachhaltig­keit und eine echte Ich­Erfahrung mit ein­schliesse. «Das alles ist entscheidend. Und daran ändert auch ein einzelnes Puzzleteil wie beispielsweise das bereits er wähn te Rooftop­Zimmer nichts.» Es brauche eine Idee, daraus müsse eine Vision ent stehen, dann eine Philosophie und schliesslich ein Konzept. «Nur was in der DNA eines Hotels verankert ist, hat Aussicht auf langfristige Nachhaltigkeit. Dann bestehen Aussichten auf Erfolg», ist Marc Aeberhard sicher.

Spannende Einzelkonzepte

Entsprechende Bestrebungen erfordern indes einen tiefen Griff ins Portemonnaie. Dem kann Aeberhard beipflichten, er gibt aber mit dem Hinweis auf mög liche Finan­zierungshilfe durch die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH) oder das Staatss ekretariat für Wirtschaft (SECO) Entwarnung. «Die Schweiz steht diesbezüglich sehr gut da», hält er fest. «Leider scheitert es oft an der Qualität der Konzepte.»

Mit einem Hinweis auf sogenannte Pop­up­Konzepte findet er trotzdem einen ver­söhnlichen Schlusspunkt: «Sie sind zeitge­mäss, vergänglich und dynamisch. Es pas­siert immer etwas, und der Hotelier be weist Kreativität.» Entsprechende Umsetzungen seien aber idealerweise wie Stand­alone­Juwelen individuell, in sich geschlossen und als erratische Produkte wahrnehm­bar, «wie zum Beispiel die entlegene Alp­hütte, die als zusätzliches, einzeln regist­riertes Produkt angeboten wird». Der Gast profitiere von der Dienstleistungspalette eines Hotels, bringe es aber nicht in direk­ten Zusammenhang mit seinem Aufent­haltsort: «Das passt natürlich, denn in der Empfindung des Gastes sind dies zwei ver­schiedene Sachen. Was im Hintergrund verknüpft ist, spielt keine Rolle.»


Marc Aeberhard: «Uniqueness ist gut, aber das Gesamtkonzept darf nicht aus den Augen gelassen werden.»

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