Die Wichmans – eine Story mit märchenhaften Zügen

Die Wichmans – eine Story mit märchenhaften Zügen

Das Hotel Spitzhorn in Saanen bei Gstaad ist eines der ­erfolgreichsten neuen Hotels in diesem Jahrhundert. Jüngstes Projekt von Michel und Ilse Wichman ist das Boutiquehotel The Mansard im Herzen von Gstaad, das im November 2023 eröffnet wird. Doch das ist nicht alles. Es könnte noch viel besser kommen.

Michel, du brauchst ein Mädchen, und ich brauche einen Mann! Mit diesem Satz brachte die junge Ilse ihren Verehrer Michel, der wie ein Verrückter um ihre Gunst kämpfte, schier zur Verzweiflung. Schauplatz des rührigen Umwerbens war vor gut einem Vierteljahrhundert das Le Grand Chalet in Gstaad. Dort, auf der Sonnenterrasse über dem Dorf, hatte der weltgewandte Österreicher Franz Rosskogler zu Beginn der 90er-Jahre eines der schönsten und ­besten Chalet­hotels der Schweiz hinstellen lassen. Mit einer grandiosen Küche und einem atemberaubenden Weinkeller, wohlgemerkt.


Rosskogler, der grosse Lehrmeister

Ilse war damals als Front Office Managerin so etwas wie Rosskoglers linke Hand, Michel als Vizedirekor die rechte. «Der Franzl war unser Lehrmeister, der uns das Funktionieren der Schweizer Hotellerie perfekt erläutert hat», erinnert sich Michel Wichman. «Wir empfinden für ihn bis heute nur Respekt und Bewunderung.» Mitgespielt hat bei der engen Beziehung auch, dass Rosskogler keine Kinder hatte. So waren die beiden tüchtigen jungen Leute für den charismatischen Hotelier weit mehr als wichtige Mitarbeiter. Rosskogler hatte Michel Wichman denn auch als seinen Nachfolger auserkoren. Doch es sollte alles ganz anders kommen.



Dass der gebürtige Niederländer und die gebürtige Österreicherin, die heute Schweizer Bürger sind, zu einem der erfolgreichsten, innovativsten und schillerndsten Paare der helvetischen Hotellerie ­würden, ahnte damals niemand. Erst recht nicht, als es früh zu einem unerwarteten Dämpfer kam. Es war kurz nach der Jahrhundertwende, als der Basler Medizinaltechnik­unternehmer und Milliardär ­Thomas Straumann das marode Gstaader Drei-Sterne-Hotel Bellevue mit 100 Millionen Franken in einen Traumpalast verwandelte. Michel und Ilse Wichman – sie war doch tatsächlich seine Frau geworden – wurden aus dem Le Grand Chalet abgeworben und wechselten ins neue Luxus­hotel, das jetzt Grand Hotel Bellevue hiess. Er stieg rasch zum General Manager auf, sie kümmerte sich ums Personalmanagement und war zuletzt ebenfalls Mitglied der Geschäftsleitung. Das Grand Hotel Bellevue, das heutige Le Grand Bellevue, wurde von den Wichmans mit grösstem Engagement und Leidenschaft geführt, wie wir aus eigener Erfahrung wissen. Doch unter der Decke lag gar vieles im Argen.


Senkrechtstart mit dem Spitzhorn

Michel Wichman mag sich dazu nicht mehr äussern. «Lieber alles verlieren und mich haben, als alles haben und mich verlieren» sagte er sich damals. Die Jahre im Bellevue bleiben ihm trotz allem als schön und lehrreich in Erinnerung. Geärgert hat er sich nur, als eine Lokalzeitung auf der Titelseite ein Bild von ihm mit der Schlagzeile «Fristlos entlassen» brachte. «Das war völlig daneben und falsch.» Sein Verhältnis zu Thomas Straumann ist denn auch bis heute ungetrübt. Man begegnet sich mit Respekt und Sympathie. «Die Straumanns gratulierten uns mit einem persönlichen Schreiben zur Eröffnung des Spitzhorns, und auch heute mailen wir uns ab und zu», betont Wichman.





Ja, das Spitzhorn. Nach dem Abschied vom Bellevue und einer Verschnaufpause lancierten Michel und Ilse Wichman mit dem neuen Hotel in Saanen-Gstaad eine Erfolgsstory, die ihresgleichen sucht. Seit der Eröffnung im Dezember vor neun ­Jahren belegt das Spitzhorn im Schweizer Hotelrating einen Spitzenplatz unter den besten Nice-Price-Frienhotels. In der Rangliste der besten Winterhotels mit drei Sternen steht es gar ohne Unterbruch auf Rang eins. Das Spitzhorn ist ohne Frage eines der erfolgreichsten neuen Hotels in diesem Jahrhundert.


In die Lücke gestossen

Das Chalet mit dem Anspruch, in allen Bereichen besser zu sein als ein «Drei-Sterne-Hotel», stiess mit seinem Konzept in eine klaffende Lücke und ist aus dem Berner Oberland nicht mehr wegzudenken. Zu­­sammen mit ihrem glänzend eingespielten Team, das zum grossen Teil schon von Be­ginn weg dabei ist, haben Michel und Ilse Wichman eine wohltuende Unkompliziertheit, pure Lebensfreue und ein tolles Ambiente ins Chalethotel gezaubert. Nur wenige Häuser stehen so beispielhaft für die inspirierende, aufregende Form der modernen Ferienhotellerie.


Michel Wichman war im neuen Spitzhorn ein Mann der ersten Stunde. Er wurde schon in die Pläne des neuen Hotels ein­gebunden, bevor das alte Spitzhorn abgebrochen war. Er besuchte jede Bausitzung, und schliesslich konnten die Wichmans das Hotel über die Wichman Horeca AG von der Basler Leben AG mieten. Geführt wird es von ihnen auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko. Für das Konzept mit drei Sternen entschieden sie sich ganz bewusst. HotellerieSuisse hätte das Haus als vier Sterne superior klassiert, doch für Michel gehören Sterne schon längst an den Himmel. Er wollte genau das, was im Saanenland fehlte: Ein Drei-Sterne-Superior-Hotel, das ganzjährig von Leben erfüllt ist und allen, von den Geschäften bis zu den Bergbahnen, mehr Leute bringt.


Alles optimal optimieren

Das Spitzhorn ist eines der bestausgelas­teten Hotels im Land, und die Frage nach dem Erfolgsrezept wird entsprechend oft gestellt. Alles will Michel Wichman nicht verraten, doch vieles ist offensichtlich. «Nicht immer mehr von allem, aber das Beste vom Wichtigen», ist einer seiner ­Leitsätze. Die volle Konzentration auf das Wohlbefinden des Gastes und aufgestell­te, herzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für Ferienstimmung sorgen: Schön und gut, das strebt wohl jeder gute Hotelier an. Aber da ist eben noch allerhand anderes. So gibt es im Spitzhorn weder einen Nachtportier noch einen Barman; die Bar wird tagsüber von den Rezeptionisten geführt. Der Gast trägt den Koffer selbst aufs Zimmer. Ist Hilfe gefragt, ist immer jemand zur Stelle. Auch die Wichmans selbst.

Minibar, Roomservice oder Limousinenservice gibt es nicht. Und auf der Lohnliste stehen nur 26 Leute – für immerhin 50 Zimmer mit 120 Betten. Es wird optimiert, wo immer es geht. Das Verwenden von Fixleintüchern reduziert die Abläufe erheblich, ungebrauchte Zuckersäckli für den Tee oder Kaffee werden zurückgenommen und wieder aufgetischt und so weiter. «Am Ende des Jahres haben wir mit diesen lächerlichen Rappenbeträgen immerhin 1000 Franken eingespart», sagt Michel Wichman.


Alle machen alles

Grösster Wert wird im Spitzhorn auch auf die Vielseitigkeit und Flexibilität der Mitarbeiter gelegt. Die Aufgaben sind nämlich nicht fix verteilt. Was getan werden muss, soll schnell und zur Zufriedenheit aller getan werden – egal, von wem. «Grundsätzlich bleibt immer eine Stelle unbesetzt, damit wir alle auf Trab gehalten werden», schmunzelt Wichman. «Wir führen das Hotel wie einen Familienbetrieb, obwohl er keiner ist.» Und natürlich will man auch Geld verdienen. An den publizierten Preisen wird nicht gerüttelt. Dumping gibt es im Spitzhorn nicht, das berühmte Yield-Management ist kein Thema. Treue Gäste werden dafür mit einem Upgrading belohnt.


So unscharf die Rollenverteilung unter den Mitarbeitern definiert ist, zwischen den Wichmans ist sie klar. Michel gibt den Querdenker, Rebell, Revolutionär und ab und zu auch den Unruhestifter. Er geht am liebsten links, wenn alle rechts gehen, und umgekehrt. Er ist der Aussenminister und schaut, dass das Geld reinkommt. Sie ist die Innenministerin. Ruhig, besonnen, nie hektisch und gleichwohl mit einer Menge Charisma und Charme. Sie sorgt dafür, dass das Geld nicht unkontrolliert rausgeht. «Wir sind wie Wasser und Feuer», sagt Michel. «Wir ergänzen uns bestens.»

Ohne Punkte und Sterne

Im Restaurant des Spitzhorns isst man hervorragend, die alpinen Klassiker sind gar kaum zu überbieten. Punkte oder gar Sterne sucht man indes vergeblich. Und derlei wird auch nicht angestrebt. Michel Wichman hält wenig von der «sinnent­leerten Jagd nach Punkten und Sternen, von gestelztem Getue und Wichtigtuerei». Für ihn zählt einzig das Wohlbefinden des Gastes, dass diesem das Essen in gemüt­licher Atmosphäre schmeckt und das Preis-Leistungs-Verhältnis optimal ist. «Der Teller muss nicht immer von rechts kommen, und es muss auch nicht immer Rotwein zum Fleisch sein», sagt er. «Weit wichtiger ist, dass mit Freude und Liebe serviert wird.»

Dass Sterne an den Himmel gehören, ist, wie schon erwähnt, einer von Michel Wichmans Lieblingssprüchen. Doch natürlich weiss auch er, dass Hotelsterne dem Gast eine wichtige Orientierung bieten, dass sie eine Basis sind – und dass das auch so bleiben wird. Weil die Hotels mit drei Sternen in der Schweiz das grösste und wichtigste Segment bilden, kam er vor sieben Jahren zusammen mit einigen Hotelierskollegen auf die Idee, die Kooperation Best 3 Star Hotels zu gründen und übernahm für die ersten fünf Jahre gleich das Präsidium.


Der Ansturm von interessierten Hotels übertraf alle Erwartungen. Wichman räumt ein, dass er und seine Kollegen im Vorstand anfänglich zu vertrauensselig, vielleicht auch zu naiv waren. Jedenfalls lief einiges nicht so, wie es hätte laufen ­sollen, und man trennte sich von Geschäftsführer Fiorenzo Fässler. «Der Charakter eines Menschen zeigt sich nicht bei der ­ersten Begegnung, sondern bei der letzten», weiss Michel Wichman. Mehr will er zum Thema nicht mehr sagen.


Hohe Erwartungen in The Mansard

Weit lieber spricht er über sein neues Projekt, The Mansard. Das im Bau befindliche Hotel im Dorfzentrum von Gstaad sorgt mit seinem eigenwilligen Konzept schon heute für Schlagzeilen und wird im No­­vember 2023 eröffnet. Hauptattraktion wird eine wunderschöne Dachterrasse mit Restauration und atemberaubender Aussicht sein. Die Idee für dieses Hotel reicht zurück in Wichmans Zeit im Bellevue. Dort hatte er mit Leuten der Firma InterGlobe Kontakt und wurde immer wieder gebeten, etwas Gemeinsames zu unter­nehmen. InterGlobe ist der Konzern, für den heute auch Mark Jacob arbeitet, der frühere General Manager von The Dolder Grand (siehe Seite 23).


Im Unterschied zu Mark Jacob ist Michel Wichman natürlich kein Angestellter von InterGlobe, sondern besitzt einen Beratervertrag und hat sich an der 2020 gegrün­deten InterGlobe (Switzerland) Gstaad AG beteiligt. Mit The Mansard hat er völlig freie Hand, und so erstaunt es kaum, dass die Philosophie dem Spitzhorn mehr als nur ähnlich sein wird. Das neue Hotel mit seinen 30 Zimmern wird auf Understatement machen und soll weit mehr bieten, als die drei Sterne am Eingang versprechen. Es soll den Wow-Effekt auslösen, die Er­­wartungen der Gäste in jeder Hinsicht übertreffen und sie begeistern. Ansprechen will man Leute aus allen Schichten und Generationen. Prominente, Businessleute, Sportler, Familien und Einheimische. Auch der Bauer aus dem Dorf soll im The Mansard auf der Terrasse seinen Stumpen rauchen können. So wie im Spitzhorn eben.


Aufbau einer kleinen Hotelgruppe

Wichman legt jedoch Wert darauf, dass die beiden Hotels nichts miteinander zu tun haben, völlig unterschiedlich sind und unabhängig voneinander arbeiten werden. Als Miteigentümer wird er dafür sorgen, dass The Mansard eine Seele bekommt, die Führung aber wird er einem Paar über­geben oder jemandem, der das Bijou mit Liebe und Leidenschaft führt. Etliche In­­teressenten haben sich schon gemeldet, entschieden ist noch nichts.


Dass 30 Zimmer eine kritische Grösse sind, lässt Wichman nicht gelten. Er hat alles durchgerechnet, und für The Mansard geht die Rechnung auf. «Im Übrigen zeigen zahl­reiche Beispiele auch aus unserer Region, dass kleinere Boutiquehotels durchaus erfolgreich betrieben werden können – sofern man es richtig macht.» The Mansard soll auch nicht das letzte Hotel dieser Art sein. Geplant ist der Aufbau einer kleinen Gruppe von Hotels, verteilt auf die ganze Schweiz, die alle nach demselben Konzept funktionieren.


Märchenhafte Züge

«Wir setzen auf Spiel, Spass, Lust und Freude», sagen die Eltern eines 16-jährigen Sohnes übereinstimmend und sind überzeugt, dass sie auf ihrer beruflichen Reise noch das eine oder andere unternehmen werden. Derzeit prüft Michel Wichman gar den Einstieg in eine Ice Cream Factory. In Gstaad heisst es, er sei manchmal schon ein bisschen verrückt. Aber immer im positiven Sinn. Er sprühe vor Ideen und ziehe mit eisernem Willen durch, was er sich in den Kopf gesetzt habe. Vor allem habe er den Mut, anders zu sein als die andern. Und genau dann sei er oft ein ganzes Stück besser. Klar, dass das auch Neider auf den Plan ruft. Aber wie sagte doch schon der grosse Unternehmer Werner H. Spross: «Wer keine Neider hat, hat etwas falsch gemacht im Leben.»

Über alles gesehen, ist eigentlich manches erstaunlich an der Geschichte der Wichmans. Hier die Ilse aus einem kleinen österreichischen Bergdorf, die mit 18 Jahren in die grosse, weite Welt hinaus wollte, kurz entschlossen einen ersten Flug nach New York buchte und in ihrem Heimatort für verrückt erklärt wurde. Da der Michel aus den Niederlanden, der als kleiner Junge Gstaad kennenlernte und sich in den Ort verliebte. Weil es dort mehr Kühe als ­Einwohner gab. Weil man weder Ampeln noch Staus kannte und weil die Läden ihre Sachen über Nacht draussen stehen lassen konnten, ohne dass sie geklaut wurden.

Dass sich die die Österreicherin und der Niederländer im Berner Oberland fanden und gemeinsam eine derartige Erfolgsstory schrieben, hat durchaus märchenhafte Züge.


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