Samih Sawiris hat sein Tourismusimperium dem ältesten Sohn Naguib übergeben. Geändert hat sich für ihn freilich nicht viel. Das Leben in der Wüste und auf dem Meer, das er immer so geliebt hat, geniesst er heute einfach noch intensiver. Und Andermatt mit dem blühenden Herzstück The Chedi ist für ihn nicht bloss ein Milliardenprojekt, sondern mehr denn je eine Herzensangelegenheit.
Samih Sawiris traf ich erstmals vor mehr als zwölf Jahren. Vor dem Zürcher Hotel Storchen, in dessen Nähe er eine prächtige Dachwohnung besitzt, wartete eine dunkle Limousine. Am Steuer sass Franz Egle, Ex-Bundesratsberater, PR-Berater und bis heute ein enger Vertrauter von Sawiris. Gemeinsam fuhren wir nach Andermatt, um ein paar Musterzimmer im The Chedi, das gerade im Bau war, zu besichtigen. «Ich habe der einheimischen Bevölkerung viel versprochen und bin emotional entsprechend engagiert», sagte Sawiris. «Alles andere als ein Erfolg des Projekts Andermatt ist undenkbar.»
«Mit dem Hurrikan wird’s spannend»
Das letzte von vielen Treffen mit Sawiris war ein fast dreistündiger Lunch im The Chedi im Frühling dieses Jahres. Entspannt wirkt er zwar so gut wie immer, aber so locker hatte ich ihn kaum je erlebt. Er kam gerade von einem Trip durch die Wüste Saudi-Arabiens. «Es ist immer wieder faszinierend, in Gegenden zu sein, wo noch nie ein Mensch war», weiss er. Wüstentrips haben bei ihm Tradition. Schon lange fährt er zweimal im Jahr je eine Woche durch die Wüste von Oman oder Saudi-Arabien von Oase zu Oase. Zwei bis drei Monate im Jahr lebt er irgendwo auf seinem Boot. Er könnte sich nicht vorstellen, zehn Tage zum Beispiel in New York zu verbringen. «Das Leben auf dem Meer aber ist wunderbar, und gerät man in einen Hurrikan, wird’s auch noch extrem spannend.»
Sawiris’ Lockerheit hat ihre Gründe. Soeben sind die Zahlen der Andermatt-Swiss-Alps-Gruppe für das vergangene Jahr veröffentlicht worden, und die sind hervorragend. Die Auslastung der Hotels The Chedi und Radisson Blu ist auf Rekordniveau, die Immobilienverkäufe nahmen um 58 Prozent auf 122 Millionen Franken zu. Seit dem Projektstart 2007 hat Sawiris in Andermatt 1,3 Milliarden Franken inves-tiert, und mit dem bisher Erreichten ist er mehr als zufrieden. Überrascht ist er vor allem, dass er mit dem Chedi Geld verdient. «Das Hotel habe ich in erster Linie gebaut, um Andermatt bekannt zu machen», sagt er. 300 Millionen Franken hat es ihn gekostet. Allein mit dem Verkauf von Immobilien hat er im Ort bislang das Doppelte davon eingenommen.
Neider mit Fake News
Das unabhängige Immobilienberatungsunternehmen Savills zählt Andermatt neu weltweit zu den Top 5 Prime Ski Resorts, «Times Travel» hat die Destination zum führenden Schweizer Skigebiet gekürt. Bei den Nörglern und Wadenbeissern, die dem Projekt Andermatt von Beginn weg nie eine Chance gegeben haben, sorgen solche Meldungen noch immer für hochrote Köpfe. Dieselben Leute motzten auch wieder, als die Andermatt-Sedrun Sport AG jüngst eine strategische Partnerschaft mit dem weltweit führenden Skigebietsbetreiber Vail Resorts einging. Die Amerikaner beteiligen sich mit 55 Prozent an der Andermatt-Sedrun Sport AG.
Der gesamte Transaktionsbetrag von 149 Millionen Franken wird vollständig in die Weiterentwicklung der Destination investiert. Dass die Neider Sawiris unterstellten, er wolle sich mit einem Teilverkauf bereichern, löst bei diesem nur Kopfschütteln aus. Schliesslich sieht er von diesem Betrag keinen Franken. Er wollte nur schneller bauen, und das ist jetzt möglich. «Hätte ich Geld gewollt, hätte ich The Chedi und das Radisson Blu Hotel verkaufen können», sagt er. «Dazu noch die Skipisten, viel Land und das Immobiliengeschäft. Das hätte mir eine Milliarde eingebracht.»
Mit allen reden
Interessant wird es weiterhin auch auf der Halbinsel Isleten am Urnersee, wo Sawiris 180 000 Quadratmeter Land besitzt. Das heute kaum mehr bewohnte und nicht mehr genutzte Areal einer ehemaligen Sprengstofffabrik will er unter Wasser setzen. In der so entstehenden Bucht sind Bootsanlegeplätze, ein Hotel im 3- oder 4-Sterne-Bereich mit 50 Zimmern, Restaurants, Läden und 100 Wohnungen mit freiwilligem Hotelservice geplant. Auch 50 neue Stellen sollen geschaffen werden. Die Urner Regierung, die Sawiris im vergangenen Jahr für seine Verdienste um Andermatt zum Ehrenbürger ernannt hat, steht dem Projekt positiv gegenüber. Doch was ist, wenn aus allem nichts wird? «Dann verkaufe ich das Land meiner Tochter und sie lässt sich dort eine Villa bauen», lächelt Sawiris.
Dass er es immer wieder schafft, frühzeitig die Politik ins Boot zu holen und auf die Forderungen und Einwände von Umwelt- und Landschaftsschützern einzugehen, ist eine von Sawiris’ ganz grossen Stärken. Ein weiteres Grundprinzip ist, Land zu kaufen, das sonst keiner will. Das Paradebeispiel ist El Gouna. Als er vor bald 30 Jahren mitten in der ägyptischen Wüste am Roten Meer für einen Pappenstiel Land erwarb und eine Stadt zu bauen begann, erklärte ihn sogar sein Vater für verrückt. Heute ist El Gouna ein viel gelobtes Vorzeigeprojekt und war gar zur Coronazeit meist ausgebucht.
Wie man Multimillionär wird
So lief das in allen neun Ländern, in denen Sawiris heute mit seinem Tourismusimperium Orascom tätig ist. Auch in Andermatt kaufte er dem Militär ein riesiges Stück Land zu einem äusserst günstigen Preis ab. «Wenn ich dort baue, wo kein anderer baut, habe ich meine Ruhe», sagt Sawiris. «Ich brauche keine Kompromisse einzugehen und muss mich nicht mit Konkurrenten herumschlagen.» Und vor allem hat er Zeit. «Wenn ein Projekt nicht gleich Geld abwirft, kann ich geduldig warten. Andere Investoren wollen Geld sehen und reagieren panisch, wenn’s nicht läuft.» Das sei ein Teufelskreis, weil man unter Druck gerate. «Dann tauchen Leute auf, die Einfluss nehmen wollen. Diesen ist man ausgeliefert. Man ist gezwungen, Entscheide zu treffen, die man sonst nie treffen würde.»
Sein Business ist für Sawiris sowieso mehr als eine Beschäftigung, mit der man Geld verdienen kann. Es ist eine Leidenschaft. «Ich könnte nie etwas machen, ohne meinen Spass daran zu haben», sagt er. «Wer allein von Geldgier getrieben ist, verliert die innere Ruhe und ist erledigt. Ab einem gewissen Punkt sollte man zur Besinnung kommen.» Der Punkt ist für ihn bei 100 Millionen Franken erreicht. «Wer dann noch immer dem Geld hinterher rennt, hat ein Problem. Er sollte nicht mehr an seinem Vermögen arbeiten, sondern an seinem Verstand.» Sein Rezept, um auf die 100 Millionen zu kommen: «60 Prozent Glück, 15 Prozent Intelligenz, 15 Prozent Arbeit und 10 Prozent Mut.»
«Ich liebe das Leben»
Mit dem, was man gemeinhin unter Arbeit versteht, ist es bei Sawiris so eine Sache. Was er überhaupt nicht mag, ist Stress. «Ich liebe das Leben und habe an keinem Tag mehr als fünf oder sechs Stunden in einem Büro verbracht», sagt er. Wer weitsichtig und langfristig arbeite, solle nicht zu lange in einem Zimmer sitzen. So bleibe genügend Zeit für anderes. Sawiris ist überzeugt, dass es entschieden mehr bringt, draussen in der Welt zu sein.
Sein Vertrauter Franz Egle hat ihm einmal geraten, das in der Schweiz nicht so zu sagen, es käme kaum gut an. Als Antwort erhielt er das bekannte milde Lächeln. Seine engsten Freunde wissen freilich, dass Sawiris gerade in seinen Mussestunden die genialsten Ideen hat. Und sie haben schon vor Jahren prophezeit, was heute alle sehen: Die helvetische Hotellerie, der Innerschweizer Tourismus überhaupt, hatte geradezu unbeschreibliches Glück, dass sich Sawiris nicht nur in die Wüste und das Meer verliebte, sondern ausgerechnet auch noch in Andermatt.
Der Lebenskünstler ist gut gefahren mit seiner Philosophie des stressfreien Daseins und langfristigen Denkens. Entscheidend geholfen hat ihm in allen möglichen Situationen seine vielleicht eindrücklichste Eigenschaft: das gewinnende, freundliche, smarte Wesen. Sawiris ist selbstsicher, aber nie besserwisserisch oder gar arrogant. Er kommt an, weil er so ist, wie er ist. Eigentlich war das schon immer so. Als er von 1976 bis 1980 in Berlin Wirtschaftsingenieurwesen studierte, erhielt er von seinem Vater Onsi, einem milliardenschweren ägyptischen Unternehmer, kein Geld. Papa fand, fürs Studium müsse er selbst aufkommen. Der Sohn wusste sich zu helfen. Er arbeitete nebenbei als Kellner in den Berliner Hotels Hilton und Interconti, und hatte dann die zündende Idee: Er begann, Texte aus dem Arabischen ins Deutsche zu übersetzen. Und umgekehrt.
Lustig war das Studentenleben
«Plötzlich verdiente ich 3000 Mark im Monat und lebte wie ein Fürst», erinnert er sich. «Ich besuchte Partys, fuhr zum Fasching nach Köln und konnte mir für meine damaligen Begriffe alles leisten.» Er hat die Studentenzeit als «ungemein lustige Jahre» in Erinnerung. «Sauer war eigentlich nur mein Vater, dem es gar nicht passte, dass ich so viel Geld hatte.» Sawiris hatte sich freilich schon zu helfen gewusst, bevor es ihm dank den Übersetzungen plötzlich so gut ging. Dann etwa, als er ein Konzert der Berliner Philharmoniker besuchen wollte.
Es war die grosse Zeit von Stardirigent Herbert von Karajan, und weil die Vorstellungen immer lange im Voraus ausverkauft waren, stellte Sawiris sich eine Viertelstunde vor Konzertbeginn jeweils mit einer Tafel mit der Aufschrift «Hast du ein Ticket?» vor den Eingang. «Ich bin immer, aber auch immer reingekommen», strahlt er noch heute. Einmal forderte ihn eine ältere Dame auf, mitzukommen. Sie führte den jungen Studenten Sawiris zu einem der besten Plätze überhaupt im Saal und sagte ihm nach dem Konzert, ihr Mann sei vier Tage zuvor verstorben. Die Faszination für die Berliner Philharmoniker ist geblieben. In den vergangenen Jahren hat Sawiris das Sinfonieorchester, das zu den weltweit führenden gehört, mehrmals ans Lucerne Festival ins KKL geholt.
Kein schlechtes Gewissen mehr
Nach dem Studienabschluss als Diplomingenieur an der TU Berlin gründete Sawiris mit der National Marine Boat Factory in Kairo sein erstes Unternehmen und wurde zum ersten Bootsbauer Ägyptens. Später wurde er auch der erste Weinbauer des Landes, ehe er 1996 mit der Orascom in den Bau und Betrieb von Feriendestinationen einstieg und selbst zum Milliardär wurde. Ende vergangenen Jahres hat er seinen erstgeborenen Sohn Naguib als Thronfolger eingesetzt. Der 31-Jährige hat sich mit seiner Online-Firma im Silicon Valley einen Namen verschafft. «Forbes» wählte ihn vor zwei Jahren gar unter die 30 besten Unternehmer unter 30 Jahren.
Der Vater hat dem Sohn nicht bloss die Funktionen übergeben, sondern ihn gleich zum Besitzer des Imperiums gemacht. Etwas anderes kam für ihn nicht infrage. «Für die Beziehung zwischen Vater und Sohn wie auch für das Unternehmen ist es das Beste, wenn die Eigentumsfrage geklärt ist», ist Sawiris überzeugt. Die Leute kämen zwar noch immer regelmässig zu ihm, wenn sie Wichtiges besprechen möchten, «doch ich schicke sie alle regelmässig weg».
Was sich seit der Stabsübergabe sonst noch für ihn geändert hat? «Ich habe beim Einschlafen kein schlechtes Gewissen mehr, weil mich das Gefühl plagt, zuwenig gearbeitet zu haben», sagt er. Am Morgen freilich sei alles genauso, wie es schon immer war. Er schaue in den Spiegel und frage sich: «Junge, wie machst du dir heute am besten einen schönen Tag?»
Das Märchen von Andermatt
Der Name Andermatt weckt Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. Es sind Erinnerungen daran, wie wir als blutjunge Gebirgsgrenadiere irgendwo im Gotthardmassiv scharfe Hohlpanzergranaten auf unsere Sturmgewehre pflanzten und sie am gegenüberliegenden Berghang explodieren liessen. Neben mir im Dreck lag ein gewisser Hans Peter Danuser. Der junge HSG-Student verteidigte den Gotthard gegen den unsichtbaren Feind wesentlich überzeugender als ich und handhabte auch Gewehr und Granaten besser.
Er brachte es entsprechend weit und quittierte den Dienst später als Major. Bemerkenswerterweise war er nie ein Militärkopf. Danuser legte dann in der Tourismusbranche eine der glanzvollsten Karrieren hin. In über drei Jahrzehnten pushte er die Marke St. Moritz zum Global Brand und zur weltweit bekanntesten Feriendestinationsmarke schlechthin. Er holte für den Engadiner Nobelkurort über zehn Millionen Franken an Lizenzgebühren ein und wurde dann, kurz vor der Pensionierung, von den Neidern stillos entsorgt. Doch das ist eine andere Geschichte.
Die kollektive Depression
Nachdem ich ausgemustert worden war, vergass ich Andermatt. Selbst in meinen wirrsten Träumen wäre ich nie auf die Idee gekommen, dieses Kaff am Fuss von Gotthardmassiv und Oberalppass je wieder zu besuchen. Zumindest nicht freiwillig. Das Einzige, was ich von Andermatt aus der Distanz noch mitbekam, war sein Absturz in die Bedeutungslosigkeit; das böse Erwachen der Einheimischen, als sich die Armee nach dem Ende des Kalten Krieges aus der Alpenfestung zurückzog. Man hatte gut gelebt von den anspruchslosen Soldaten, die abends die Beizen füllten. Die Wirte brauchten bloss die Hand aufzuhalten. Mühe geben mussten sie sich nicht.
Die ebenso komfortable wie gefährliche Situation führte dazu, dass Andermatt die touristische Entwicklung komplett verschlief. Neben den paar rudimentären Restaurants gab es knapp eine Handvoll Herbergen. Die einen waren renovationsbedürftig, die anderen eine glatte Zumutung. Um die Transportanlagen stand es kaum besser. Sind viele Skifahrer da, musst du warten, sind wenige da, wartest du auch, frotzelte man im Dorf. Die jungen Leute suchten ihr berufliches Glück im Unterland, Andermatt verfiel in eine kollektive Depression. Wovon sollte man jetzt leben?
The Chedi – ein schlechter Witz?
Und dann das! Im Jahr 2005 flog der ägyptische Investor Samih Sawiris über das Tal – und war begeistert. Er ortete in Andermatt ein gewaltiges Potenzial. Sawiris’ Vision, die von Bundesrat, Urner Regierungsrat und schliesslich von den Einheimischen mit über 90 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen wurde: ein Resort mit Hotels, Appartements, Villen, Kongresseinrichtungen, Schwimmbad und einem 18-Loch-Golfplatz. Zudem sollten die Skigebiete Andermatt und Sedrun zusammengelegt werden. Kosten: total 1,8 Milliarden Franken. Und im Mittelpunkt sollte nicht irgendein Hotel stehen, sondern The Chedi. Als Glanzpunkt mit magnetischer Wirkung auf die ganze Welt.
Ein Chedi in Andermatt? Als ich erstmals davon hörte, glaubte ich an eine Falschmeldung oder einen schlechten Witz. Denn wer die Chedis auf Bali und das Chedi Muscat im Oman kennt, weiss: Chedis sind keine Hotels im herkömmlichen Sinn, sondern atemberaubend raffinierte Gesamtkunstwerke, in denen ein unvergleichlicher Lebensstil gepflegt wird. Von der Servicekultur ganz zu schweigen. Im Chedi Muscat etwa ist die Stimmung nach Sonnenuntergang so friedlich wie zu Beginn der Schöpfungsgeschichte.
Rückkehr nach über 40 Jahren
Doch das Ganze war weder ein Fake noch ein Witz, und so lockte mich The Chedi tatsächlich wieder nach Andermatt. Erstmals nach über 40 Jahren. Und weil ich schon mal oben war, fuhr ich auch noch durchs Dorf. Den Schlüssel, den Löwen und die Bergidylle, wo wir uns aus Langeweile des Öfteren ins Elend gesoffen hatten, fand ich nicht mehr. Dafür hatten sich ein paar kleine Hotels, die ich als Bruchbuden in Erinnerung hatte, ganz schön herausgeputzt. Wo einst das Restaurant Alte Apotheke stand, entdeckte ich mit dem River House gar ein schmuckes neues Boutique-Hotel. Und der Bären hatte es gar in die Gourmetführer geschafft. Nichts, aber auch gar nichts erinnerte an das trostlose Nest von einst.
Die Zahl jener, die beim Thema Andermatt noch immer die Hände verwerfen, ist in den vergangenen Jahren denn auch massiv geschrumpft. Übrig geblieben sind meist Männer im fortgeschrittenen Alter, die dort zu den tristesten Jahreszeiten missmutig ihren militärischen Pflichten nachkamen. Sie wollten den Ort nie mehr sehen und waren auch nie wieder oben. Ihr Urteil über Andermatt ist entsprechend militärgeschädigt. Verständlicherweise. Meines war’s ja auch.