«Wir hatten nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen»

Vor etwas mehr als 30 Jahren übernahmen Andreas und Claudia Züllig den Schweizerhof in Lenzerheide, damals eines der ­grössten Problemhäuser im Kanton Graubünden. Mit zähem Einsatz, unternehmerischem Flair und einer Menge Kreativität machten sie aus dem Schweizerhof eines der besten 4-Stern-Superior-Hotels im Land. Schweizerhof Lenzerheide (Fotos)

Es ist um die 35 Jahre her, seit wir mit dem Tennisclub das traditionelle Sommer-Weekend im Schweizerhof auf der Lenzerheide verbrachten. Die Organisatoren des Anlasses kamen anschliessend derart an die Kasse, dass sie einem leidtun konnten. Das Hotel ähnelte nämlich einem Geisterhaus. Von den in der Offerte angepriesenen drei Restaurants war gerade mal eines geöffnet. Und dieses war so wenig einladend, dass wir uns überstürzt in die Disco auf der andern Strassenseite retteten. Erst nachträglich hörten wir, dass der Schweizerhof recht abenteuerliche Jahre hinter sich hatte und noch immer tief im Schlamassel steckte. Das Produkt war an sich gut, doch es wurde schlecht, vor allem unprofessionell gewirtschaftet. Unter den wechselnden Besitzern tummelten sich neben Spekulanten bisweilen auch halbkriminelle Figuren. Erreichten sie ihre illusorischen Renditeziele nicht, erklärten sie sich kurzerhand für zahlungsunfähig. Während einiger Jahre wurde das Hotel vom Konkursamt geführt, weil sich keiner mehr die Finger verbrennen wollte. Die völlig unerwartete Wende kam mit Andreas und Claudia Züllig.

Ahnungslos ins Abenteuer

Andreas hatte Koch gelernt, entschied sich aber rasch für eine andere berufliche Laufbahn und besuchte die Hotelfachschule in Lausanne. 1985 war er EDV-Verantwortlicher der Manz Privacy Hotels in Genf. Im Manz-Hotel de la Paix lernte er Claudia kennen. Die gelernte Hotelsekretärin arbeitete dort als Rezeptionistin. Sie sei, erinnert sich ein früherer Kollege, eine ­äusserst charmante, charismatische und aufgeweckte junge Frau gewesen. Als der legendäre Caspar Manz die operative Führung der Gruppe abgab, wechselte Andreas zu den damals grossen und angesehenen Swissôtels nach Zürich und wurde rasch zum Verantwortlichen für die weltweite EDV der Gruppe. Sein Herz schlug freilich immer für die Hotellerie. Schliesslich war er in einem Hotel im Thurgau aufgewachsen. Und als ihm und seiner jungen Frau 1991 die Leitung des Schweizerhofs in Lenzerheide angeboten wurde, sagte das frisch vermählte Paar zu. Die beiden konnten nicht ahnen, was auf sie zukommen würde.

Der Schweizerhof bestand damals aus Wohnungen, die hotelmässig bewirtschaftet wurden. Die Infrastruktur mit drei ­Restaurants war durchaus in Ordnung, und die Zülligs als neue Gastgeber zeigten auch rasch, was aus sowas zu machen war. Sie steigerten den Umsatz aus dem Stand um 40 Prozent. Dann kam der Hammer: Auch der damalige Eigentümer des Hotels entpuppte sich als äusserst bunter Vogel und ging pleite. Es folgte einiges Hin und Her, ehe die Bank einlenkte und die Bedingungen, die die Zülligs für den Kauf des Hotels stellten, erfüllte. Einer, der grossen Anteil am Gelingen des Deals hatte, war Nikolaus «Niki» Senn, VR-Präsident der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG). Der Grandseigneur der hel­vetischen Bankiers war mit Lenzerheide emotional stark verbunden. Im örtlichen Golfclub brauchte er bloss anzudeuten, wozu er tendierte, und die regionalen Banker, die stets um ihn herumschwirrten, standen stramm. Senn wusste, wie wichtig ein gesunder Schweizerhof für den Ort war.

Die grosse Aufbauarbeit

«So kamen wir zum Hotel wie die Jungfrau zum Kind und waren plötzlich Unter­nehmer, ohne einen Schimmer davon zu haben, was uns erwartete», sagt Andreas Züllig. Anderseits war ihnen bewusst, dass sie mit diesem Problemhaus nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen hatten. So machten sie sich an die grosse Aufbauarbeit. Und wie! Zuerst galt es, das Vertrauen der Lieferanten, die in der Vergangenheit recht oft in die Röhre geschaut hatten, ­wieder aufzubauen. Das gelang in Rekordzeit. Auch die Banken waren von der Entwicklung überaus angetan. Und vor allem kamen langsam, aber sicher immer mehr Gäste. Eminent wichtig war, dass sich die Zülligs im Ort rasch integrierten und engagierten. Er sass für die FDP neun Jahre im Gemeinderat, wurde vor acht Jahren als Präsident an die Spitze des Branchen­verbandes HotellerieSuisse gewählt und sitzt bis heute in verschiedenen andern wichtigen Gremien. Gestandene Verbandsvertreter – keine Schmeichler – bezeichnen Andreas Züllig als einen der besten Verbandspräsidenten der letzten Jahrzehnte. Insbesondere sein mit vielen Erfolgen belohntes Engagement während der Pandemie wird in höchsten Tönen gelobt.

Gelobt wird freilich auch Claudia Züllig. Sie ist Mitinitiantin und Vizepräsidentin des Festivals Zauberwald Lenzerheide. Der Anlass lockt jedes Jahr zur Weihnachtszeit 50 000 Besucher in die winterliche Bergwelt und ist zu einer festen Grösse unter den Schweizer Festivals geworden. Neben mehreren sozialen Engagaments ist sie Präsidentin des Kulturvereins Kultur am Pass, der die Kultur in der ganzen Region für einheimische und Feriengäste sicht- und erlebbar machen will. Und natürlich ist sie täglich in Kontakt mit den Gästen, auch im Service.

Das Erfolgsgeheimnis

Und dann ist da natürlich das Hotel. Die Auf- und Ausbauarbeit erforderte bisweilen schier übermenschliche Anstrengungen, doch es hat sich gelohnt. Der Schweizerhof, in dessen Weiterentwicklung die Zülligs bislang 50 Millionen Franken ge­­steckt haben, zählt schon seit vielen Jahren zu den absolut besten Häusern der schweizerischen 4-Stern-Hotellerie. Insbesondere für abwechslungsreiche Familienferien ist er heute eine absolute Topadresse. Und das Hotel wird, man glaubt es kaum, von Jahr zu Jahr noch besser. Der neue Eingangsbereich, die neue Rezeption, die neue Lobby, das neue Spa mit einem neuen Konzept und die neuen Zimmer: Alles begeistert und überzeugt restlos. Von der Gastfreundschaft ganz zu schweigen. Die ist genauso unübertrefflich wie die ungemein attraktiven und innovativen Kultur- und Freizeitangebote. Oder die fünf Restaurants mit dem Scalottas Terroir von Spitzenkoch Hansjörg Ladurner als Leuchtturm.

«Ich staune manchmal selbst, wie wir ne­­ben allem auch noch zwei Söhne grossgezogen haben», sagt Claudia Züllig. Nico und Gian Andrea, 29 und 24 Jahre alt, sind beruflich ausserhalb der Hotellerie erfolgreich unterwegs und bereiten den Eltern viel Freude. «Sie gingen gern in unseren hoteleigenen Kindergarten, hatten ein ­Kindermädchen und weil wir beide im Hotel arbeiten, waren wir wohl öfter für sie da als andere Eltern, die berufstätig sind.» Mit den Kindern leisteten sich die Zülligs jeweils auch zwei Wochen Ferien am Stück. Heute ist das anders. Sie machen mehr Städtereisen, lassen sich inspirieren, holen sich neue Ideen und geniessen die Angebote an Kunst und Kultur. «Das in­­takte Privatleben» bezeichnen Claudia und Andreas Züllig als ihr Erfolgsgeheimnis. Das gegenseitige Verständnis, die Wertschätzung, das Vertrauen, das Gewähren von Freiraum und nicht zuletzt eben die gemeinsamen Interessen. «Natürlich gibt es auch bei uns Meinungsverschieden­heiten», sagt Claudia, «aber es geht immer um die Sache. Und am Schluss entscheidet Andy, und das ist gut so.»

Auftanken im Paradies

Der warme Sommernachmittag in Maienfeld neigt sich dem Ende zu. Dort, inmitten der schier endlosen Weinberge in der Bündner Herrschaft, hat Andreas Züllig von seiner Grossmutter ein 1932 erbautes, wunderschönes Holzhaus geerbt. Mit einem grandiosen Kachelofen in der Stube und einer Gemütlichkeit, die fast greifbar ist. Hier verbringen die Zülligs ihre freien Tage. Und hier frönt Andreas auch seinem grossen Hobby: In der schmucken Küche stellt er seine berühmte Konfitüre her. Im Hotel und zunehmend auch im grossen Bekanntenkreis finden die Konfis reissenden Absatz. Weil sie einfach Weltklasse sind.

Und dann der Garten. In dieser unvergleichlichen Idylle unter Schatten spendenden Bäumen fühlt man sich wie in einer andern, schöneren und besseren Welt. Oder im Paradies. Claudia serviert noch einen Kuchen, den ihr Mann nach einem Rezept von Andreas Caminada gebacken hat. Die Eiscreme dazu hat er ebenfalls selbst gemacht. Beides schmeckt, wie könnte es anders sein, himmlisch. Es sei schon grossartig, wennn man so leben könne, sagt Claudia Züllig. Dem ist nichts beizufügen. Ausser, dass das Glück hart erarbeitet worden ist.


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