«Das Hotel ist das Abbild eines Opernhauses»

«Das Hotel ist das Abbild eines Opernhauses»

Sie haben sich auch schon als «verhinderten Hotelier» bezeichnet. Worin bestand das Hindernis?
Christian J. Jenny: Dass es mit der Kunst geklappt hat. Und mit den allermeisten meiner anderen Unternehmungen ebenso. Sonst wäre Hotelier vermutlich wirklich die einzige Alternative gewesen, die ich mir hätte vorstellen können. Aber eigentlich bin ich ja heute bis zu einem gewissen Grad auch Hotelier: im Hotel St. Moritz. Die Gäste kommen und gehen. Ich begrüsse und verabschiede sie, bearbeite Reklamationen …

Sie bereuen es aber wohl nicht, dass Ihre Karriere anders verlief?
Ganz und gar nicht. Es waren im Übrigen Hoteliers, die die wichtigsten Weichen in meinem Leben gestellt haben. Allen voran der wunderbare Henry Hunold vom Zürcher «Dolder» oder auch Dominique Godat vom «Kulm» St. Moritz. Ohne sie gäbe es das Festival da Jazz in St. Moritz schlicht nicht. Und nach wie vor fühle ich mich geistig und seelisch mit «dem» Hotelier untrennbar verbunden.

Was hat Sie an der Hotellerie fasziniert?
Dass das Hotel eine Lebensbühne ist. Es ist das Abbild eines Opernhauses mit Hinterbühne, Vorderbühne, Technik, Beleuchtung, Hauptdarsteller und Komparsen. Nur ist nicht immer genau klar, wer der Hauptdarsteller ist: der Direktor oder der Gast. Zudem kommt im Hotel das volle Leben zusammen – Träume, Illusionen, Enttäuschungen, Betrug und Lüge. Aber vor allem eben auch sehr viel Liebe und Freude. Für mich ist das Hotel der Ort, wo ich mich am wohlsten fühle. Ich habe meine Kollegen Hazy Osterwald und auch Udo Lindenberg stets dafür beneidet, weil sie im Hotel wohnten und lebten. Irgendwann werde ich das auch …

Welche Art von Hotels hat es Ihnen besonders angetan?
Ganz klar die Grand Hotellerie, die historische Hotellerie ganz allgemein. Unter Luxus versteht man heute nicht mehr Dinge wie ein Sieben-Gang-Menü am Abend, sondern zum Beispiel die Möglichkeit, morgens um zwei im «Badrutt’s Palace» ein Steak Diane nach ei­­nem grandiosen Rezept aus dem Jahr 1920 flambieren zu lassen. Zudem glaube ich, dass Unkompliziertheit der neue Luxus ist. Ganz allgemein kommt es darauf an, mit welcher Präferenz ich ins Hotel gehe. Mit meiner Familie wähle ich ein anderes, als wenn ich allein gehe oder in netter Begleitung bin …

Welche Art von Hotels mögen Sie nicht?
Hotels ohne Herz und ohne Seele, die obendrein lieblos und inkompetent geführt werden. Hotels müssen Charakter haben und zeigen.

Angenommen, Sie wären Hotelier: Was würden Sie tun, damit Ihr Haus anders, besser wäre als die andern? 
Ui, diese Frage! Nun, ich durfte von den Besten lernen: Hans Wiedemann, Henry Hunold, Richard Leuen­berger, Heinz Hunkeler und anderen. Wichtig ist der persönliche Kontakt. Dass man sich stets zum rich­tigen Zeitpunkt am richtigen Ort aufhält, bereit ist, mehr als die Extrameile zu gehen, und den Gast mit seinen Bedürfnissen verstehen lernt. Und: geht nicht, das gibt’s nicht.

Welche Eigenschaften zeichnen einen exzellenten Hotelier aus?
Brillantes Handwerk. Die höchste Professionalität ist Voraussetzung. Dazu kommen Charisma, Stil, Empathie und Liebe.

Wie sind Ihre Kontakte zu den St. Moritzer ­Hoteliers?
Gefühlsmässig sind die Hoteliers die einzige «Partei», zu der ich gehöre. Das besagt ja schon eine Menge. Oder, anders ausgedrückt: Sie halten mich hier oben am Leben. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Was war Ihr erster Gedanke, als «Badrutt’s Palace» als Hotel des Jahres 2024 feststand?
Wer sonst?

Sie reisen viel in der Welt herum: Wo sehen Sie die Schweizer Spitzenhotellerie im internationalen Vergleich?
An der Spitze. Die Schweiz verfügt über keine Rohstoffe, dafür waren und sind wir gute Gastgeber. Das ist unser Trumpf, unsere Stärke, die wir stets pflegen und ausspielen sollten.

Werden Sie in zwei Jahren erneut als Gemeindepräsident von St. Moritz kandidieren?
Vielleicht werde ich Hotelier.



Tausendsassa und Universalgenie 
Christian J. Jenny ist eine der schillerndsten Figuren in der Schweizer Tourismusszene, ein Tausendsassa und Universal­genie, das sich in kein Schema pressen lässt. Als Knabe sang er bei den Zürcher Sängerknaben und spielte in den Pumuckl-Hörspielen von Jörg Schneider mit. Bei den Salzburger Festspielen sang er in einer Solistengruppe der Zürcher Sängerknaben in Puccinis «Tosca» unter Herbert von Karajan und neben Luciano Pavarotti. Er ­studierte klassischen Gesang und Schauspiel in Berlin. Daneben widmete er sich verwandten Genres wie Musical und Operette. Als Tenor tritt er in der Schweiz und in Deutschland in Opern, Operetten, Musiktheatern oder an Liederabenden auf. Jenny kreierte die Figur des Gesellschaftstenors «Leo Wundergut», sein artistisches Alter Ego. 1997 gründete er die Produktionsfirma «Amt für Ideen», die Musiktheater und ähnliche Programme produziert. 2007 rief er das «Festival da Jazz» in St. Moritz ins Leben, das er bis zu seiner überraschenden Wahl als Gemeinde­präsident von St. Moritz (1. Januar 2019) als künstlerischer Leiter führte. 2022 wurde Jenny für weitere vier Jahre zum Gemeindepräsidenten gewählt.

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