«Marketingfachbücher gibt es fast so viele wie Sand am Meer». So der erste Satz im Buch «Strategisches Marketing in der Hotellerie». Diese Feststellung lässt eigentlich nur eine Reaktion zu: Buch schliessen und weglegen. Die steile Kurve zum Leser schafft das Buch dennoch.
In «grossartiger und freundschaftlicher Zusammenarbeit», wie der Präsident der Vereinigung diplomierter Hoteliers VDH im Vorwort schreibt, ist ein «Praxisleitfaden» zur Entwicklung des strategischen Marketings im eigenen Haus entstanden. Philine Betz-Werner und Michael Betz, Autorin und Autor, beide promovierte Marketing-Profis, beide Lehrbeauftragte für Marketing an der Uni St. Gallen, entwickelten zusammen mit erfahrenen Profis und VDH-Mitgliedern taugliche Instrumente (Templates, Checklisten), für das strategische Marketing im eigenen Hotel.
Der Markt «Übernachten» ungenügend
Das Marketing-Buch beginnt tatsächlich mit dem ersten Schritt und setzt nichts voraus, ausser der Kompetenz als Hotel-Führungskraft. Als erstes müsse jeder Hotel-Stratege seine Antwort auf die Frage finden «in welchem Markt ist mein Hotelbetrieb tätig?». Zu oft werde diese fundamentale Frage «im klassischen Sinne» und damit zu kurzsichtig beantwortet: «Markt für Übernachtungsdienstleistungen in der Fremde». Das ist zwar nicht (ganz) falsch, aber eindimensional. Sie sei zu stark am eigenen Angebot orientiert, «rein produktorientiert».
Plädiert wird für eine «erfolgversprechendere» Marktdefinition. Sie müsse sich «an den Wünschen der Gäste» und nicht am derzeit vorhandenen «Leistungsangebot» bzw. den «Leistungsmöglichkeiten» orientieren.
Das Angebot «Übernachten» schränke zu sehr ein. Ganz Selbsthilfe Lehr- und Arbeitsbuch werden zahlreiche weitere Marktoptionen erwähnt: Sport, Gesundheit, Wellness / Selfness, Erholung, Ernährung, Genuss, Kunst & Kultur, Weiterbildung, Familienaktivitäten, Liebe / Romantik & Sinnlichkeit, Austausch & Bekanntschaft, Unterhaltung, Abenteuer / Flucht aus dem Alltag, Erfüllung von (Lebens-)Träumen, Luxus & Prestige. Empfohlen wird, strategische Überlegungen anzustellen, die es erlauben, in «mehreren Märkten gleichzeitig» tätig zu sein.
Der Basislektion folgen neun weitere Lektionen. Sie müssen nicht alle oder in der vorgegebenen Reihenfolge gelesen oder durchgearbeitet werden. Als Know-how-Bringer können die Kapitel je nach eigenem Bedarf und Interesse auch einzeln mit Gewinn gelesen werden.
«Blindleistungen» ohne Nutzen
Zur Illustration dient Kapitel 4: Hotelleistungen entwickeln. Der analytische Einstieg widmet sich den verschiedenen «Leistungen» eines Hotels. Herausgearbeitet wird, welche Leistungen wirklich zu einer Differenzierung und Positionierung im Markt beitragen. Wichtig ist zu identifizieren, welche «Blindleistungen» ein Hotel erbringt, die grossen Aufwand erfordern, aber keinen Nutzen (mehr) bringen. Genannt werden Telefone im Zimmer oder ein Weckservice durch die Rezeption in Zeiten des Smartphones. «Blindleistungen» dürften nicht verwechselt werden mit «Leistungen von schlechter Qualität».
Hingewiesen wird auch darauf, dass «Sterneklassierungen viele (Blind-)Leistungen zwingend vorschreiben». Um «Blindleistungen» zu vermeiden, würden viele Hotels auf eine «klassische Klassifizierung» verzichten oder eine niedrigere Klassifizierung wählen, um teure, aufwändige «Blindleistungen» zu vermeiden.
Drei Arten von Leistungen
Herausgearbeitet wird ein Modell mit drei Arten von Leistungen: «Basismerkmale», «Leistungsmerkmale» und «Begeisterungsmerkmale». Jeder Hotel-Anbieter hat ein Basisangebot, «Muss-Kriterien» zu erfüllen. Werden diese Leistungen nicht gut erfüllt, wird der «Gast sehr schnell unzufrieden» (z. B. Housekeeping).
«Leistungsmerkmale» definieren sich darüber, dass sie nicht von jedem Anbieter in gleicher Qualität angeboten werden (z. B. Qualität des Frühstücks, frisch gepresste Säfte). Je besser die Qualität der eigenen Leistung, «desto zufriedener ist der Gast». Es ist eine wirksame Möglichkeit, «sich von anderen Hotelbetrieben zu differenzieren».
Begeisterung nur mit Mass
«Begeisterungsmerkmale» schliesslich bringen «überproportionalen Nutzen für den Gast» (z. B. exklusives Privat-Diner auf dem Dach mit Blick auf den See). Sie werden «in aller Regel nicht erwartet» und führen zu einer «sehr grossen Zufriedenheit». Innovationen würden Begeisterungsmerkmale beinhalten, wird dann etwas nüchtern festgehalten. Da bemerkt man den universitär-st.gallischen, betriebswirtschaftlichen Ansatz des strategischen Marketings.
Hingewiesen wird auf den «zeitlichen Abnutzungseffekt» und die Notwendigkeit, immer wieder «neue Begeisterungsmerkmale zu entwickeln». Es wird eine Grundregel für den «dosierten» Einsatz von Begeisterungselementen formuliert: «Die Erwartungen der Gäste immer erfüllen und lediglich von Zeit zu Zeit übertreffen».
Von den Besten lernen
Die Positionierung, die Definition der relevanten Kundensegmente, die Hotel-Markenführung, die Marketingkommunikation, das Management der Marketing-Kanäle, die Preispolitik, das Messen der Marketingleistungen oder die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sind weitere, praxisnahe Lektionen (insgesamt gut 150 Seiten).
Getragen von der Idee, von den Besten zu lernen, beschliessen vierzehn kurz beschriebene Best Practice-Beispiele zum strategischen Hotelmarketing das Buch. «Strategisches Marketing in der Hotellerie» ist Praxis pur. Nicht alles ist neu. Vieles trägt aber dazu bei, das eigene Marketing zu überdenken oder in Angriff zu nehmen.