Vom Hotelier zum Lobbyisten und Konfikocher

Vom Hotelier zum Lobbyisten und Konfikocher

Drei Amtsperioden, zwei Krisen und das grosse Ziel erreicht: HotellerieSuisse ist für die Politik und die Beherbergungsbranche unverzichtbar geworden.
Andreas Züllig blickt im Gespräch mit «Hotelière» auf neun fordernde, aber erfolgreiche Jahre als Präsident (2015–2023) zurück.



Österreich ist besser, billiger und so- wieso freundlicher. Etwa so präsentierte sich das Image der Schweizer Hotellerie vor knapp zehn Jahren. Brauchte ein Hotel einen Bankkredit und bekam es einen, so war das fast wie ein Lottosechser. Das Rating der Hotels war, freundlich ausgedrückt, negativ. Investoren waren nicht interessiert. Politische Unterstützung in Bundesbern – Fehlanzeige. Der Tourismus und die Hotellerie waren 2014 ein Nonvaleur. In diesem Kontext stellte sich Andreas Züllig als Präsident zur Verfügung und wurde gewählt. Sein Programm für HotellerieSuisse erschien einfach. Es klang, wie fast immer, wenn neue Präsidenten antreten: Die Kommunikation und das Image nach innen und nach aussen müssen verstärkt und verbessert werden. «Tatsächlich, das klingt lapidar, aber es war eine Riesenkiste», sagt Andreas Züllig im Gespräch in seinem Schweizerhof in Lenzerheide. 

Krisen bewältigen statt Konzepte schreiben
Statt Konzepte zu entwerfen, um den Verband neu zu positionieren, platzte am 15. Januar 2015 eine echte Krise in die Hotellerie. Die Eurokrise. An jenem Tag startete der Wechselkurs Euro-Franken mit 1.2015 Franken am Morgen und erreichte ein Tagestief von 0,8423 Franken. Der Grund für die Talfahrt war eine Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank. Sie gab bekannt, die Wechselkursuntergrenze des Frankens von 1.20 zum Euro nicht mehr zu verteidigen. «Von einer Minute auf die andere war die Schweizer Hotellerie zwanzig bis vierzig Prozent teurer als die europäischen Mitbewerber in den Nachbarländern. Und zugleich war das Ausland für die Schweizer sofort entsprechend günstiger», erinnert sich Züllig. Gefordert und notwendig blieb in dieser Situation weiterhin «Top-Qualität zu bieten, obwohl wir mit den schweizerischen Lohn- und Kostenbedingungen arbeiteten», erläutert er weiter. Diese Botschaft plat-zierte er bei seinen ersten präsidialen Auftritten. Statt sich einzuarbeiten war Krisenmanagement angesagt. Er sei kein Greenhorn gewesen, als er Hotel-lerie-Präsident wurde. Er habe immer schon ein Verständnis für Politik gehabt und sei politikaffin. Die konkrete Politik kannte er durch seine Tätigkeit als Gemeinderat der Gemeinde Vaz/Obervaz, zu der auch Lenzerheide gehört, und sein 10-jähriges Engagement als Präsident vom Hotelierverein Graubünden. Als FDP-Nationalratskandidat hatte er 2011 und 2019 auch noch einen Teil der Metapolitik bzw. der politischen Ochsentour kennengelernt.

Politisierende Hoteliers, eine rare Sorte
Damals, 2015 in der Eurokrise, war Züllig plötzlich Gesicht und Stimme der Branche. Eine politische Rolle, die einem Hotelier eigentlich nicht auf den Leib geschnitten ist. Er aber packte die Chance und gewann schnell an Ansehen und Reputation. Als praktizieren-der Hotelier gehört Andreas Züllig im nationalen Politikbetrieb zu einer raren Sorte. Weder im National- noch im Ständerat war in der 51. Legislaturperiode, die noch bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments am 4. Dezember dauert, eine Hotelière oder ein Hotelier vertreten. 

Warum sind Hoteliers in der Politik und im Parlament nicht vertreten?
Andreas Züllig: «Als Hotelier ist man Gastgeber und hat Verständnis für alles und jeden. Es gehört zu unserer Gastgeber-DNA, immer Verständnis zu haben. Der Gast ist der Gast. Wir widersprechen nicht gerne. In der Politik, in einer Partei, in einer Fraktion da gegen muss man sich als Person positionieren. In einer Debatte muss man kämpfen und auch widersprechen. Wir Hoteliers haben andere Kernkompetenzen. Kommt hinzu, dass ein politisches Engagement viel Zeit verlangt – nicht nur in einem Wahlkampf. Und die Ochsentour ist auch nicht jedermanns Sache.»

Als Präsident von HotellerieSuisse vertreten Sie eine für die Schweiz wesentliche Branche. Nach neun Jahren als oberster Lobbyist des Verbandes, der seine Interessen erfolgreich vertrat, verraten Sie uns das Erfolgsrezept?

Das Wichtigste ist eine klare Positionierung. Für diese Positionen gilt es, Allianzen zu bilden. Dabei muss man offen sein nach allen Seiten. Dazu braucht es Agilität. Man muss sich clever vernetzen. Es schadet auch nicht, den anderen politischen Ak teuren einen Schritt voraus zu sein. Erfolgreich ist man im Ver-bandslobbying, wenn es gelingt proaktiv pragmati-sche, realisierbare Lösungen vorzuschlagen. Optimie-ren, nicht maximieren ist das Ziel – ein Grundsatz, den ich auch in meinem persönlichen Leben anwende. Es schadet auch nicht, sich in die anderen versetzen zu können. Empathie ist in meinen Augen wichtig für eine gute, gemeinsam gestaltete Politik. Gemeinsam eine Aufgabe zu lösen, das scheint mir typisch schweizerisch zu sein, selbst wenn unser politisches System langsam ist. Am Schlussfunktioniert es.

Tourismusallianz mit einer Stimme
Der Schweizer Tourismus mit seinen vielen Disziplinen präsentiert sich als sehr heterogene Landschaft. Dennoch gelinge es dem Schweizer Tourismus Verband unter der Leitung von Nationalrat Nicolo Paganini (Mitte, SG) sehr gut, eine Dachstrategie zu verfolgen. Es gelinge immer wieder den öffentlichen Verkehr, die Schweizer Pärke, die Parahotellerie, die Seilbahnen, die Hotels, Gastronomie und weitere Organisationen und Verbände in einer Tourismusallianz zu vereinen. Mittel und Kräfte würden so gebündelt. In den entscheidenden Themen spreche man mit einer Stimme, blickt Züllig auf die Vorteile der differenzierten Verbandslandschaft. 



Corona: Booster für die Branche
Dieser geübten Allianz und ihrer funktionierenden Arbeitsweise ist es zu verdanken, dass es gelang, die zweite grosse Krise seiner Präsidentenjahren, die Coronapandemie, zu bewältigen. Andreas Züllig sagt sogar: «Die Coronakrise ist für die Branche zu einem Booster geworden.» Das hängt wesentlich damit zusammen, dass die Hotellerie eine Balance fand, zwischen spezifischer Interessenvertretung und einer unterstützenden lösungsorientierten Haltung für das Ganze. HotellerieSuisse moderierte nach innen, vertrat nach aussen eine klare Haltung und spielte so eine entscheidende Rolle.
In der Eurokrise und durch die 2015 neu definierten HotellerieSuisse-Strategie hatte man bei allen Partnern an Glaubwürdigkeit gewonnen, vor allem auch in der Politik und beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Rückblickend meint der scheidende Präsident: «Die Imagekorrektur ist gelungen.» Der Vollblut-Hotelier war inzwischen zum Vollblut-Lobbyist mutiert. Im eigenen Schweizerhof Hotelier zu sein, war er oft nur noch am Abend, wenn er nach einem Lobbying-Tag aus dem Unterland nach Lenzerheide zurückkehrte. Die Umstände zur Ausübung seines Amts waren für ihn nie ein Hindernis. «Der Verband kann ja nichts dafür, dass Bern aus Bünder Optik an der Peripherie liegt.» Die Entschädigung von 1200 Franken für einen der 120 bis 150 Tageseinsätze (häufig bis tief in die Nacht), ist in seinen Augen fair. 

Strategie 2015: Fokus Hospitality
Einfluss und Bedeutung von HotellerieSuisse in der Schweizer Politik und Wirtschaft hingen und hängen nicht nur an der Person des Präsidenten. Es ist auch das Ergebnis der neuen Strategie, die er zusammen mit seinem Vorstand und der Geschäftsleitung 2015 entwickelt hatte. Neu war, den Hotelkunden, Partnern und die Verbandsmitglieder, die Hotels und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Verbandstätigkeit zu stellen. Auf den ersten Blick erscheint dieses strategische Ziel nicht revolutionär. Vielmehr ist es die Selbstverständlichkeit jeder Verbandstätigkeit.

Was waren die wesentlichen Anpassungen und Neuerungen, die Sie mit der Strategie 2015 angestossen und durchgebracht haben?
«Wir wollten und mussten eine Fokussierung auf die Hospitality, auf die Beherbergung, durchbringen und hatten zugleich den Anspruch, in diesem Feld den führenden Verband zu sein beziehungsweise zu werden. Es galt die unternehmerischen Aspekte und die entsprechenden Dienstleistungen für die Hotels ins Zentrum der Verbandstätigkeit zu rücken. Dafür waren personelle Wechsel in der Organisation notwendig, um ein wirkungsvolles Team für die operative und strategische Verbandsführung zusammenzustellen. Das gelang optimal.

Sehr lobbyistisch oder politisch klingt das noch nicht. Es waren eher Hausaufgaben, die 2015 gemacht werden mussten.
Das stimmt. Aber der Vorstand zusammen mit der Geschäftsleitung und ich hatten die klare politische Positionierung und das politische Engagement vom ersten Tag im Auge. Dazu gehörte auch, dass wir den Verband und die Mitglieder mit den beiden politischen Grossthemen Nachhaltigkeit und Innovation fit machen wollten.

Wenn Sie HotellerieSuisse heute im Vergleich zu Ihrer Startphase betrachten, welche Note erteilen Sie dem Verband?
Noten möchte ich nicht vergeben. Aber wenn wir 2014 in der öffentlichen Wahrnehmung knapp genügten, so haben wir heute ein wesentlich besseres, ich meine sogar ein gutes Image. Aber es gilt, für alle die in einem Verband arbeiten, dass jeder in seiner Zeit, am Haus beziehungsweise Hotel weiterzubauen hat. 

Eine Art Messgrösse für die Bedeutung der Hotellerie und des Tourismus in der Schweiz ist die Standortförderung durch den Bund. Für die Zeit von 2024 bis 2027 sieht der Bund rund 646 Millionen Franken an Fördergeldern vor.
Die Förderung des Tourismus ist eine wesentliche Staatsaufgabe. Die Schweiz als Entstehungsland des weltweiten Tourismus trägt mit ihrer Gastfreundschaft, ihrer Verlässlichkeit, ihrer Qualität und Innovation in grossem Masse zur Imageförderung für den Wirtschaftsstandort und unser Land insgesamt bei. Die Gelder der Standortförderung dienen dazu, die Rahmenbedingungen, beispielsweise Marketing oder Digitalisierung, die Infrastruktur und Innovationen unterstützend zu finanzieren. Sie schafft einen Wert für die Schweiz und ist eine Investition und keine Subvention. 

Schweizer Hotels sind Sehnsuchtsorte
Im internationalen Rundblick sind Schweizer Hotel-betriebe seit der Pionierzeit ein Ausdruck dafür auf modernste Art zu leben, analysiert Andreas Züllig. Man spüre die Geschichte, man habe hier das Original und auf beides könne die Schweiz sehr stolz sein. In der Aussenwahrnehmung geniesse die Schweiz und ihre Hotels in allen Segmenten – von den Jugendher-bergen bis zu den Luxushäusern – höchstes An sehen. «Es funktioniert. Es ist sauber. Das Zusammenspiel von Produkt, Preisen, Landschaft und Persönlichkeiten mit Engagement machen aus den Schweizer Hotels Sehnsuchtsorte», schwärmt Züllig. Und er fügt hinzu: «Wir allerdings haben leider die Tendenz eher das Schlechte, das Fehlende oder den Fehler zu sehen.» Auch Sehnsuchtshotels müssen von Zeit zu Zeit dafür sorgen, dass die Gastgeber ihre Nachfolge regeln können. Im wirtschaftlich höchst anspruchsvollen Umfeld sieht Andreas Züllig eine wichtige Aufgabe der älteren Generation und von HotellerieSuisse, die junge Generation zu motivieren, ins unternehmerische Risiko zu gehen. Er appelliert dabei auch an die Banken, ihren Beitrag in der Nachfolgeregelung zu leisten. Sie sollten mithelfen, dass Junge auch mit bescheidenen eigenen finanziellen Mitteln ein Hotel übernehmen können; vor allem wenn es Nachwuchskräfte sind, die nicht aus einer Hoteliersfamilie stammen. Bei allen Herausforderungen, die sie zu bewältigen haben, das Vertrauen in die junge Generation ist bei Andreas Züllig ungebrochen.

Andreas Züllig noch sind Sie Präsident von HotellerieSuisse. Welche Dinge möchten Sie 2023 noch ins Trockene bringen?
Die Ziele für 2023 haben wir auf die Konsolidierung der laufenden Projekte ausgerichtet. Wir haben bewusst keine grossen, neuen Projekte angerissen. In den letzten Jahren sind viele neue Dienstleistungen, neue Produkte lanciert und umgesetzt worden. Vor allem die Anstrengungen in der eigenen Hotellerie- Bildungslandschaft, die wir unternommen haben, waren wichtig aber brauchen jetzt Zeit, bis sie Ergebnisse bringen. Diese Zeit muss man einem solchen Projekt geben – auch in der Zukunft.

Gibt es etwas, das Sie nach dem Ausscheiden vermissen werden?
Ganz bestimmt die vielen Kontakte in den zahlreichen Netzwerken – Wirtschaft, Politik, Tourismus, Kolleginnen und Kollegen – in denen ich für die Hotellerie mitwirken konnte. Weniger vermissen werde ich die volle, fremdbestimmte Agenda. Aber das gehört zur Aufgabe. Wenn beispielsweise kurzfristig Bundesrat Parmelin für den 21. Oktober zu einem Treffen zur Weinwirtschaft rief, so hatte dies oberste Priorität.

Sie waren in den letzten neun Jahren mit grösstem Engagement Lobbyist. Kommt jetzt wieder der Vollblut-Hotelier zum Zug?
Selbstverständlich werde ich wieder mehr im Schweizerhof Gastgeber sein. Aber es wird bestimmt mehr Life-Balance als Work sein. Noch etwas intensiver werde ich mich im Start-up discover.swiss, eine digi-tale Plattform für den Tourismus, engagieren. Ganz, ganz wichtig ist mir als Ausgleich die Produktion von Konfi aus einheimischen Früchten. Erst kurz vor unserem Gespräch habe ich Konfi aus Pfirsichen gemacht, die in Chur gewachsen und gereift sind.

Es bleibt für Sie ein Schlusspunkt, ein Schlusssatz nach dreimal drei erfolgreichen Jahren an der Spitze von HotellerieSuisse.
Ich habe es sehr gerne gemacht. Ich bin stolz darauf, wo wir heute stehen. Wir sind gut aufgestellt für die Zukunft. Auch HotellerieSuisse soll positiv denken und auch künftig die Chancen sehen – mit Blick auf die Risiken.
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