Frontex-Abstimmung: Hilmar Gernet im Gespräch mit Andreas Züllig, Präsident HotellerieSuisse
Bei der Frontex-Schengen-Abstimmung vom 15. Mai steht für die Hotellerie- und Tourismusbranche viel auf dem Spiel. Ein Nein führt zum automatischen Ausschluss der Schweiz aus dem europäischen Visa-Raum Schengen. Für die Tourismusbranche würde eine Absage des leicht erhöhten Finanzbeitrags an die Sicherung den Schengen-Raum jährliche Ausfälle von mindestens 500 Millionen Franken bedeuten.
37 Millionen Franken mehr muss die Schweiz künftig für die Sicherung der europäischen Aussengrenzen durch die Organisation Frontex beisteuern. Damit werden jene Länder unterstützt, welche die europäische Grenz- und Küstenwache für alle Schengen-Staaten, zu welchen die Schweiz auch gehört, tatsächlich durchführen. Zu den Aufgaben der Frontex gehört die Sicherung der Grenzen, aber auch ankommende Flüchtlinge zu empfangen. Dass diese beiden Aufgaben zusammenfallen können, zeigt der gegenwärtige Krieg beispielsweise in Polen, der Aussengrenze zur Ukraine, eindrücklich. Scheinbar weit weg von der Schweiz wird zugleich humanitäre und grenzschützerische Arbeit geleistet – und die hat einen Preis.
Der operative Schutz an den europäischen Aussengrenzen durch die Frontex-Organisation, so kann man argumentieren, ist tatsächlich nicht ein primäres Problem der Schweiz.
Andreas Züllig: Die operativen Aufgaben und Herausforderungen zu meistern, ist tatsächlich nicht in erster Linie eine schweizerische Aufgabe. Wir leisten unseren Beitrag mit den zusätzlichen Geldern. Das Problem aber ist, dass ein Nein zum erhöhten Frontex-Beitrag automatisch den Kündigungsmechanismus nach Art. 7 des Schengen-Abkommens zwischen der Schweiz und der EU auslöst.
Bisher hat sich die Schweiz im Verhältnis zur EU darauf verlassen, dass die europäischen Mühlen sehr langsam mahlen. Warum darf man sich jetzt nicht auf dieses Vorgehen verlasssen?
Bei den gegenwärtigen Herausforderungen, die der Krieg in der Ukraine an den europäischen Aussengrenzen mit sich bringt, wäre es fahrlässig, sich darauf zu verlassen, dass die Schweiz für einen Sonderweg auf das Verständnis der EU-Staaten zählen dürfte. Um den rechtlichen Automatismus bei einem Nein noch abwenden zu können, müssten alle EU-Staaten dem Schweizer Sonderzug zustimmen. Ich meine: Das ist ein absolut unwahrscheinliches Szenario. Darauf liesse sich keine seriöse Planung aufbauen. Und zudem wäre es höchst unsolidarisch.
Ohne Schengen würde die Schweiz zur Visums-Insel. Die Touristen aus den wichtigen Fernmärkten ausserhalb Europas bräuchten ein separates Visum für die Schweiz.
Die Folgen für die Hotellerie und die Beherbergungsbranche wären sehr klar negativ. Studien beziffern den Verlust auf jährlich über eine halbe Milliarde Franken. Hinzu kommen die Grenzkontrollen, welche wieder eingeführt werden müssten, weil die Schweiz wieder zur Aussengrenze der EU würde. Für die Gäste bedeutet das Reisebürokratie statt Reisefreiheit. Für die Betriebe bedeutet es das latente Risiko von Lieferengpässen oder Verspätung bei verderblicher Ware.
Neben der direkten Folge, dass viele Touristen für eine Schweizreise ein Visum beantragen müssten, mit welchen weiteren Auswirkungen rechnen Sie bei einem Nein zur Frontex-Vorlage für die Hotellerie und den Tourismus in unserem Land?
Mittelfristig würde ein Nein die Ausgangslage in der ohnehin schwierigen Europapolitik der Schweiz zusätzlich verschlechtern. Kommt es im Europadossier zu weiteren Blockaden, drohen Grenzkontrollen und neue Visabestimmung. Zudem gefährden wir auch den erleichterten Zugang zu unseren europäischen Kundinnen und Kunden und zu Fachkräften aus Europa, die wir unbedingt benötigen. Stabile Beziehungen zu Europa und eine konstruktive Europapolitik bleiben für die Hotellerie weiterhin äusserst wichtig.
Ein Ja zu «Frontex» ist in ihren Augen also sowohl branchenpolitisch als auch europapolitisch für die Schweiz zu begründen.
Ja, unbedingt. So stehen beispielsweise der Schweizerische Gewerbeverband und viele andere Wirtschaftsorganisationen für den Frontex-Beitrag ein. Eigentlich haben wir eine ähnliche Situation wie 2019 mit der Übernahme der Waffenrichtlinie. Der Unterschied besteht darin, dass damals nicht linke Gruppierungen, sondern die Schützen das Referendum ergriffen hatten. Die Konsequenzen und die Betroffenheit aber sind dieselben.
Und können Sie diese nochmals auf den Punkt bringen?
Die Schweizer KMU-Wirtschaft und ganz besonders die Beherbergungsbranche brauchen den Erhalt des Schengen-Abkommens. Die Schweiz soll und will weiterhin am Schengen-Raum partizipieren. Die Reisefreiheit, der freie Visumraum, die offenen innerhalb Europas, aber auch die Sicherheit an den europäischen Aussengrenzen und nicht zuletzt das gute Verhältnis zu unseren Nachbarn hängen daran. Ein Nein würde all diese Vorteile verspielen. Deshalb sage ich am 15. Mai Ja zur Frontex-Vorlage.
Herzlichen Dank für das Gespräch.