«Unsere Gäste sind nicht geschaffen für Askese und Verzicht»

«Unsere Gäste sind nicht geschaffen für Askese und Verzicht»

Hans-Peter Veit, Director Health & Spa im Grand Resort Bad Ragaz Er ist einer der renommiertesten Spa- und Health-Experten in Europa. Der ehemalige Spitzensportler Hans-Peter Veit (Marathon, Triathlon) hat Spa-Bereiche im Brenners Park-Hotel, im Victoria-Jungfrau Grand Hotel Interlaken, in Marrakesch und auf den Seychellen entwickelt und aufgebaut. Jetzt wirkt er als Director Health & Spa im Grand Resort Bad Ragaz.

Hans-Peter Veit, warum sind die Spa- und Wellness-Angebote im Grand Resort Bad Ragaz weltweit so einzigartig?

Die Angebote sind für sich gesehen nicht unbedingt einzigartig. Das Einzigartige aber ist die Kombination aus Wellnessangeboten, medizinischer Therapie, Sport­angeboten und den individuellen, auf den Gast abgestimmten Ernährungsoptionen mit starkem regionalem Bezug direkt aus der Sterneküche des Restaurants Verve by sven.



Sie sagen, Wellness, Fitness und ­Prävention im Gesundheits­bereich sollten in Bad Ragaz stets genussvoll sein. «Mit Genuss ans Ziel» lautet Ihr Credo. Genuss und Wellness/Fitness – liegt da nicht ein gewisser Widerspruch?

Nein, denn es ist von allergrösster Wichtigkeit, dass nicht Verbote im Vordergrund stehen! Gerade bei unseren «NEWYOU-Programmen». Vielmehr setzen wir auf Verständnis und Vertrauen unserer Gäste in unser evidenzbasiertes Fachwissen und Können. Ganz nach dem Motto: «Viele We­­ge führen nach Rom.» Im Zentrum unseres Wirkens steht stets der Gast, und darum suchen meine Mitarbeitenden und ich auch immer nach dem individuell ab­­gestimmten Weg für jeden Gast. Denn Gesundheit in Verbindung mit Genuss ist durchaus möglich!



Wer zum Beispiel Gewicht verlieren oder generell ein gesünderes Leben führen will, kommt ja um eine gewisse Kur oder Veränderung des bisherigen Lebensstils (Fasten) nicht herum. Oder wie sehen Sie das?

Wer mit seinem Gewicht kämpft, macht nicht immer alles nur falsch. Vielmehr sind es kleine Mankos, die sich aufsummie­ren – die paar Kalorien, die sich täglich wie­derholen: ein Glas Cola hier, eine Reihe Schoggi da. Solche Kalorien, gepaart mit zu wenig Bewegung, führen dann schnell zu einer Gewichtszunahme von ein bis eineinhalb Kilos im Jahr. Nun, das ginge ja noch, aber nach zehn Jahren sind es dann halt schon zehn oder mehr Kilos. Es ist fast ein wenig wie mit dem Bankkonto. Wenn jeden Monat 3000 Franken aufs Konto kommen, kann ich rein rechnerisch jeden Tag 100 Franken ausgeben. Wenn ich dann mal in den Ferien an einem Tag 500 Franken ausgebe, muss ich schauen, dass ich die Tage danach etwas weniger ausgebe. Tue ich das nicht, dann fehlen mir am Ende des Monats 500 Franken. Und wenn ich das jeden Monat wiederhole, dann wird das Minus immer grösser. Und nach und nach wird das Problem schnell grösser.




Wer sind Ihre Gäste, Kunden oder Patienten?

Unsere Gästestruktur war schon immer stark von Schweizer Gästen geprägt. Schon vor Corona waren rund 50 Prozent aller Gäste aus der Schweiz, gefolgt von Gästen aus Deutschland, Russland und den Golfstaaten. Bedingt durch die Reisebeschränkungen haben wir in den letzten Monaten praktisch ausschliesslich Schweizer Gäste begrüssen dürfen. Unsere Verankerung im heimischen Markt ist sehr stark – und diesem Umstand verdanken wir auch, dass wir die Pandemie unternehmerisch den Umständen entsprechend zufriedenstellend meistern konnten.



Was erwarten denn Ihre Gäste vor allem, wenn Sie nach Bad Ragaz ins Grand Resort kommen?

Die Gäste, die uns besuchen, erwarten Fünf-Sterne-Hotellerie auf höchstem Ni­­veau. Service-Excellence gepaart mit aussergewöhnlicher Qualität, vielfältiger Gastronomie und nicht zuletzt auch höchster Kompetenz in den Bereichen Wellness und Entspannung.




Welche Spa-Angebote sind derzeit – im Zusammenhang mit der noch aktuellen Covid-Krise – besonders gefragt oder begehrt?

Im letzten Herbst haben wir unsere komplett neuen «NEWYOU-Angebote» lanciert.



Um was geht es da?

Die erfahrungs- und evidenzbasierten Programme holen bei unseren Gästen genau jene Bedürfnisse nach gesundheitlicher Prä­­vention und Selfcare ab, die gerade durch die Pandemie noch mehr in den Vordergrund gerückt sind. Sich selbst Gutes tun und sich ein Time-out nehmen ist vielen Menschen ein sehr grosses Bedürfnis. Besonders nachgefragt sind auch Körperbehandlungen, diese gerne auch in der Paar-Anwendung. Viele unserer Gäste wollen Zeit mit den Liebsten verbringen.



Die Pandemie hat also dazu geführt, dass Wellnesshotels wie das Grand Resort Bad Ragaz besonders gefragt sind. Können Sie das in Zahlen ausdrücken?

Wir haben in den letzten fünfzehn Monaten sehr viele Hochs und Tiefs erlebt. Das Hereinbrechen der Krise Anfang 2020 war ein riesengrosser Schock. Von einem Tag auf den anderen mussten wir auf Anweisung der Regierung viele Bereiche schliessen, Buchungen wurden storniert oder muss­­ten abgesagt werden. Die Schockstarre setzte ein und blockierte uns wie alle Mitbewerber komplett. Im Sommer spürten wir dann langsam, wie zaghaft das Geschäft wieder zurückkam. Aber noch immer mit angezogener Handbrems­e, bis danach im Herbst die zweite Welle über das Land hereinbrach.



Und wie haben Sie reagiert?

Gemeinsam mit dem gesamten Team sind wir drangeblieben, unser Krisenstab hat sämtliche Bereiche durchleuchtet und in­­tensiv an Schutzkonzepten, medizinischen Fragestellungen, unternehmerischen Fo­­kus­­sierungen und Kommunikationen ge­­ar­­beitet und uns damit einen starken Rück­­halt gegeben.

Wann aber kam der «Schweizer Gästeboom»?

Die Auswirkungen all der erwähnten Be­­mühungen machten sich dann ab Februar bezahlt. Plötzlich nahmen die Buchungen zu. Die Gäste sehnten sich nach einer Auszeit von Krise und Pandemie und wollten endlich wieder für kurze Zeit Entspannung, Erholung und Genuss erleben. Ge­­rade an den Wochenenden durften wir auf ein gut gebuchtes Haus blicken – und es war für mich einzigartig, die Rückkehr des Lebens zu erleben. Dies hat sich auch im Wellnessbereich ausgewirkt. Wir durften seit Jahresbeginn knapp 30 Prozent mehr Behandlungen ausführen als im entsprechenden Fünfjahresschnitt.



«Medical Wellness» gilt seit einigen Jahren als grosser Trend. Sind solche Angebote auch für kleinere oder mittlere Ferienhotels geeignet?

Dank meiner langjährigen Erfahrung in der Branche möchte ich jeden Hotelier warnen, der unüberlegt auf den Zug «Me­­dical Wellness» aufspringen möchte. Me­­dizin und Wellness geschickt und vor allem profitabel zu kombinieren, ist weitaus schwieriger, als «nur» klassisches Wellness anzubieten.



Sie haben vorhin «NEWYOU» erwähnt. Nochmals: Was beinhaltet dieses neue Angebot konkret?

Bei «NEWYOU» geht es, vereinfacht ge­sagt, wie der Name sagt, um «Das neue Ich». Dabei bieten wir massgeschneiderte, komplett individuelle Programme an – zusammengestellt aus sechs Lebensstilelementen. Diese Zusammenstellung garantiert Erfolg, der Spass macht. Daneben wollen wir unsere Gäste motivieren, Eigeninitiative für ihre Gesundheit zu entdecken und zu entwickeln.



Der Lanserhof im Tirol und am Tegernsee (Bayern) ist seit Jahren erfolgreich, wenn es um Fasten und solche Dinge geht. Warum bieten Sie das nicht auch im Grand Resort an? Wäre doch ein lukratives Business

Keine Frage, einige unserer Mitbewerber sind mit Fastenkuren sehr erfolgreich. Aber eine Fastenkur ohne Genuss passt nicht zu uns, zu unserer Philosophie und zu unserem Credo. Wir glauben, dass man nur mit Erlebnis, Spass und Genuss dauerhaft «an der Stange» bleibt.

Spa- oder Wellness-Anlagen kosten vor allem viel Geld (hohe Inves­titionen, hohe Personal- und Unterhaltskosten). Experten sagen: Alles, was mit Wasser zu tun hat (Pool, Saunen, Dampfbäder), ­verursacht nur Kosten, aber keine Erträge. Wie schaffen Sie in Bad Ragaz diesen Spagat?

Auf den Mix kommt es an! Unternehmerisch ausgedrückt: Das Verhältnis von Leisure-Fläche und produktiven Bereichen wie Beauty und Massage muss gut abgestimmt sein. Heutzutage ist ein Wellnessbereich in unserem Segment ein absolutes Must-have. Die Zeiten, wo ein Spa-Bereich höhere Zimmerraten oder eine längere Verweildauer der Gäste garantierte, sind längst vorbei.



Der renommierte Trendforscher ­Matthias Horx sagt: «Wellness war gestern, die Zukunft heisst ­Selfness.» Wird Bad Ragaz schon bald ein Selfness-Resort?

Seit etwa fünf Jahren sagen viele Spa-Ex­perten, dass in Zukunft auch Themen wie «Emotional Balance» zunehmend wich­tiger werden. Ja, ich teile diese Auffassung, bin aber hier etwas differenzierter unterwegs. Ich bin überzeugt, dass viele Gäste einfach nur ein paar schöne Tage im Resort bei uns geniessen möchten – und nicht das vollumfängliche Spa-Angebot. Wir werden in den nächsten Jahren sicherlich kein ­reines Selfness-Resort.



Bieten Sie denn bereits heute sogenannte Selfness-Produkte an (Yoga, Ayurveda, Achtsamkeitskurse, Meditationen)? Und ist das überhaupt ein «Markt»?

Yoga ist seit vielen Jahren ein fester Be­­stand­teil unseres Programms, das wir – nebenbei bemerkt – unseren Gästen kostenfrei als Kurs anbieten. Achtsamkeitstraining, Meditationen und andere Naturerlebnisse haben wir ebenfalls im Angebot. Bei Ayurveda bin ich persönlich vorsichtig, denn hier gehört aus meiner Sicht – neben den Anwendungen – auch immer eine spezielle medizinische Betreuung und ayurvedisches Essen dazu.



Der sogenannte «High End»-Gast sucht Ruhe, Abgeschiedenheit, er verlangt Raum und Zeit für sich selbst (Selbstverwirklichung). Sind Sie im Grand Resort in der Lage, auch solche Gäste-Bedürfnisse abzudecken? Oder betreiben Sie in Zukunft eine abgelegene Alp in den Bergen oder eine Insel im Pazifik, um solche «Luxusgäste» anzusprechen?

In den letzten 20 Jahren habe ich durch meine berufliche Tätigkeit und meine Expertise gelernt, dass der sogenannte «High End»-Gast eigentlich nichts Aussergewöhnliches braucht. Aus Erfahrung weiss ich, dass Menschen, die sich alles kaufen können, oftmals gerade das Einfache, das Persönliche suchen. Ich erinnere mich beispielsweise gerne daran, wie ich vor einigen Jahren mit einer Königin – sie ist gekröntes Haupt eines Landes, das etwa doppelt so gross ist wie die Schweiz – eine eigentlich unspektakuläre Wanderung gemacht habe. Die königliche Hoheit war zutiefst beeindruckt, und es war genau das, was sie sich wünschte. Genauso verhielt es sich mit einer russischen Milliar­därin und ihrer Familie. Wir machten eine Radtour zu einem Baggersee – auch das ein voller Erfolg. Menschen, die vermeintlich alles haben, wünschen sich den einfachen Genuss, das Zusammensein mit der Familie und kleine Momente ohne Bodyguards und Presse. Eine Alp könnte hier für uns als Resort vielleicht hilfreich sein – wer weiss (lacht).



Viele Menschen leiden unter ­Depressionen, Burnouts und solchen Krankheiten. Was bieten Sie in diesem Bereich?

Körper und Seele im Gleichgewicht zu ­halten ist wichtiger denn je – unsere «NEWYOU-Programme» beinhalten professionelle Coachings mit Mental-Trainern und geschulten Personal-Trainern. Bei fortgeschrittener Depression oder schwerem Burnout sind wir jedoch nicht die ­richtige Institution. Das überlassen wir den Fachleuten. Hier darf man die Pro­bleme nicht unter-, die eigenen Möglichkeiten aber auf keinen Fall überschätzen.


Das Grand Resort Bad Ragaz ist einerseits ein Hotel mit Gastronomie und Spa-Angeboten, andererseits unterhalten Sie auch eine Klinik. Auch da stellt sich die Frage: Wie schaffen Sie den Spagat, sodass am Ende nicht kranke Menschen an Krücken und in Rollstühlen das Bild des Resorts dominieren?

Wir sind ein Haus, in dem alle Gäste ihren Raum finden. Ganz bewusst haben wir uns entschieden – von jungen Paaren über Familien mit Kindern bis hin zu den Grosseltern –, Menschen jeder Altersklasse die Möglichkeit zu geben, sich bei uns wohl­zufühlen. Mit den Angeboten von Kulinarik, Golf, Sport im allgemeinen, Spa, aber auch jenen im medizinischen Zentrum schaffen wir Räume für jedes Bedürfnis. Egal, ob ruhesuchend oder familiäre Ge­­meinsamkeit und Spass – alle Gäste sind bei uns willkommen.



Wie lauten die Spa-Trends 2021/22? Wohin geht die Reise im Bereich Wellness, Medical und Fitness?

Aufgrund der Pandemie glaube ich persönlich, dass Angebote zur Selbstoptimierung und Genuss weiterhin stark nachgefragt werden. Das gestiegene Gesundheitsbe­wusst­sein wird zu einem Boom bei präventiven Gesundheits- und «Recharge»-Programmen führen.



Was tun Sie für Ihre Gesundheit und Fitness?

Seit über 35 Jahren habe ich mich mit Leidenschaft dem Ausdauersport verschrieben – hauptsächlich Marathon und Tri­­athlon, aber auch Mountainbike. Heute zwar nicht mehr so verbissen, aber fünf bis sieben Trainingseinheiten pro Woche sollen es dann schon sein, zur Not auch mal auf dem Laufband im Wohnzim­mer …



Wer ist Hans-Peter Veit?

Seit Juli 2020 ist der gebürtige ­Deutsche für das Grand Resort Bad Ragaz tätig und bringt langjährige Erfahrung und internationales Fachwissen in der Hotel-Spa-Branche mit. In den ­vergangenen 20 Jahren war er im ­Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa in Interlaken und im Brenners Park-Hotel & Spa, Baden-Baden aktiv. Für die Oetker Collection zeichnete er als Director of Spa Development unter anderem für die Spas in Marrakesch und den Seychellen verantwortlich. Individualität und Freude sind ihm bei seinen «NEWYOU-Method-Gästen» besonders wichtig. «Wer ein Ziel ­erreichen will, muss investieren», ist Hans-Peter Veit überzeugt, «aber unsere Klientel ist nicht geschaffen für Askese und Verzicht.» Nur was letztlich schmecke, Spass mache und einfach in den Alltag zu integrieren sei, führe bei den Gästen dauerhaft zum Erfolg, betont der Director Health & Spa.


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