Wo steht die Schweizer Hotellerie im Jahr 2030?

Wo steht die Schweizer Hotellerie im Jahr 2030?

Unternehmens- und Hotelberater Rolf Widmer hat sieben Thesen zur Hotellerie der Zukunft verfasst Andere Branchen haben den Strukturwandel längst hinter sich, die Hotellerie steckt noch mittendrin – unabhängig von den Folgen der Covid-Krise. Wo aber steht die Hotellerie im Jahr 2030? Wie wird sich die Branche verändern? Der renommierte ­Unternehmensberater Rolf Widmer wagt sieben Thesen zur Hotellandschaft der Zukunft.


Es war einmal. So beginnen Märchen. Bis in die 1970er-Jahre war auch der Schweizer Tourismus ein Märchen. Seitdem stagnieren die Logiernächte, und wir haben ein Überangebot an Hotels. Was in anderen Branchen (z. B. Bäckereien) schon radikaler vollzogen ist, darin steht die Hotellerie mittendrin: Strukturwandel und Struktur­be­reinigung bei den Anbietern. Wo stehen wir in diesem Prozess? Die Zahlen und Fakten der Entwicklung in den Jahren 2000 bis 2018 zeigen es deutlich: Die Branche ist immer noch stark geprägt durch viele ­kleinere Betriebe. Die wesentlichen Wachstumsimpulse hingegen kommen von Hotelbetrieben mit mehr als 50 Zimmern.


Hoteliers schöpfen immer wieder Hoffnung – auf gute Winter oder auf ein Anhalten des covidbedingten Inländerbooms. Doch der Strukturwandel geht weiter. Wie radikal? Wer werden die Gewinner sein? Dazu sieben Thesen – verfasst vor allem aus der Perspektive Betriebsgrösse und Eigentümer-Situation und ohne auf die Unterschiede Stadt/Ferien-Hotellerie ge­­nau einzugehen.



1. Betriebe steuern und investieren genauer nach ihrer ­optimalen Betriebsgrösse.

Erfahrungswerte aus anderen Branchen gelten auch für die Hotellerie: Gesunde finanzielle Ergebnisse erzielen häufig entweder ganz kleine oder dann grosse Anbieter. Die Kleinsthotels und die kleinen mittleren Hotels (bis ca. 30 Zimmer) können sich agil und mit schlanken Betriebsstrukturen auf eine Nische (im Premium-Be­reich, im Günstig-Bereich) fokussieren. Die grossen Betriebe (ab ca. 70 Zimmer) profitieren von ihren Vorteilen im Sales & Marketing, in der Digitalisierung, im Einkauf usw. Hotel-Leuchttürme und Resorts, aber auch neu erstellte Hotels in den grossen Schweizer Wirtschaftsräumen bauen auf solche Grössenvorteile.


Hingegen liegen mittelgrosse Hotels oft «zwischen Stuhl und Bank»: zu klein, um sich die 360-Grad-Professionalität der grossen leisten zu können, jedoch bereits zu gross für einen superschlanken, übersichtlichen Betrieb. Spezialisierte, unabhängige Hotels, die meist schon lange am Markt sind, sind die Ausnahmen in dieser kritischen Betriebsgrösse.


3500 Hotelbetriebe in der Schweiz verfügen über bis zu 35 Zimmer. Viele davon haben sich bereits in einer Nische klar po­­sitioniert. Ganz viele sind noch auf der Suche. Und mit der Positionierung stellen sich auch Fragen: Wollen wir unsere Zimmer- und Gastronomie-Kapazitäten erweitern? Oder wäre es rentabler, wieder kleiner zu werden?



2. Etwa 1000 kleine und mittlere Hotels werden bis 2030 vom Markt verschwinden.

Viele Hotels sind «Durchhangler»: Sie weisen eine ungenügende Ertragskraft aus, können sich gerade über Wasser halten, aber sich nicht mehr erneuern, weil Hypothekarerhöhungen nicht mehr tragbar sind. Unbequem, aber voraussehbar, wenn man die ganzjährige Bettenauslastung (unter 40 Prozent bei den Hotels mit we­­niger als 35 Zimmern) anschaut: Viele ­not­leidende Hotelbetriebe werden keinen Turn­round schaffen, sondern verkaufen und aussteigen wollen. Ausgehend vom Rückgang der Anzahl Betriebe seit dem Jahr 2000 wird sich der Rückgang vor­aussichtlich beschleunigen und bis 2030 nochmals rund 1000 Betriebe betreffen.



3. Kleine und mittlere Hotel­gruppen verändern die Hotellandschaft markant.

Sowohl im städtischen Umfeld als auch im alpinen Raum sind kleine und mittlere Hotelgruppen zum Treiber der Verän­derung geworden. Warum? Erfolgreiche Hotel-Betreiber werden zum einen von anderen Hotelbesitzern und von Banken zur Betriebsübernahme angefragt. Und zum anderen suchen sie aktiv zur Gruppe passende Häuser oder bauen gleich selber neue Hotels. Dank Grössenvorteilen er­­zielen diese Gruppen gesunde Ergebnisse. Hotelgruppen fokussieren sich oft auf eine Region oder einen bestimmten Gäste-Lifestyle.


Die Kettenhotellerie wird demgegenüber ihren Anteil nochmals leicht steigern, in der Schweiz gegenüber dem Ausland je­­doch immer noch verhältnismässig klein bleiben.



4. Es entstehen neue Modelle zur Umnutzung von ausstiegsbereiten Hotels.

Ausstiegsbereite Hotelinhaber im Bereich der kleinen und kleinen mittleren Hotels gibt es viele – oft auch, weil keine Nach­folgelösungen zustande kommen. Oft ist aber die bauliche Substanz für einen Käufer und Hotelbetreiber in einem Zustand, der sich nicht mit den Preisvorstellungen der Verkäufer trifft. Ein Verkauf und die Umnutzung in Zweitwohnungen ist aufgrund des Zweitwohnungsgesetzes häufig verunmöglicht bzw. massiv erschwert worden.



Wenn leerstehende oder nur noch knapp überlebensfähige Hotels vermieden werden sollen, dann braucht es neue Modelle für die Umnutzungen. Die einzelnen Hotel­besitzer werden gezwungen sein, mit

Baubehörden, Banken, Betreibern von be­­wirtschafteten Wohnungen und Renovierungs- oder Generalunternehmern zusammenzuarbeiten. So kann ein End-of-lifecycle-Hotel in einen neuen Nutzungsmix transformiert werden.



5. Gemeinnützige Trägerschaften sichern das Überleben erhaltenswürdiger Hotels.

Im Segment der kleinen und mittleren Hotels gibt es zahlreiche erhaltenswürdige Betriebe. Sie sind entweder kulturhistorisch wertvoll oder sie übernehmen in kleinen Destinationen oder Gemeinden wichtige Funktionen (z. B. einziges Restaurant im Dorf). In einer Mischung aus öffentlichem Interesse und Liebhaberei leisten einzelne Privatpersonen, Stiftungen oder Unterstützerkreise finanziellen und Know-how-Support, mit dem Betriebe überleben und erneuert werden können. Gemein­nützige Trägerschaften werden einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zum Erhalt wertvoller Hotelsubstanz in der Schweiz leisten.





6. Gemeinden und Standort­förderungen steuern ihre Hotel-Portefeuilles proaktiver.

Regionale Standortförderungen und Ge­­meinden werden verschiedene Szenarien erarbeiten, wie ihr Hotelbestand im Jahr 2030 aussehen könnte. Und sie werden ihr angestrebtes Hotel-Portfolio proaktiver steuern: Sie helfen bei Nachfolgeproblemen oder bei der Betreibersuche, sie unterstützen und nutzen den Spielraum zur Um­­nutzung von ausstiegsbereiten Hotels. Und sie werden für neue Grosshotels bereits früh mit Arealplanungen die baurecht­lichen Voraussetzungen schaffen, damit Investoren ein Hotelprojekt auch in angemessener Zeit realisieren können.



7. In der konsolidierten Hotel­landschaft 2030 wird sich die Ertragslage für viele Hotels deutlich verbessert haben.

Langfristig geht der Trend von der heute immer noch stark zersplitterten Branchenstruktur hin zu einer konsolidierten Struktur mit grösseren Betrieben und wachsenden Hotelgruppen. Das Wirtschaftsforum Graubünden, zum Beispiel, hat mit seinen Studien aufgezeigt: Weniger, aber besser ausgelastete und professioneller geführte Hotels mit höheren Zimmerzahlen erzielen bessere operative Ergebnisse. Wer also ei­­nen langen Atem hat, kann hoffen.


Der Wandel in der Schweizer Hotellandschaft wird für viele Betriebe schmerzhaft verlaufen. Und der Wandel fordert von ­Po­­litik und Verbänden Mut. Und zugleich ­bietet er die grosse Chance, mit einer erneuerten Hotellandschaft einen wichtigen Beitrag zu einem starken Schweizer Tourismus zu leisten. ν


Der Autor

Rolf Widmer (Inhaber der Firma Widmer + Partner Management­beratung) ist seit über 20 Jahren Coach für Strategie- und Management­entwicklung in der Hotellerie und in anderen Branchen. Er ist Ver­waltungs­ratsmitglied bei den ­Belvedere Hotels Scuol und bei der Academia Engiadina, Samedan.


Zurück zu den Artikeln