Nationalrat Eric Nussbaumer (SP, BL) präsidiert die grosse Parlamentskammer und ist 2024 der «höchste Schweizer». Als Mitglied der Aussenpolitischen Kommission, der EFTA- sowie der EU-Delegation ist er in gewissem Sinne ein politischer Hotel-Profi. Privat liebt er historische Hotels mit menschlicher Gastfreundschaft, ohne vollautomatischen Check-in.
Was kommt Ihnen spontan zum Begriff «Hotel» in den Sinn?
Hotels habe ich erst in meinem Berufsleben und in der Politik kennengelernt. Als Kind haben wir in unserer Familie Campingferien gemacht oder besuchten Verwandte und übernachteten bei ihnen. Heute ist das Hotel für mich eine Möglichkeit zum Verweilen. Besonders gut gefallen mir historische Hotels. Das sind eigentlich immer Hotels mit Charakter, und in den Städten sind sie nicht selten von städtebaulicher Bedeutung.
Was macht für Sie ein gutes Hotel aus?
Das Gefühl, dass man sich im Hotel freut, dass man gekommen ist. Ich mag, wenn eine Hotelière oder ein Hotelier persönlich zur Verfügung stehen, wenn man Fragen stellen kann, wenn ich lokale Hinweise und Tipps bekomme, wenn ich Gastfreundschaft spüre und mich so wohlfühle. Oder anders gesagt, wenn es gelingt in kurzer Zeit eine Beziehung aufzubauen. Dagegen ist für mich der vollautomatische Check-in ökonomisch zwar verständlich, aber menschlich ist es ein Verlust.
Was schätzen Sie besonders am Hotelservice?
Die unterschiedlichsten Hilfestellungen sind das Schönste im Hotel. Ich bin ein Fan von guter Infrastruktur. Was im Zimmer ist – in einer Suite bin ich eigentlich nie – das muss funktionieren. Wenn ich vom Zimmer runtergehe, dann will ich guten Service. Ich glaube, das kann der Gast in der Schweiz beim hiesigen Preisniveau erwarten.
Helfen Ihnen die Sterne bei der Auswahl eines Hotels?
Sie halfen auch schon. In Drei- und Vier-Sterne-Hotels ist meistens alles okay.
Machen Sie Hotelferien?
Hotel-Ferien, eine oder zwei Wochen an einem Ort, machen meine Frau und ich nicht. In den Ferien bin ich nicht gerne lange an einem Ort. Bis zu drei Tagen sind okay. Oft kombinieren wir Hotel und Wandern oder gelegentlich auch Hotel und Camping. Und im Winter bevorzuge ich eine Ferienwohnung.
Haben Sie ein Lieblingshotel?
Besuche in einem bestimmten Hotel sind für uns kein Thema. Aber ich mag historische Hotels wie in Splügen oder das Waldhaus in Sils. Solche Hotels sind für mich Orte, wo man Feste mit der Familie oder Freunden feiert und dann zwei, drei Tage bleibt.
Welches ist Ihr Hotel während den Parlamentssessionen in Bern und welche Bedeutung hat dieses Haus für Sie?
Anfänglich war ich im Hotel Bern, dem traditionellen SP-Hotel. Bald entschied ich mich jedoch dafür, ein Zimmer zu mieten. Seit vielen Jahren bin ich nun Untermieter in der Wohnung eines inzwischen Pensionierten. Dieses Zimmer ist in Bern mein Reich. Da kann man auch mal etwas liegen lassen. Zudem muss ich nicht jedes Mal, wenn ich wieder anreise, alles von zu Hause mitnehmen. Mein Zimmer in der Länggasse hat den Vorteil, dass ich den Arbeitstag mit einem zwölfminütigen Spaziergang ins Bundeshaus beginnen kann. Das ist dann zugleich ein kleiner Beitrag für meine Fitness.
Man sagt, dass die Hotelbar ein besonderer politischer Ort sei. Man hört, in Bern sei, oder war, die Bar im Hotel Bellevue vor Bundesratswahlen ein spezieller Ort, wo die Wahl für den nächsten Vormittag beeinflusst worden sei.
Auf den politischen Reisen für die Aussenpolitische Kommission oder die EFTA- beziehungsweise EU-Delegation des Nationalrats erlebe ich eine Hotelbar gelegentlich tatsächlich als Ort, wo man bei einem Bierli schwatzen kann. In der Bellevue-Bar trinken wir nach einem Match des FC Nationalrat gelegentlich noch etwas zusammen. Wenn ich privat in eine Bar gehe, was äusserst selten vorkommt, dann muss sie Charakter haben und es braucht Life-Musik. In Bern bin ich kein Bar-Gänger. Ob hier in der einen oder anderen Bar die grossen politischen Kompromisse und Lösungen entstehen, ist eher fraglich. Hinzu kommt, dass derzeit die einflussreichen Politiker und Politikerinnen alle keine Bar-Typen sind. Ich weiss jedoch, dass Parlamentskollegen, die im gleichen Hotel nächtigen, am Abend in der Hotelbar ab und zu noch zusammensitzen und nicht nur über Politik, sondern auch über Gott und die Welt reden. Recht viele Politiker gehen jedoch abends nach Hause, was ich schade finde. Der Taktfahrplan erzeugte so eine Nebenwirkung, die nicht unbedingt zur ausserparlamentarischen, parteiübergreifenden Verständigung beiträgt.
Zwischen Hotel und Politik gibt es eine spezielle Verbindung. Im Juni fand auf dem Bürgenstock im Top-Hotel die internationale Konferenz für den Frieden in der Ukraine statt. Was zeichnet aus Ihrer Erfahrung als langjähriger Aussenpolitiker ein Hotel gegenüber einem Kongresszentrum aus?
In einem Hotel kommt immer die Gastfreundschaft als zusätzliches, positives Element dazu, welches zur Konferenzatmosphäre beiträgt. Die Hotels versuchen für die Teilnehmer der politischen Veranstaltung, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle wohlfühlen. Dass man am gleichen Ort übernachtet, wo man verhandelt, schafft Möglichkeiten zu wichtigen informellen Kontakten. Das sind Aspekte, die dazu beitragen können, dass gute Ergebnisse erreicht werden können. Das gilt übrigens nicht nur für politische Konferenzen, sondern auch für Retraiten von Firmen und Organisationen. Der Trend ist heute jedoch ein anderer. Kongresse und Tagungen dauern häufig von 10 bis 16 Uhr, da braucht man die Besonderheiten von Hotels nicht.
Nochmals zurück zur Bürgenstock-Konferenz.
Die Schweiz hat das gut gemacht. Bei den Teilnehmern ist die Konferenz gut angekommen. Die Konferenz wird ihnen in sehr guter Erinnerung bleiben. Das hat selbstverständlich auch mit dem besonderen Hotel und der Top-Tourismusdestination zu tun. Alles war sehr gut organisiert, die Sicherheit war gewährleistet und die Infrastruktur war ausgezeichnet. Das hat dem Image und der Rolle der Schweiz genutzt, gerade in einer Zeit, in der es vorher teilweise harte internationale Kritik gab.
Lassen Sie uns noch auf ein Problem zu sprechen kommen, mit dem die Hotellerie seit Jahren konfrontiert ist, den Fachkräfte- und Personalmangel.
Was dagegen tun, weiss ich nicht. Der Arbeitskräftemangel ist ein generelles Problem in Europa. Aus Schweizersicht ist eine anständige Standortpolitik notwendig. Der italienische Staat beispielsweise erhebt für Grenzgänger, die in der Schweiz in Spitälern arbeiten, eine Abgabe. Das will niemand, weder die Grenzgänger noch die Unternehmen in der Schweiz. Wir brauchen mit unseren Nachbarstaaten rechtlich verlässliche Rahmenbedingungen. Diese zu erreichen und zu sichern ist die Aufgabe des Staates. Für konkrete, gute, attraktive Arbeitsbedingungen haben die Unternehmen zu sorgen. Gerade in der Hotellerie habe ich schon verschiedene gute Ansätze gesehen. So zum Beispiel ein Modell zur Job-Rotation in einem Hotel in Grindelwald. Die Abwechslung bei der Arbeit wird dort von den Mitarbeitenden sehr geschätzt. Die Arbeitskräfte-Thematik bleibt jedoch eine der grossen Herausforderungen. Dabei ist das Instrument der Standortförderung des Bundes ein gutes Mittel, um einzigartige, langfristige Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Sie sprechen damit auch eines der anspruchsvollsten und sensibelsten Themen der Schweizer Politik an, das Verhältnis der Schweiz zur EU. Für die Hotellerie ist die Personenfreizügigkeit überlebenswichtig, um Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren zu können.
Die Personenfreizügigkeit zwischen der EU und der Schweiz muss funktionieren. Jede Einschränkung gegenüber der heutigen Regelung schadet der Schweiz und auch der Hotellerie. Es soll keine zusätzlichen Abgaben für Grenzgänger geben, die Reisefreiheit soll nicht eingeschränkt werden, Diplome sollen anerkannt werden. Gerade der Tourismus und die Hotellerie leben nicht nur von Asien.
Was denken Sie als Europapolitiker, wird in den laufenden Verhandlungen eine Lösung für ein balanciertes Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU gefunden?
Wir brauchen eine Lösung. Das, so scheint mir, ist jetzt das Momentum in unserer Gesellschaft. Jetzt muss ein Ergebnis auf den Tisch kommen, das wir dann im Parlament und in der Bevölkerung diskutieren und entscheiden können. Ich habe den Eindruck, dass es nur noch wenig braucht und sich die Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer endlich bewegen müssen. Die Haltung der Arbeitgeber, nach dem Motto «wir sind am Ende, mehr geht nicht», blockiert. Aber auch die Forderung der Gewerkschaften, die sagen «es braucht noch das eine oder andere Zugeständnis», blockiert ebenso.
Wie schätzen Sie die Chancen für ein neues Vertragspaket zwischen der Schweiz und der EU in der Volksabstimmung ein?
In der Volksabstimmung erwarte ich ein Ergebnis 50 zu 50. Es wird knapp. Aber es stellt sich doch einfach die Frage, was die Alternative ist zum Vertragspaket, das gegenwärtig mit der EU ausgehandelt wird.
Wenden wir uns noch kurz zwei wichtigen, aber überschaubaren Themen zu. Zuerst der Overtourism und dann noch die Frage nach dem touristischen Hochpreisland Schweiz. Zum Overtourism: Es gibt Hotspots in der Schweiz, beispielsweise Iseltwald, da wehrt sich die Gemeinde mit Drehkreuzen, die mit fünf Franken geöffnet werden können, vor zu vielen Touristen aus aller Welt.
Das ist in einem gewissen Sinne der Preis der Globalisierung. Das Entstehen von touristischen Hotspots ist zu einem beachtlichen Teil Social Media geschuldet. Ich denke aber, dass das Drehkreuz nicht überall nötig ist. Anstehen kann auch eine Lösung sein. Reisen bedeutet auch Verweilen. Reisen braucht Zeit. Zudem ist dafür zu sorgen, dass Touristen die Grenzen respektieren, die von den Leuten gesetzt sind, die in solchen Hotspots leben.
Zum Schluss noch zur Schweiz als Hochpreisland. Besteht die Gefahr, dass nur noch bestimmte Gruppen sich eine Reise in die Schweiz leisten können und so das Image unseres Landes leidet?
Die Schweiz ist ein so schönes Land, da ist es verständlich, dass viele Leute hier ein, zwei, drei Tage verbringen möchten. Die Schweiz muss allen interessierten Touristen in allen Preisklassen ein Angebot bieten, von den Backpacker-Hotels bis zu den Spitzenhotels. Denn die Gastfreundschaft in der Schweiz ist nicht vom Preis abhängig.
Nationalratspräsident auf Reisen
Wenn Parlamentarier international reisen müssen, so bucht der Reisedienst der Parlamentsdienste die Zimmer. Anders ist es bei Einladungen von anderen Staaten oder internationalen Organisationen. Da helfen die Botschaften der einladenden Länder oder auch die Schweizer Botschaft im Gastland. Diese Unterkünfte sind dann in der Regel attraktiver als jene, die von den Parlamentsdiensten gebucht werden.
Bei der Fussball-Europameisterschaft in Deutschland hatte Eric Nussbaumer als Nationalratspräsident die Möglichkeit, drei Spiele zu besuchen.* Mit Rückblick auf die Hotels, in denen er nächtigen durfte, war die Reise ambivalent. Dazu seine Kurzbeurteilungen:
– Berlin: Intercity Hotel neben dem Hauptbahnhof – sehr gut
– Düsseldorf: Drei-Sterne-Hotel – ungenügend
– Frankfurt: Hotel Platzhirsch, beim Flughafen, Shuttle zum Stadion – einfach, günstig, tipptopp
* Eric Nussbaumer war zehn Jahre Captain des FC Nationalrat. Vor zwei Jahren gab er die Captain-Binde an Nationalrat Lars Guggisberg (SVP/BE) weiter.