Hotel-Sehnsucht und Zeitgeist in TV-Serien

Hotel-Sehnsucht und Zeitgeist in TV-Serien

Warum ist das Hotel immer wieder Thema in TV­-Serien? Sind es das Menschliche und das Allzumenschliche, die sich im Hotel abspielen? Wird hier der Zeitgeist in leicht verdaulichen Portionen vermessen, ver-­ oder abgehandelt? «Hotel Modial», eine neue ZDF-­Serie sucht und gibt Antworten. Und wie bediente das Schweizer Fernsehen die Hotel­Sehnsucht?


Was ein Hotel ist, das wissen wir. Zur Erinnerung die Duden­Definition: «Hotel – Substantiv, Neutrum. Als Gewerbebetrieb geführtes Haus mit bestimm­tem Komfort, in dem Gäste übernachten bzw. für eine bestimmte Zeit wohnen können und verpflegt werden.» So weit, so klar, korrekt und langweilig. Und noch lange kein Grund, darüber eine TV­Soap zu drehen. Dennoch läuft derzeit im ZDF mit «Hotel Mondial» eine neue Serie.


«Hotel Mondial»

«Das Hotel ist ein Kessel, der ständig erhitzt wird und an dem sich moderne, heutige Geschichten wie Was­serdampf niederschlagen – im Pendelschlag zwischen Geschäft und Gefühl. Es ist ein unendliches Kraftwerk an faszinierenden Geschichten.» So sieht Johannes Pollmann, Produzent der neuen TV­Serie, das «Hotel Mondial», den Hauptdarsteller der zwölfteiligen Serie (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.1.2023). Noch bis Mitte April wird im ZDF wöchentlich, am Mittwoch 19.25–20.15 Uhr, die (Hotel­)Welt abgehandelt. Der Plot ist nicht neu: Das Traditionshaus Hotel Mondial bekommt eine neue Chefin. Neben dem «täglichen Kampf an der Gästefront» muss sie einen rigorosen Sparkurs fahren, um das Haus aus den roten Zahlen zu führen. So verlangt es die Leitung des weltweit agierenden Hotelkonzerns, zu dem das Hotel gehört. Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Hinzu kommen Team­ und Hierarchieknatsch sowie selbstredend Gästetragödien und ­komödien. Ist etwas anders als bei anderen Hotelserien? Ja, Frauen führen das Haus: Nicht nur die Hoteldirektion, sondern auch die Küche sowie die Rezeption und das Conciergeteam werden von Frauen geführt. Reinschauen ist kein (Zeit­)Verlust.


«Motel»

Die Soap «Motel» war eine der erfolgreichsten Schwei­zer Fernsehserien. Ausgestrahlt wurden 1984 40 Fol­gen. Ort der Handlung war ein Motel in Egerkingen. Gedreht wurden die Episoden bei laufendem Betrieb des Motels, jeweils von Montag bis Donnerstag. Am Sonntagabend wurde die aktuelle Folge ausgestrahlt und sorgte sowohl in privaten Unterhaltungen wie auch in der Boulevardpresse Anfang Woche für Ge ­sprächsstoff. Da waren zum Beispiel der Kuss und die Zärtlichkeiten eines homosexuellen Paars, was im damaligen Kontext von Aids provozierte. Einmal erhitzte ein «Busen­Blitzer» der Hauptdarstellerin für kurze Zeit die Schweizer Gemüter. Oder die Motel­Küche, ein kultureller Schmelztiegel, in der Türken, Sri Lanker und Schweizer arbeiteten.


Aus heutiger Sicht ist die Serie ein Zeitdokument über den Alltag der Schweiz in den 1980er­Jahren; mit leich­tem gesellschaftskritischem Touch. Im Jahr 1994 lief die im Original schweizerdeutsch gesprochene Serie in einer gekürzten und synchronisierten Fassung auf 3Sat. 2020 kam es zu einer Wiederholung der «Motel»­Soap, als SRF alle Folgen ausstrahlte. Seither sind sie im Internet abrufbar.


«Hotel zum Glüc

Die Sendung «SRF bi de Lüt» lancierte 2020 das vier Folgen dauernde Experiment «Hotel zum Glück». Die Sendeidee war ambitioniert: In Begleitung einer Kamera sollten Arbeitslose in einem Hotelbetrieb wie­der in den ordentlichen Arbeitsprozess eingegliedert werden. Fünf Arbeitssuchende, ohne nenneswerte Praxiserfahrung in der Hotellerie, stellten sich der Herausforderung: Eine 60­jährige Mutter, ein eben­falls 60­jäh riger Schreiner, ein 54­Jähriger mit etwas Erfahrung in einer Restaurantküche, ein 25­jähriger Carrosserie­Spengler mit etwas Gastronomiekennt­ nissen aus einem Kebab­Laden und eine 31­jährige studierte Übersetzerin und ehemalige Reiseleiterin. Alle stammten aus dem «Unterland» und hofften, die Winter saison 2019/20 im Hotelbetrieb zu Ende brin­gen zu können. Ob sie diese Chance erhielten, sollte sich am Schluss der Dreharbeiten zeigen. Die Entschei­dung lag beim Besitzerpaar des Hotels Chesa Salis in Bever, Sibylla und Jürg Degiacomi. In diesem Haus wurde das TV­Experiment realisiert.

Das «Hotel zum Glück» war (und ist) ein schmuckes Patrizier haus aus dem 16. Jahrhundert, das in der hektischen Wintersaison während zwei Monaten von den fünf Laien übernommen wurde. Das echte Be­ sitzer paar, so die Spielregel, zog sich für die Drehzeit aus dem Betrieb zurück. Während dieser Zeit stand den Hotelneulingen mit Ernst Wyrsch ein erfahrener Bündner Hotelier als Coach zur Seite. Er selbst führte jahrelang das Hotel Belvédère in Davos und beher­bergte alles, was Rang und Namen hatte. Er unter­stützte die Arbeitslosen, die ins kalte (Hotel­)Wasser geworfen wurden, menschlich und fachlich.


Die Dreharbeiten liefen im Dezember und Januar 2019/20. Bereits im Februar 2020, jeweils am Freitag, wurden die vier Folgen ausgestrahlt. Sie erreichten rund 450 000 Zuschauer, was als sehr guter Wert gelte, wie Ernst Wyrsch gegenüber «Hotelière» erklärt. Allerdings gab es einen Wermutstropfen. Wegen Corona musste das Hotel Chesa Salis im März 2020 geschlos­sen werden. Dennoch wurde es für zwei TV­Hoteliers zu ihrem «Hotel zum Glück». Sie erhielten einen Arbeitsvertrag. Ein dritter, der ebenfalls eine Anstel­lung bekommen hätte, musste aus familiären Grün­den absagen und zwei gingen leer aus.


Ernst Wyrsch wertet das Experiment als durchaus gelungen. Man habe den Arbeitslosen Sinn und Nutzen der Arbeit vermitteln können. Im Gespräch räumt er allerdings ein, dass die Hotelbranche für den Einstieg nach langer Arbeitslosigkeit eine sehr grosse Heraus­forderung ist. «Die Belastung in der Hotellerie ist für den Wiedereinstieg zu stark. Es ist quasi die Cham­pions League der Belastung.» Dass das Experiment wiederholt wird, ist nicht ausgeschlossen. «Es ist jedoch schwierig, einen Betrieb zu finden, der sich auf das TV­Serien­Setting einlässt oder einlassen kann», sagt Ernst Wyrsch, der auch Präsident der Bündner Sektion von HotellerieSuisse ist.

«Die Direktorin»

Indirekt verlinkt mit der Hotellerie war auch die TV­Serie «Die Direktorin», eine Koproduktion des Schweizer Fernsehens mit dem ZDF. In den Jahren 1994/95 wurden 26 Folgen ausgestrahlt. Im ZDF lief die Serie 1998 – hochdeutsch synchronisiert – unter dem Titel «Im Schatten der Berge». Die Hauptdar­stellerin Alice Winter arbeitet als Verkehrsdirektorin in Montreux, verlässt aber ihre Stelle, weil ihr Mann sie mehrfach betrogen hat, und flüchtet nach Madruns (ein fiktiver Ort im Bündnerland). Dank ihren Refe­renzen wird sie dort zur Verkehrsdirektorin gewählt. Im neuen Job hat sie sich gegen einen skrupellosen Bauunternehmer und Gemeindepräsidenten durch­zusetzen, Familien­Clans zu beschwichtigen oder sehr eigensinnige Hoteliers für die Idee einer gemeinsamen Tourismuswerbung zu gewinnen. Alice Winter nimmt all diese Kämpfe auf – in jeder Jahreszeit.


Das fiktive Bergdorf – und Hauptdrehort – Madruns war in Wirklichkeit Bergün. Die Szenen am Bahnhof von Madruns wurden am Bahnhof von Filisur gedreht. Verschiedene bekannte Schauspieler und weitere Persönlichkeiten hatten Gastauftritte in einzelnen Folgen, unter anderen Kurt Felix, Wolfram Berger, Hanspeter Müller­Drossaart, Ueli Beck, Walter Andreas Müller, Elisabeth Schnell, Birgit Steinegger oder Max Rüdlinger. Im Sommer 2008 wurde die Serie an Sonn­tagabenden auf SRF 1 wiederholt.


Schweizer Hotelgeschichte

Eine grosse TV­Kiste für Schweizer Hotels war die Dokumentarfilm­Serie von 3Sat, die im Jahr 2017 aus­gestrahlt wurde. In vier Folgen – «Nobelherbergen», «Schlösser der Belle Epoque», «Legenden am Berg» und «Stadtpalais» – wurden Geschichte und Geschich­ten der hiesigen Hotellerie gezeigt. Seither werden die aufwändigen Dok­Filme auf verschiedenen Sendern immer wieder gezeigt.


Früher Influencer

Die erste Folge stellt die Grandhotels «Montreux Palace» und das «Monte Rosa» in Zermatt vor, als Re ­präsentanten für die Anfänge des Schweizer Touris­mus. Es sind bis heute zwei «touristische Sehnsuchts­orte», wie es im Begleittext zum Dok­Film heisst. Das «Monte Rosa» war das «Basislager für die Eroberung des damals noch als unbezwingbar geltenden Matter­horns». Dem Schloss Chillon in der Nähe des «Mont­reux Palace» widmete der britische Dichter Lord Byron das Gedicht «Der Gefangene von Chillon». Das Gedicht wurde zum internationalen Kassenerfolg und machte das Schloss Chillon samt Montreux weltberühmt. Lord Byron – ein früher Vorläufer der Influencer.


Zeit mit eigenem Tempo

Die zweite Folge erzählt von der «Sehnsucht des Gross­bürgertums nach Erholung und Freizeit in vornehmen Hotelpalästen um 1900». Im Fokus stehen das Grand­hotel Giessbach über dem Brienzersee und das «Wald­haus Sils» im Engadin. Das «Waldhaus» wird gezeigt als Ort, «an dem die Zeit ihr ganz eigenes Tempo hat», und als «kleines Europa», wo man grossen Dichter und Denker (Albert Einstein, Hermann Hesse, Thomas Mann) begegnen konnte. Die älteste, seit 1879 touris­tisch betriebene Standseilbahn Europas ist der Auf­hänger für das Grandhotel Giessbach. Dazu (selbst­verständlich) die vom streitbaren Umweltschützer Franz Weber gegründete Stiftung «Giessbach dem Schweizervolk», die, heute von seiner Tochter Vera Weber geleitet, das Haus erfolgreich führt.


Hoteldirektor als «Denkmalpfleger»

Dem «Bellevue des Alpes» auf der Kleinen Scheidegg und der Davoser «Schatzalp», diesen beiden legen­dären Berghotels, widmet sich die dritte Folge. War das «Bellevue» für Abenteuerlustige und Alpinisten Ausgangspunkt, um die berüchtigte Eiger­Nordwand zu bezwingen, so fuhr «das feine Bürgertum nach Davos, um im Luxussanatorium Heilung an Körper und Seele zu finden». Von der Terrasse des «Bellevue» beobachteten «Gäste und Weltpresse das Kräftemes­sen der Seilschaften in der Wand». Das Sanatorium «Schatzalp» war seit der Eröffnung 1900 «mehr Hotel als Klinik für seine reichen und oft prominenten Gäste». Auch Katia Mann, die Frau von Thomas, war dort 1912 Patientin. Ihre Beobachtungen zu «illustren und oft skurrilen Mitpatienten» nahm ihr Mann in seinen weltberühmten Roman «Zauberberg» auf. Dass Thomas Mann darin die «Schatzalp» namentlich erwähnt, machte das Haus literarisch unsterblich. Der Direktor sagt im Film denn auch, dass, wer die «Schatzalp» manage, «unweigerlich zu ihrem Denk­malpfleger» werde.


Rolling Stones und Phänomen

Die vierte 3Sat­Folge zeigt zwei «Stadtpalais mit Tradition», das «The Dolder Grand» in Zürich und das Basler «Les Trois Rois». Der Begleittext spricht von «Treffpunkten der High Society – damals wie heute». Bevor die Rolling Stones in Basel «nach durchzechter Nacht» von der Hotelterrasse in den Rhein sprangen, ass Napoleon dort schon zu Mittag, Theodor Herzl, «der geistige Vater Israels», schlief da, und ebenfalls zu den Gästen zählte die jüngst verstorbene Queen Elisabeth. Zudem wird der «letzte Liftboy Europas» filmisch dokumentiert. Mit dem «The Dolder Grand» wird ein Phänomen porträtiert. Dort werden Wünsche wahr, «noch bevor sie der Gast ausspricht». Zudem wird der «Innovationsgeist» des Hauses seit seiner Eröffnung 1899 dokumentiert: Seilbahn, Golfplatz, Wellenbad oder Kunsteisbahn.

Ärzteschaft noch beliebter als Hotelgeschichten

Hotelserien erfreuen sich einer beachtlichen Beliebtheit, auch wenn nicht absolute Spitzen-einschaltquoten erzielt werden. Viele Serien halten sich über Jahre. So beispielsweise die US-amerikanische Serie «Hotel» im ZDF und später SAT. 1 mit 105 Folgen von 1983 bis 1988, gedreht im St. Gregory Hotel, San Francisco. Oder die VOX-Doku-Serie «Mein himmlisches Hotel». In 439 Folgen von 2013 bis 2016 traten jeweils vier Hoteliers gegeneinander an, um die Leistungen der drei anderen Kollegen zu bewerten (Haus, Zimmer, Frühstück, Service, Freundlichkeit etc.). Das Format erzielte im Durchschnitt rund 630 000 Zuschauer, was um 17 Uhr einem Marktanteil von 4,7 Prozent entsprach. «Mehr konnten die Hoteliers einfach nicht liefern», schreibt VOX dazu. Wegen dieser nicht so prickelnden Prozentzahlen wurde die Serie 2016 kurzfristig aus dem VOX-Programm genommen.


TV-Präsenzsorgen scheinen TV-Ärzten fremd zu sein – aktuell «Der Bergdoktor» oder in TV- Ur zeiten «Die Schwarzwaldklinik» (eigentlich eine verkappte Hotelserie) lassen grüssen. Den unangefochtenen Rekord aber halten die Ärzte aus der «Sachsenklinik». In der Serie «In aller Freundschaft» operieren, intrigieren und lieben sie seit 1998 im ARD-Hauptprogramm ab 20.15 Uhr. Im Januar liefen die Folgen 999 und 1000. Fortsetzung folgt.


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