Chance des Lebens gepackt: Punkte und Stern geliefert

Chance des Lebens gepackt: Punkte und Stern geliefert

Seit 20 Jahren betreibt das Grand Hotel Villa Castagnola in Lugano die Galerie Arté al Lago direkt am See. Genauso lang wirkt der Schwabe Frank Oerthle dort mit grossem Erfolg als Küchenchef: Sein Restaurant ist mit einem Michelin-Stern und 16 Punkten GaultMillau bewertet.

Die Galerie Arté al Lago ist ein überaus elegantes Restaurant direkt am Lago di Lugano, im vorderen Bereich in hellen Tönen gehalten, im hinteren mit tiefgründig wirkenden Wänden in Aubergine, alle Plätze mit unverstellter Sicht auf See und Berge. Gleichzeitig dient das Lokal als Galerie, die wechselnde Ausstellungen moderner Kunst zeigt – im Moment gerade eine Retrospektive auf die bisherigen Ausstellungen aus 20 Jahren mit Werken von zehn Künstlerinnen und Künstlern.


Ausgesprochen künstlerisch wirken auch die Teller, die aus Frank Oerthles Küche auf die Tische kommen. Ein kleines Türmchen mit Foie gras, Langustinen in zwei verschiedenen Zubereitungsarten, Lammfilet oder Hummerschwanz: Alles ist ebenso verspielt wie präzise angerichtet, sodass man es schade findet, zu Gabel und Messer zu greifen und die Werke zu zer­stören. Und erst die Desserts: durchgestylte Köstlichkeiten, die im Mund zergehen.

«Die Optik ist sehr wichtig», hat Oerthle vor dem Essen bei einem Gespräch betont: «Die Leute kommen zu uns, weil sie etwas Gutes und Schönes essen wollen.» Aber überkandidelt oder abgehoben soll es nicht sein. Oerthles Küche ist selbstverständlich saisonal und arbeitet wo möglich mit lokalen Produkten. Als «avanciert mediterrane Küche mit optischen Akzenten» hat GaultMillau diese bezeichnet.

Südliche Küche

Der 54-jährige Chef schmunzelt: Natürlich ist Lugano eine südliche Stadt. Aber die Tessiner Küche wäre für die Galerie Arté al Lago dann doch etwas zu simpel und rustikal gewesen. Also orientieren sich die Menüs – das Degustationsmenü, das alle 14 Tage wechselt, und die Speisekarte, die viermal im Jahr umgebaut wird – an Italien und dem Mittelmeerraum.


Sein Handwerk gelernt hat Oerthle, der aus Stuttgart stammt und in München aufwuchs, in einem Sporthotel in Oberstorf im Allgäu. Seinem damaligen, «extrem engagierten» Chef ist er noch heute dankbar: «Er hat mich in alle Facetten der Kochkunst eingeführt.» Das Hilton und das Sheraton in München sowie mehrere Sterneküchen waren Oerthles nächste Stationen. Doch nun feiert er ein persönliches Jubiläum: Er kam vor 30 Jahren ins Tessin, um seine damalige bayerische Freundin zu besuchen, die in Ascona arbeitete. Und er blieb: sowohl im Tessin als auch bei der Lebenspartnerin, die inzwischen in einem 4-Sterne-Hotel oberhalb von Ascona die Restauration leitet. Vorerst war er sechs Jahre lang Souschef im 5-Sterne-Haus Giardino in Ascona. Danach begann er in der gleichen Position in der Villa Castagnola.


Die Villa Castagnola zählt schon seit dem späten 19. Jahrhundert zu den führenden Hotels der Schweiz und ist seit 40 Jahren im Besitz der Familie Garzoni. Diese übernahm 2002 das ehemalige Hotel Du Midi direkt am See, baute es zu Residenzen um und eröffnete im Erdgeschoss gleichzeitig das Restaurant mit Kunstgalerie.

Wie eine private Villa

Die Villa Castagnola will genau dies sein: eine Villa, in der die Gäste betreut und umsorgt werden. Als Gast spürt man diese persönliche Atmosphäre sofort, was auch mit dem überaus freundlichen, zuvorkommenden und gut geschulten Personal zu tun hat. Einige Angestellte arbeiten seit Jahrzehnten hier. Auffällig sind zudem die Kunstwerke, die wertvollen Wandteppiche und Sammelstücke aus aller Welt, die man sowohl in der Lobby, den Salons und Restaurants bestaunen kann als auch in den Gängen, den Zimmern und im weitläufigen, gegen den See hinunter sanft abfallenden Park.


Zurück zu Frank Oerthle. Er bekam seine Chance 2002: Während das Restaurant mit Kunstgalerie umgebaut wurde, «kam Frau Garzoni, die Chefin, auf mich zu. Sie machte mir ein Angebot, das allen meinen Träumen entsprach: ‹Das da unten, Bursche, das kannst du machen. Aber ich möchte Sterne und Punkte sehen›. Die Chance meines Lebens!» Frank Oerthle strahlt noch heute, wenn er diese Geschichte erzählt, und fügt hinzu, dass die Chefin, inzwischen 85 Jahre alt und aktiv wie eh und je ist, «für mich wie eine strenge, aber freundliche Grossmutter».


Der Küchenchef lieferte, was man von ihm erwartete: 2008 erhielt er die GaultMillau-Punkte, 2010 kam der Michelin-Stern hinzu. Heute ist die Galerie Arté al Lago unbestritten eines der besten Gourmetlokale in Lugano. «Ich habe mich für die Chance, die man mir gegeben hatte, revanchiert», sagt Oerthle.

Sein Küchenteam ist klein, fünf Personen und gelegentlich eine Aushilfe. «Wir ergänzen uns prima, das geht Hand in Hand bei uns», sagt er. Der Vorteil einer kleinen Equipe sei, «dass ich als Chef Hand anlegen kann und nicht nur dirigiere wie in grossen Küchen». Oerthle erzählt weiter, «die Passion fürs Kochen, die liegt mir im Blut, ebenso die Kreativität». Eine weitere Passion sind seine sportlichen Aktivitäten. Beides nimmt man ihm als Gast ohne weiteres ab, spätestens wenn das erste kulinarische Kunstwerk auf den Tisch kommt.

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