Marc Almert
Im Frühjahr erscheinen diverse Rankings, Guides und Ehrungen, die jeweils für viel Diskussionsstoff und auf der einen Seite für Freude, auf der anderen für Tränen sorgen. Auch wenn es zu den aktuellen Hotel-Rankings sicherlich einiges zu evaluieren gäbe, widmet sich der Schreibende bewusst dem eigenen Metier, der Sommellerie. Diese erlebte Anfang April in Changins eine Zelebration ihrer Zunft, den Wettbewerb zum besten Sommelier (bzw. Sommelière) der Schweiz. Vor grossem Publikum bekommen und verdient hat den Titel Mikaël Grou vom Hôtel Beau-Rivage Genève.
Heikle Fragen
Am Jurytisch angekommen, stellte mir eine Sponsorin des Wettbewerbs die Frage: «Wozu gibt es überhaupt diese Wettbewerbe?» Und seitdem beschäftigt mich diese Frage beziehungsweise die Suche nach einer Antwort. Aber noch mehr die Frage eines Gastes, wenige Tage später im «Baur au Lac»: «Wie kann man das Können eines Sommeliers überhaupt messen?»
Die erste lässt sich leichter beantworten. Wettbewerbe, Rankings und Ehrungen helfen in jeder Branche und jedem Berufszweig, das Metier einem breiten Publikum bekannt zu machen, Nachwuchs für den Job zu begeistern und aufzuzeigen, welche Stärken ein Beruf hat. Für die Teilnehmenden ist es eine grandiose Möglichkeit zu netzwerken, die eigene Leistung mit anderen zu vergleichen, um eigene Schwächen aufzudecken, um sich gezielt weiterentwickeln zu können sowie sich selbst bekannter zu machen. Parallel dazu erhalten viele Zulieferer und die verwendeten Produkte im wahrsten Sinne des Wortes eine grosse Bühne.
Jury und Journalisten
Kniffliger ist die Messbarkeit eines Berufs, der auf Dienstleistung sowie zumindest teilweise subjektivem Geschmack beruht. Bei redaktionellen Auszeichnungen bedarf dies sorgfältiger Recherche, Neutralität sowie einer fundierten Auseinandersetzung sowohl mit dem Beruf (inklusive Sensorik) als auch der bewerteten Person. Zumindest in einer Prüfungssituation mit einer mehrköpfigen Jury gibt es da klare Kriterien. Wird ein Wein erkannt, eine Theorie-Frage korrekt beantwortet? Werden gewisse technische Schritte beim Dekantieren, beim Öffnen von Champagner oder Ähnlichem befolgt? Das alles lässt sich nach ja/nein-Kriterien bepunkten.
Doch das, was herausragende Sommelièren und Sommeliers auszeichnet, ist ihr Gespür für Menschen, ihre Empathie sowie die Fähigkeit auf Unvorhergesehenes einzugehen und aus wenigen Worten des Gastes den perfekten Wein für das jeweilige Bedürfnis und Budget herauszulesen. Auch ein einmaliger Besuch eines Journalisten ist eine Art Prüfungssituation für den Sommelier. Der Journalist nimmt kurz Einblick in das Schaffen des Bewerteten, in gewissem Sinne vergleichbar mit dem Lösen einer einzelnen Aufgabe auf einer Wettbewerbs-Bühne.
Ein Finale besuchen
Daher empfehle ich Ihnen wärmstens, einem gesamten Finale eines Sommelier-Wettbewerbs beizuwohnen. Oder bei ihrem nächsten Restaurantbesuch aufmerksam die Kolleginnen und Kollegen zu beobachten. Wie reagieren sie auf fordernde Gäste, ungewöhnliche Wünsche oder gezielte Fragen? Verstehen sie subtil geäusserte Wünsche und interpretieren diese galant? Wie souverän reagieren sie auf Beschwerden? Sind sie Team-Player? Werden beim Pairing nur die eigenen Vorlieben berücksichtigt oder individuell auf den Gast eingegangen – nicht nur beim Wein? Konnten Gäste und Kollegen die flammende Leidenschaft für den Beruf spüren? Ich bin mir sicher: Schon bald werden Sie das Urteil so mancher Jury und Redaktion besser nachvollziehen können.
Marc Almert
ASI Best Sommelier of the World 2019, Geschäftsführer Baur au Lac Vins &
Chef Sommelier Baur au Lac
