Spitzen­gastronomie kann einen Beitrag gegen Klimawandel und für Biodiversität leisten

Kochkunst auf höchstem Niveau reicht in der Spitzengastronomie heute nicht mehr aus. Es gilt, dem Gast relevante Aspekte zu Nachhaltigkeit und ­Biodiversität transparent zu machen. Warum Relais & Châteaux hier ein ­Vorreiter ist und welche Kraft von 350 Michelin-Sternen ausgeht, erklärt Jan Stiller, Delegierter von Relais & Châteaux Schweiz und Liechtenstein.

Nachhaltigkeit und Klimaerwärmung sind die globalen Megatrends. Welche Nachhaltigkeitsmassnahmen gibt es bei Relais & Châteaux?

Jan Stiller: Die erste Aktion gab es bei uns schon 2009 mit der Unterzeichnung der Ethic Ocean Charta. 2014 haben wir dann unsere «Vision für eine bessere Welt durch Kochkunst und Gastfreundschaft» der UNESCO vorgelegt. Seitdem hat sich unser Engagement stetig weiterentwickelt und deckt heute vier Kernthemen ab:

Saving the Oceans. Dahinter steht die Zusammen­arbeit mit der Umweltorganisation Ethic Ocean. Die Leitidee, nachhaltige Fischereipraktiken zu ent­wickeln, die Verschmutzung und Überfischung der Ozeane zu reduzieren und die Zusammenarbeit zwischen Fischern, Gastronomen, Wissenschaft und ­Politik zu fördern. Viele unserer Häuser sind in Küstenregionen. Deren Chefs verstehen sich als Teil des maritimen Naturraumes.

Hinter Food for Change steht die Zusammenarbeit mit Slow Food. Wir haben die gleiche Wertehaltung und viele Teilnehmer sind unsere Lieferanten. Dank des Engagements unserer Chefs wurden 85 Lebensmittel neu in die Arche des guten Geschmacks aufgenommen. Letztes Jahr zum Beispiel die Schwarzkirsche und das Bündnerfleisch aus der Schweiz.

Sustainable Infrastructure beinhaltet unter anderem Abfallvermeidung und Clean Mobility. Das Relais & Châteaux Union Øye in Norangsfjorden in Norwegen zum Beispiel hat eine Null-Abfall und Null-Plastik Strategie. In der Schweiz sind es die Relais & Châteaux Castello del Sole und Alex Lake Zurich, die sich bis 2023 komplett plastikfrei präsentieren möchten und auf E-Mobility und ÖV setzen.

Bei Acknowleding People geht es um das Wohlergehen und die Wertschätzung unserer Mitarbeitenden.

Interessiert Nachhaltigkeit den Gast in einem Luxushaus überhaupt? Will man da nicht einfach mal auf hohem Niveau geniessen?

Nachhaltigkeit ist überall ein Thema, und ein Gast lässt seine Wertvorstellungen ja nicht zu Hause, wenn er zu uns kommt. Im Gegenteil, das wird gerade bei uns und zuallererst in der Kulinarik erwartet. In den anderen Bereichen ist es die Art, wie man mit dem Gast darüber spricht. Bei uns im Lenkerhof erklären wir in einem Booklet, dass wir Kosmetik- und Vanity-Sets nur auf Wunsch abgeben. Oder die Green Feet Aktion, wo der Gast seine eigenen Slipper mitbringt. Dafür geht ein kleiner Betrag in ein Nachhaltigkeitsprojekt in unserem Haus, zum Beispiel in Bienen­stöcke. Die Gäste verstehen das. Unser Verständnis von Luxus ist, dass alles vorhanden ist, was man in einem 4- und 5-Sterne-Haus erwarten kann. Aber der Gast entscheidet selbst, was und wie viel.


Und die Zukunft der Kernthemen?

Wichtig ist, es ist kein starres System, sondern ein Werterahmen, in dem es Platz für eigene Ideen gibt. Zudem sehen wir, dass das, worin wir früher Vorreiter waren, heute an vielen Orten noch immer gut, aber Standard ist. Derzeit machen wir eine Erhebung in allen Häusern zum Status Quo der Nachhaltig­keitsaktivitäten in allen Geschäftsbereichen. Diese Bestandsaufnahme wird die Ausgangsbasis für künftige Schritte.


Die Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler sieht die Spitzengastronomie als Vorreiter und ­wichtige Botschafterin, wenn es um Nachhaltigkeit in der Lebensmittelbranche geht. Können Sie das unterschreiben?

Definitiv. Die Spitzengastronomie ist dem, was morgen Standard ist, ca. 5–10 Jahre voraus. Daniel Humm, der in New York rein vegan kocht, sagt: «Wenn die Spitzengastronomie nicht vorlebt, was ethisch wichtig ist, wie kann man erwarten, dass es an der Basis an­­kommt?»

Stéphane Décotterd im Relais & Châteaux Maison Décotterd in Glion arbeitet heute zu 100 Prozent mit lokalen Produkten. Man hatte ihm prophezeit, er würde seine Sterne bei der Umstellung verlieren. Zwei Jahre hat er getüftelt. Seine Beharrlichkeit hat sich gelohnt. Er hat nicht nur die Sterne behalten, sondern servierte das erste 0-Kilometer-Menü.

Einige unserer Chefs arbeiten intensiv mit Algen. Hugo Roellinger im Relais & Châteaux Le Coquillage in der Bretagne geht es nicht darum, Algen als Superfood zu promoten. Er zeigt, dass man ethisch und nachhaltig kochen kann, weil Algen von Natur aus schon immer im marinen Lebensraum vorhanden sind.

Man muss sich klar machen, dass Relais & Châteaux mit seinen über 580 Mitgliedern über das grösste Netzwerk von Chefköchen verfügt. Sie haben nicht nur 350 Michelin-Sterne erkocht, sondern verfügen auch über ein immenses Wissen über Lebensmittelkreisläufe und Landwirtschaft. Wir nutzen diese Power, um zum Erhalt der Biodiversität und gegen die Klimaerwärmung beizutragen.


relaischateaux.com

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