Die Rückkehr des Regionalen

Über die Entstehung eines Modebegriffs im Kontext einer internationalen Branche

In den letzten Jahren hat sich der Trend zu regional produzierten Lebensmitteln etabliert. Regionalität und regionale Identität sind zu politischen und ökonomischen Schlüsselbegriffen geworden. Der Begriff «regional» entstammt ursprünglich dem Vokabular der Raumplaner und Geo­grafen und fand seit den 1980er-Jahren Eingang in den politischen, kulturellen und sozioökonomischen Diskurs. Parallel zu dieser Entwicklung vollzog sich in den ­Kultur- und Sozialwissenschaften der sogenannte «spatial turn», die Hinwendung zum Raum. Der Raum und nicht mehr die Zeit steht im Zentrum kulturwissenschaftlicher Untersuchungen.

Diese Entwicklung ist auch an der Lebensmittel- und Getränkebranche nicht spurlos vorübergegangen. Gründeten die Anfänge dieser Bewegung noch in einer ökologisch glaubhaft motivierten Überzeugung, so stehen mittlerweile zu einem grossen Teil ökonomische Überlegungen im Vordergrund. «Think globally, act locally»1 ist zur Parole derjenigen Protagonisten ge­­worden, die noch vor wenigen Jahren die Globalisierung und Internationalisierung hiesiger Esskulturen als moderne Errungenschaft feierten.

Die grossen, auf überregionales Wachstum ausgerichteten Detailhändler haben derweil mit grossem Marketing-Aufwand Konzepte und PR-Strategien für die Vermarktung lokal produzierter Lebensmit-tel entworfen. Der Begriff des Regionalen ist zu einem inflationär verwendeten Marketing- und Modebegriff geworden.


Werfen wir einen Blick auf die Geträn­­ke- und insbesondere die Spirituosenindustrie, so tritt Erstaunliches zutage: Die ge­­samte inländische Alkoholproduktion im Brennjahr 2020/21 betrug 30 959 Hekto­liter reinen Alkohols2. Demgegenüber wurden allein in den ersten beiden Quartalen des aktuellen Jahres 2022 bereits 276 266 Hektoliter reinen Alkohols in die Schweiz importiert3. Das ergibt rund das neunfache Volumen in der Hälfte der Zeit. Den aufwändig kuratierten Worten der Verkaufsabteilungen folgen allzu oft also keine Taten.


Die Gründe dafür sind schnell gefunden. Insbesondere die Spirituosenindustrie wird dominiert von wenigen, global agierenden Milliardenkonzernen, deren Portfolio das Erscheinungsbild des Grossteils der Schweizer Back Bars und Speed Racks prägt. Mit lukrativen Pouring-Verträgen und grosszügigen Marketing-Beiträgen ge­­lingt es den internationalen Giganten, gastronomische Unternehmer zu binden und für ihre Zwecke einzusetzen. Deren Bereitschaft zur Kooperation ist verständlich, denn die Schweizer Barszene ist mit zahlreichen Einzelunternehmen sehr klein­teilig und die Inhaber gehen bei der Gründung zum Teil beträchtliche finanzielle Risiken ein.

Allerdings werden durch diese Alimentierung auch unwirtschaftlich arbeitende Betriebe künstlich am Leben gehalten und allzu viele Zauderer zum Schritt in die vermeintliche Selbstständigkeit verführt. Eine Korrektur täte der Branche gut und würde insbesondere denjenigen Gastro­nomen helfen, die tatsächliche Gastlichkeit mit klarem Konzept in den Vordergrund ihrer Tätigkeit stellen.


Der vorschnelle Ruf nach bedingungsloser Regionalität entpuppt sich hierbei allzu oft als modische Worthülse. Die entscheidende Frage sollte sein, wie ein Produkt hergestellt wurde, und nicht, wo dies ge­­schah. Es lässt sich beobachten, dass das Label «Swiss Made» immer öfter als rein kosmetische Aufwertung für inhaltsleere Produkte missbraucht wird.

Die letzten Jahrzehnte waren von einem beständigen Ideen- und Gedankentransfer zwischen den unterschiedlichen Regionen dieser Welt geprägt und haben eine un­­glaubliche Vielfalt an Nahrungsmitteln und sensorischen Errungenschaften er­­geben, die heute niemand mehr missen möchte.

Ich plädiere für einen konservativen Regionalismus, der lokal produzierte Produkte sowie die dahinterstehende Expertise wertschätzt und fördert. Hierbei gilt es nicht, internationale gegen regionale Produkte auszuspielen, sondern diese nebeneinander zu präsentieren und ge­­konnt zu kombinieren. Neben einigen anderen möchte ich hierbei explizit die Karel Korner Bar in Luzern oder das Herz in Basel sowie das la belle vue Boutique Hotel in Spiez hervorheben. Deren kom­binierter Ansatz, lokale Traditionsprodukte wie den Schweizer Obstbrand auf­zugreifen und neu zu interpretieren, ist innovativ und zukunftsgerichtet. Den ­Gastronomen und Hoteliers obliegt in ­dieser Fragestellung eine besondere Verantwortung. Denn die Entscheidung liegt nicht beim Gast, sondern beim Gastgeber. Der Gast kann nur bestellen, was auf der Karte steht.


  1. Die Aussage wird in ihrer ­originalen Form «Think global, act local» dem schottischen Stadt- und Raumplaner Patrick Geddes zugeschrieben, der diese sinngemäss in seiner ­Publikation «Cities in Evolution» wiedergibt.
  2. Quelle: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, Statistik: «Gesamte inländische ­Erzeugung aus Destillation und Fabrikation in Hektoliter ­reinen Alkohols», Stand am 17.1.2022.
  3. Quelle: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, Statistik: «Einfuhr von Spirituosen, ­alkoholischen Erzeugnissen und nicht denaturiertem Ethanol in Hektoliter reinen Alkohols», Stand am 25.7.2022.


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