Aschi Wyrsch:Wir brauchen eine neue Führungskultur!

In der Sendung Eco Talk von SRF1 sagte Ernst Aschi Wyrsch, Präsident Hotelleriesuisse Graubünden, dass in der Gastronomie und Hotellerie flexible Arbeitszeiten angeboten und an der Führungskultur gearbeitet werden müssen. Im Gespräch mit Barbara Gassler von der Davoser Zeitung (DZ) zeigt sich, dass hinter dieser Aussage viele tief greifendere Forderungen stecken.

Interview: Barbara Gassler (Davoser Zeitung)



Aschi Wyrsch, was sagen Sie zum Thema Fachkräftemangel?

Ernst Aschi Wyrsch: Wir befinden uns in der Arbeitswelt in einer Zeitenwende. Das ist eine Erkenntnis aus Corona. Bis dahin war unsere Sorge immer: Haben wir genügend Gäste? Den Gast glücklich zu machen, war die Kernaufgabe der Hotellerie. Doch Corona zeigte, dass wir den gleichen Aufwand auch für die Mitarbeitenden leisten müssen. Denn es wurden extrem viele Fachleute und Hilfskräfte aus der Hotellerie abgezogen. Das sind belastbare, flexible und hart arbeitende Kräfte – eine begehrte Klientel. So gingen wir zu etwa sieben bis acht Prozent understaffed in die Wintersaison. Eine solche Unterdotierung an Mitarbeitenden hatten wir noch nie.


Was kann dagegen getan werden?

Wir müssen uns neu aufstellen. Das heisst, die Mitarbeitenden müssen mit der gleichen Aufmerksamkeit betreut werden wie die Gäste. Früher wurde über Arbeitsanweisungen geführt. Heute muss man die Mitarbeitenden miteinbeziehen. Das hat sehr stark mit dem Generationenwechsel zu tun. Die Y- und Z-Generation (Y 1980 bis 1995, Z = ab 1996 geboren,

Anm. d. Red.) wollen eine Beteiligung haben, sie wollen informiert werden, man muss ihnen den Sinn und Nutzen einer Anweisung erklären. Das ist neu in der Führung. Es braucht viel mehr Informationen.

Eigentlich müsste jedes Verwaltungsratsprotokoll den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt werden, denn die guten digitalen Ideen kommen heute aus der Y- und Z-Generation.  

Leadership muss neu gedacht werden. Das Modell heisst: Weg vom Vorgesetzten, wo es heisst „Ich bestimme die Regeln“, hin zum Gastgeber. Das bedeutet, auch Gastgeber für die Mitarbeitenden zu sein. Es bedeutet, sie und ihre Bedürfnisse in die Überlegungen miteinzubeziehen. Das ist ein Paradigmenwechsel: Wir können nicht mehr befehlen, sondern müssen überzeugen. Darum der Begriff vom Gastgeber. Denn das ist ein Mensch, der schaut, dass es den Leuten gut geht, den Gästen genauso wie den Mitarbeitenden.

Wenn das erfüllt wird, kann die Hotellerie und Gastronomie durchaus neue Leute in die Branche ziehen. Denn deren Auftrag lautet, Menschen glücklich zu machen.


Das ist der eine Aspekt, der andere ist, dass jahrzehntealte Arbeitsstrukturen überdacht werden müssen. Leute, die zum Arbeiten in die Berge kommen, haben ein überproportionales Bedürfnis nach Aktivität. Unter Umständen kommt jemand wegen des Skifahrens und nicht wegen des Jobs. Warum wird solchen Leuten nicht ermöglicht, ihre Wochenarbeitszeit in drei oder vier Tagen abzuleisten und die restliche Zeit frei zu haben? Denn, wenn jemand so motiviert ist, kann er oder sie durchaus 10 oder 11 Stunden pro Tag arbeiten. Das klingt sehr schön. Doch es gibt Menschen, die sich nicht für Protokolle interessieren. Das ist Last für sie.

Natürlich kann niemand zum unternehmerischen Handeln und Denken gezwungen werden, aber es kann angeboten werden.

Allein dadurch findet schon eine wertschätzende Führung statt. Früher befahl der Chef, und die anderen gehorchten. Dieses Modell wurde abgelöst durch einen beteiligenden Führungsstil. Soweit die Mitarbeitenden sich denn beteiligen lassen. Das ist der springende Punkt. Das wurde bisher nicht gelehrt, und da müssen wir ansetzen – in einer Branche, in der die Nachteile zu stark betont werden.


Sprechen wir von diesen Nachteilen. Die Möglichkeiten zur Digitalisierung sind eingeschränkt. Es braucht in jedem Fall Leute, die sich die Hände schmutzig machen. Wie geht man

damit um?

Indem ich den – bildlich gesprochen – Schulterklopfen-Führungsstil anwende. Indem ich routinemässige Arbeit nicht als selbstverständlich hinnehme. Eine gute Führungspersönlichkeit ist jemand, der herumgeht und schaut, wie es den Mitarbeitenden geht. Er holt sie ab, bei dem, was sie tun. Die entscheidende Frage ist immer: Ist die Person zufrieden mit dem, was sie tut? Was kann ich tun, dass sie mehr Sinn und Nutzen in ihrer Tätigkeit sieht? Und das ist auf jede Tätigkeit anwendbar und kann in einem Satz wunderschön

zusammengefasst werden: Hinhören, um zu verstehen, und nicht, um zu antworten. Wer diesen Satz begriffen hat, ist als Führungsperson für die Zukunft gewappnet.


Der Aufwand, der in der Mitarbeiterführung gemacht wird, muss massiv gesteigert werden, um die Attraktivität der Hotellerie und Gastronomie zu erhalten. Wer das nicht macht, wird immer mehr Probleme haben, Mitarbeitende anzuziehen. Es ist hochinteressant, dass wir auch jetzt im Kanton Graubünden Betriebe haben, die kein Mangel an Personal haben. Dagegen gibt es einen grossen Teil, der sagt: Wir haben ein massives Problem. Diese Unterschiede haben nichts mit Glück und Zufall zu tun, sondern damit, wie Führungskräfte ihre Rolle interpretieren.


Gut, nachdem wir das Problem der Führung gelöst haben, wenden wir uns dem Problem der Strukturen zu. Die Gäste geben den Takt vor. Das sind äussere Zwänge, die nicht einfach wegzuwischen sind. Was macht jemand, der zwar zwölf Stunden im Tag arbeiten möchte, aber nur acht gebraucht wird? Ein Mitarbeiter, ein Job, das ist ein starres System. Innerhalb eines Betriebs kann eine Person aber vielleicht zwei oder drei Aufgaben übernehmen. Wir müssen das gleiche Denken anwenden wie beim Gast und hinhören, ob das Angebotene wirklich das Gewünschte ist. Dabei können wir die Mitarbeitenden einbinden und sehen, wie die Bedürfnisse der Gäste so abgedeckt werden, dass auch die Lebensqualität der Mitarbeitenden gesichert ist.


Besonders Mitarbeitende aus der Y- und Z-Generation gewichten ihre Work-Life-Balance höher als das rein Monetäre oder die technische Abwicklung einer Arbeitsstelle. Wenn ich also das Personal nicht über Sinn und Erfüllung erreichen kann, liegt der Fehler nicht bei diesem, sondern bei der Führungskraft. Dort liegt eine grosse Hebelwirkung. Dazu muss ich die Strukturen neu denken. Zum Beispiel: Wollen meine Mitarbeitenden Zimmerstunde haben? Für einige ist das perfekt und sie gehen zwei, drei Stunden Ski fahren. Dann gibt es andere, die das völlig altbacken finden. Für diese muss ich mir überlegen: Ist es richtig, wie wir es machen? Sonst kann ich den Mitarbeitenden kein adäquates Angebot machen. Der Schlüssel für Veränderung liegt also bei den Führungspersonen, sie müssen neu denken. Sie müssen viel mehr hinhören. Was sie bisher automatisch bei den Gästen machten, müssen sie nun auch bei den Mitarbeitenden tun. Eine anspruchsvolle Aufgabe.


In der heutigen Zeit ist der Satz „Der Kunde ist König“ hochgradig gefährlich. Das impliziert, dass die Mitarbeitenden Untertanen sind. Unsere Mitarbeiten müssen noch immer dienen, das ist richtig. Doch sie müssen sich in der Wertschätzung auf Augenhöhe mit den Gästen befinden. Wenn Führungskräfte das begreifen, können sie Veränderung bewirken. Die gute Nachricht ist, dass ich das als Führungspersönlichkeit nicht alleine bewerkstelligen muss. Ich kann die Mitarbeitenden fragen: Hier ist das Bedürfnis des Gastes, wie können wir das erfüllen? Wer kann welchen Job machen? Wer welche Struktur abdecken? Dann kommen kreative Ansätze, und das ist dann die eingangs erwähnte Beteiligung. Es geht um operationelle Veränderungen, die für Gäste wie Mitarbeitende gleichermassen passen. Raus aus dem Büro, herumgehen, den Menschen in die Augen schauen und hinhören – nicht um zu antworten, sondern um zu verstehen.


Ist so etwas mit den vielen Saisonniers

überhaupt denkbar?

Das ist genau das Anspruchsvolle der Zukunft. Wir können uns nicht mehr auf „wir haben es schon immer so gemacht“ verlassen. Das ist die Erkenntnis aus Corona und der digitalisierten Welt. Die Betriebsführung der Zukunft ist eine, die sich permanent häutet. Das bedeutet, auf der Erfahrung der Vergangenheit aufzubauen, aber den Betrieb ständig an die zur Verfügung stehenden Menschen anzupassen. Daraus ergibt sich eine Attraktivität und Ausstrahlung, die die Leute da gerne arbeiten lässt. Eine Führungskraft der Zukunft hat, neben jener die Gäste glücklich zu machen, grundsätzlich zwei Aufgaben: Was kann ich tun, damit die Mitarbeitenden freiwillig mehr leisten als sie müssen? Mit der Antwort auf diese Frage ist man auf einem guten Weg. Die zweite Aufgabe einer Führungspersönlichkeit ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Mitarbeitenden für sie durchs Feuer gehen, weil sie sich wohlfühlen.

Nochmals, hohe Ansprüche!


Was ist denn die Alternative? Weitermachen wie bisher und zuschauen, wie die Leute in sogenannt attraktive Branchen abgezogen werden? Der Tourismus hat Nachteile, wie Abend- und Wochenendeinsätze, das sind Fakten. Doch man kann das umdrehen, indem flexible Arbeitsmodelle geschaffen werden. Bisher wurde viel zu stark bestimmt, was für die Mitarbeitenden gut ist. Neu muss viel mehr hingehört werden, was sie als gut empfinden. Zeitlich wie auch von der Aufgabenstellung: Wie viel Verantwortung willst du?


Quelle &Copyright: Davos Zeitung 





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