Chasa Chalavaina und UNESCO-Weltkulturerbe gehen mit historischem Proviant in die Zukunft

Um aus dem Hotelzimmer herauszukommen, dreht man den schmiedeisernen Schlüssel im Chasa Chalavaina in Müstair nicht wie gewohnt nach links, sondern andersherum. Dann kommt es gut. Anders ist nicht nur der historische ­Öffnungsmechanismus, der im Hotel Türen öffnet. An­ders, einzigartig, ist auch die Zusammenarbeit zwischen dem Hotel Chalavaina, der mutmasslich ­ältesten Beherbergungsstätte der Schweiz, und dem UNESCO-Weltkulturerbe-Kloster St. Johann in Müstair.

Zwei Stiftungen gehen Hand in Hand, aber rechtlich klar getrennt, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern. Die eine, Fundadaziun Chasa Chalavaina (2021 gegründet), und die andere, Stiftung Pro Kloster St. Johann (1969 gegründet), haben die gleichen Ziele: Die Lebendigkeit ihrer Häuser zu erhalten und weiterzuentwickeln. Oder wie es der Präsident der Chalavaina-Stiftung, Giorgio Gadola, beschreibt: «Der achtsame Umgang mit der Vergangenheit ist jener Proviant, den es braucht, um gemeinsam mit Dorf- und Talbewohnern, aber auch mit Gästen und Interessierten aus aller Welt den Weg in die Zukunft zu beschreiten.»


Unterschiedliche Sensibilitäten

Die Substanz des Klosters zu erhalten, ist die Auf­gabe der Klosterstiftung. Präsidiert wird die rechtlich vom Kloster unabhängige Organisation von Walter ­Anderau. Der Protestant, Zürcher und ehemalige Swiss-Re-Manager engagiert sich seit über 30 Jahren mit Herzblut für das katholische Frauenkloster in Müstair. Priorität haben dabei die «Wünsche und Bedürfnisse des Konvents» (altersgerechte Zimmer, Krankenzimmer). Eine Herausforderung bei einem Durchschnittsalter der neun Nonnen von 76 Jahren (von 59 bis 90), die im Kloster leben. Dabei ar­beiten Stiftungspräsident und die vom Konvent ge­­wählte Priorin, Aloisia Steiner, eng zusammen. Beim baulichen Erhalt des Kulturdenkmals von nationaler, ja Welt-Bedeutung, der anderen Priorität, kommt zuerst, «was ohne Restauration kaputt geht», sagt Anderau.

Dass es dazu Geld braucht, sei den Nonnen durchaus zu vermitteln, leben sie doch nach der Benedikt-Regel «bete und ar­bei­­te» (ora et labora). Dennoch weiss Anderau von unterschiedlichen «Sensibilitäten» zwischen den Klosterfrauen und seiner «protestantischen Ethik» zu berichten, die ihn gelegentlich «an Grenzen» bringe. Die Frauen im geschlossenen Konvent «sind sich nicht gewohnt, sich mit Management zu befassen.» Allerdings hätte sich dies in den letzten zehn Jahren verändert. Strategische Fragen würden nun interessieren. Vielleicht hänge es damit zusammen, dass man in der alternden, kleinen Kloster­gemeinschaft erkenne, dass «wir endlich sind», mutmasst Anderau.

Kaffee im Kloster

In der Zusammenarbeit mit dem Kloster müsse alles reifen. Alles brauche Zeit. «Stich, Furz, Galopp geht nicht», sagt der quirlig-kontemplative Manager und Ma­cher. Miteinander kommunizieren und sicherstellen, dass die Herausforderungen, Aufgaben und Sensibilitäten gegenseitig verstanden werden, erachtet er heute als den Erfolgsfaktor für das Kloster. In der jahr­zehntelangen gemeinsamen Arbeit hät­­te der Konvent erkannt, dass die Stiftung keine «eigene Agenda» habe, zeigt sich Anderau sichtlich zufrieden. Ein Verdienst, das man getrost ihm zuschreiben darf.


Eine besondere Rolle, so meint er, spiele dabei der tägliche Neun-Uhr-Kaffee der Nonnen im Konvent. Da würde die Priorin ihre Mitschwestern auch über Neues aus der Stiftung oder ihrem Umfeld informieren. So könne sie direkt erfahren und spüren, wie Ideen und Projekte von draussen – auch aus dem Hotel Chalavaina – ankämen.

55 Prozent statt 22 Prozent

Die Chalavaina-Stiftung hat das Hotel vom 80-jährigen Vorbesitzer, Jon Baptista Fasser übernommen. Viele sagen, er sei ein Müstairer Original. Während über 50 Jahren hat er das Haus im Modus 24 Stunden / 365 Tage betrieben. Dabei wurde übers Jahr eine Auslastung von rund 20 Prozent erreicht. Die Ambition der neuen Stiftung und des neuen Gastgebers und Geschäftsführers, Uli Veith, ist eine ganz andere. «Wir starteten am 1. Juni 2022 bei null, ohne Gästekartei, ohne Buchungs- oder Zahlungsprogramm, ohne Werbung. Un­­ser Ziel ist es, die Auslastung deutlich zu steigern, um eine schwarze Null zu schreiben.» Der Businessplan sieht vor, dass bei 55 Prozent Auslastung (18 Zimmer) ein «schwarze Null» möglich sei.

Benedikt-Regel für Hotel-Management

Ein Müstairer-Original ist Veith noch nicht. Aber er hat den freundlichen Biss, das Haus Chalavaina zum Erfolg zu ­führen. In Innsbruck schloss er das Studium der Bank- und Finanzwirtschaft mit dem Titel eines Magisters ab, war zwölf Jahre Gemeindepräsident seiner Südtiroler Heimatgemeinde Mals (20 Autominu­ten entfernt). Seit sieben Jahren ist er Ge­­schäfts­führer der Stiftung «Pro Kloster St. ­Jo­­hann» und hat so die benediktinische Regel «ora et labora» kennengelernt. Sie ist für ihn, der im Hotelfach ein Quer­einsteiger ist, zu «einer Art Management-Maxime» geworden.


Seit der Eröffnung im Juni führt Veith als Mehrkämpfer zusätzlich das Chasa Chalavaina zusammen mit dem erfahrenen Südtiroler Vollzeit-Koch, Jäger und Metzger Oliver Thialer sowie sieben äusserst flexiblen Teilzeitkräften (Wäsche, Zimmer, Service, Rezeption). Alle Pensen zusammengerechnet ergeben 2,5 Vollzeitstellen (ohne die Arbeit von Veith). Mehr trage das Hotel im Moment nicht. «Im historischen Hotel ist alles klein und bringt grossen Aufwand», stellt er nach den ersten Betriebswochen fest. «Gerade in der Aufbauphase ist es deshalb absolut zentral, auf die Kosten zu achten», meint der Finanzfachmann.

Unterstützung bietet die Stiftung Chalavaina mit den inhaltlichen Kompetenzen der Mitglieder des Stiftungsrats wie beispielsweise Management, Recht, Finanzen, Sales & Marketing, Kommunikation oder selbst regelmässiges Rasenmähen.

Positioniert werden soll das Hotel als «Swiss Lodge» mit einem Akzent auf einer Küche, die frisch und regional ist, aber keine Sterne anpeilt. Da sieht man sich auf dem richtigen Weg, denn das gute Essen habe sich in der Region bereits herum­gesprochen und viele einheimische Gäste gebracht. Uli Veith ist ein an- und zupackender, sportlicher Hotelchef mit Ambi­tionen, aber ohne Allüren. In Richtung Sport und Kultur möchte er die künftige Entwicklung voranbringen. Die Angebote für Biker, Langläufer, Ski-Touren (100 Touren) will er grenzüberschreitend mit dem Vinschgau ausbauen. Eigentlich selbstverständlich ist in Müstair das Gäste-Angebot «Ruhe finden», liegt die Ruhe des Chasa Chalavaina um die Ecke – im Kloster.


Kloster und Hotel – zwei KMU mit Potenzial

Das grösste Potenzial für das Hotel dürfte in der Zusammenarbeit mit der Klosterstiftung liegen, deren Geschäftsführer Veith in Personalunion ist. Die Aktivitäten rund um das UNESCO-Weltkulturerbe sind im Businessplan des Hotels als «potenzielle Hotelgäste» berücksichtigt. So entsteht in Müstair ein Kompetenz­zentrum für Denkmalpflege und die damit verbundenen Handwerke. Das nötige hand- und kunsthandwerkliche Know-how für den Erhalt unserer Kulturgüter soll hier erhalten und weitergegeben ­werden. In Zusammenarbeit mit der ETH Zürich ist ein wissenschaftlicher Hotspot für Mittelalter-Archäologie und Bauforschung in Planung. Dazu braucht es auch professionelle Hotel- und Seminar-Infrastrukturen, die das Haus Chalavaina anbieten will.

In den nächsten Jahren entsteht hier ein attraktiver Verbund aus Forschung, Wissenschaft, Handwerk, Kultur, Hotellerie und Tourismus. Walter Anderau ist überzeugt, dass der Businessplan realistisch ist. Allerdings sei eine Bedingung unabdingbar: «Die verschiedenen Elemente müssen zusammenspielen. Jedes allein wird nicht erfolgreich sein können und könnte nicht die angestrebte Belebung der Region Müstair und der beiden KMU – Hotel und Kloster – bringen.»

«Nie fragen, umsetzen»

«Nie fragen, umsetzen, ist mein Führungsprinzip», sagt Anderau augenzwinkernd. Zu viele würden dreinreden. Da drückt der ehemalige Manager durch. Unabdingbar sei bei diesem Prinzip jedoch die Bereitschaft, schon bei der Entscheidungsfindung die Involvierten früh einzubeziehen. «Und wenn es nötig ist, muss man Weltmeister im Entschuldigen sein», schiebt er nach. Der studierte Historiker weiss um die Bedeutung von Worten. Er formuliert deshalb sein Anliegen zur Entwicklung der Region bewusst als Frage: «Haben die Bevölkerung und der Kanton Graubünden erkannt, dass das UNESCO-Weltkulturerbe für die Wertschöpfung im Tal eingesetzt werden kann?» Die Frage stellen heisst, sie beantworten. Etwas aufgebracht meint er, das Potenzial von Kultur und Natur (Nationalpark, Biosphäre) für einen «entschleunigten Qualitätstourismus» würde von den Touristikern noch nicht angemessen berücksichtigt.

Besucher Invasion

Die Aufnahme des Klosters Müstair in die Liste des Weltkulturerbes im Jahr 1983 brachte Tal und Müstair eine «Invasion von Besuchern», sagt Stiftungspräsident Anderau. Er weiss um die Bedeutung des «sehr wichtigen Labels», um mit Schalck beizufügen, die UNESCO habe – ausser dem Schild beim Eingang – nie einen Franken bezahlt.

Rund 70 000 Personen besuchen jährlich die Klosteranlage und etwa 20 000 das Kloster-Museum. So müssen an diesem Ort, der «religiöser Ort und Kultur-Leuchtturm» zugleich ist, vom Kloster und der unabhängigen Klosterstiftung zahlreiche Herausforderungen gemeistert werden, die laufend finanziert sein wollen.

Einen beachtlichen «labora»-Beitrag leistet das Kloster (inkl. Landwirtschaft und dem grossen Garten) mit dem messbaren Ertrag aus eigenen Produkten, die im Klosterladen verkauft werden: Kräuter-Körperpflege-Produkte, Likör, Sirup, Konfitüre etc., Stickereien (u.a. Trachten) und vieles mehr. Weitere Erträge bringen schliesslich die Verpachtung des Museums (Führungen bieten Arbeitsmöglichkeit für ein Dutzend Frauen) und des Klosterladens an die Kloster-Stiftung oder die AHV-Beiträge von Nonnen.


«Aber», so Anderau, «die Stiftung kann und will nicht alle Projekte und Probleme des Klosters lösen.» Unterstützung bietet sie mit den inhaltlichen Kompetenzen der Mitglieder des Stiftungsrats wie beispielsweise Management, Recht, Finanzen, Kommunikation oder mit regelmässigem Rasenmähen. Das Weltkulturerbe benötigt auch in Zukunft breiten Support, erläutert Anderau, denn «es ist heute kein Start-up mehr, sondern ein mittelgrosses KMU, ein Entwicklungsprojekt mit eigenem Businessplan».


Zürcher Sympathie für Graubünden

Das «Pro» im Stiftungsnamen (Pro Kloster St. Johann) bedeutet selbstredend auch Geld organisieren zu wollen. In dieser ­Disziplin ist man sehr erfolgreich. Bisher ist es geglückt, die finanziellen Mittel für die zahlreichen Restaurationsetappen dank Spenden aufzubringen. Hört man Walter Anderau aufmerksam zu, so gibt es dafür zwei vordergründige und viele un­­ergründliche Gründe. Zum einen gibt es «unheimlich viele grosszügige Leute, die spenden, ohne dass wir genau wissen, warum». Wichtig sind zum andern die ­persönlichen Netzwerke des Präsidenten, der Stiftungs- und Beiräte sowie des «Vereins Freunde des Klosters St. Johann». Dann gibt es Legate, Schenkungen. Oder am Stammtisch fragte jemand nebenbei, ‹brauchst Du Geld für Deine Klosterfrauen›. Wenige Tage später sei ein sechsstelliger Betrag auf dem Stiftungskonto eingetroffen.


Die «Grundsympathie der Zürcher für Graubünden, Kindheitserinnerungen an schöne Ferienkolonien im Val Müstair» sind für den Stiftungspräsidenten wichtige Grundlagen für die Finanzierung des Weltkulturerbes. Aber auch seine guten Kontakte zu Zürcher Zünften, zu seinen ehemaligen Offizierskollegen des Zürcher Gebirgsinfanterieregiments 37, das oft im Müstair Dienst geleistet hat, sind wichtig, wie offenbar auch nachhaltige religiöse oder kulturelle Erfahrungen, die Menschen in Müstair machten. Sie alle gehören zu den unfassbaren, den emotionalen Gründen des Spendens.


Um die Zukunft der Stiftung und des Weltkulturerbes zu sichern, beschäftigt sich der 76-jährige Präsident auch gezielt um seine Nachfolge. an. In diesem Kontext regt er ein weiteres Projekt an. So wären die Jugendherbergen in der Region «auf Vordermann» zu bringen. Sie sind für Anderau ein wichtiges «Investment für die Zu­­kunftssicherung des Tals». Diese Aufgabe würde er mit dem gleichen Modell anzupacken, wie die erfolgreichen Projekte zur Erhaltung des Kloster-Baudenkmals und den Neustart des Hotels Chasa Cha­lavaina. «Eine engagierte Privat-Public-Partnership», so Walter Anderau, «ist der beste, einvernehmliche Weg für Zukunftsprojekte.»


Zurück zu den Artikeln

Hinterlasse einen Kommentar