Ein Frage-Antwort-Pingpong von Ernst «Aschi» Wyrsch, dipl. Hotelier SHV/VDH, Dozent St. Gallen Business School für Leadership, Motivation und Glück.
Gibt es so was wie die mutigste Entscheidung, die ich je gefällt habe?
Ich habe mich vor elf Jahren ausgehend von einer sicheren Lebensstellung für die Selbstständigkeit ent-schieden. Das hat mein Umfeld als mutig betrachtet. Für mich war es jedoch einfach ein logischer Schritt. Ich habe mich mit 49 Jahren damit befasst, was ich eigentlich beruflich aus meinem Leben noch machen will. Dabei ist mir klar geworden, dass ich nicht mit 65 mit dem Arbeiten aufhören will. Als Angestellter ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man in diesem Alter keine Anstellung mehr findet. Mit 50 hatte ich das Gefühl, dass dies für mich nun wohl die letzte Gelegenheit sei, in die Selbstständigkeit zu gehen. So wollte ich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, bis 80 arbeiten zu können.
Warum ist es erstrebenswert, bis 80 zu arbeiten?
Bis 80 zu arbeiten, bedeutet für mich, einem Lustprinzip zu folgen. Folgt man dem Lustprinzip, ist man lang leistungsfähig – sofern man gesund bleibt. Ich glaube, dass in zehn Jahren die Menschen mit 65 im Schnitt noch viel fitter sein werden, als sie es bereits heute sind. Ich glaube auch, dass es künftig seitens der Senioren zu einer Welle von Unternehmensgründungen kommen wird. Wir müssen die über 65-Jährigen künftig in den Unternehmen behalten. Sonst kommt es zu einem Verlust von Wissen, Talent und Geld.
War es Zufall, dass ich mich auf Zeitmanagement und Life Balance spezialisiert habe?
Zwei meiner wichtigsten Kompetenzen sind das Zeitmanagement und, damit verbunden, die Thematik der Life Balance. Viel zu arbeiten, ist kein erstrebenswertes Ziel. Dem Lustprinzip folgend, geht es um die Frage, wie ich mit möglichst wenig Aufwand viel erreichen kann. Das ist meine Mission. Wenn man sich mit der effizienten Bewältigung seiner Aufgaben befasst, dann will man nicht möglichst viel arbeiten, sondern in kürzester Zeit möglichst viel vollendet haben. Das bedingt, loslassen und delegieren zu können. Das ist ein wichtiger Treiber meiner Trainer- und Coaching-Tätigkeit und der Kern dessen, was ich heute vermittle.
Wie den Trennungsschmerz aushalten?
Es ist in der Tat ein Sehnsuchtsthema. Die geistige Überforderung ist heute die Ursache für ein Burn-out und das Gefühl, am Anschlag zu sein. Dieses Gefühl hat sehr stark mit der Einstellung zu tun und mit den Fragen: Tue ich das Richtige? Bin ich effektiv? Man kann sehr effizient das Falsche tun. Es geht um Effek-tivität, Zieleffizienz und Wirksamkeitsorientierung, also um die Frage, wie man mit optimalem Einsatz Wirkung entfalten kann. Noch einmal: Dies hat sehr stark mit Loslassen zu tun – also den Trennungsschmerz auszuhalten –, ein Kernelement der Führung.
Wie die Folgen von Überforderung vermeiden?
Leadership funktioniert heute nicht mehr über Arbeits anweisungen, sondern über die werte- und motivorientierte Führung, bei der wir mit Stärkeprofilen arbeiten und eine Führungskultur entwickeln, die auch eine kritische Feedbackkultur aushält. Das ist gerade für meine Babyboomer-Generation sehr schwierig. Führungskräfte müssen sich heute permanent häuten, um diesen anspruchsvollen Themen ge -recht zu werden. Einerseits sind die Folgen der Digitalisierung schwer planbar, andererseits fordern die jüngeren Generationen eine völlig andere Führungskultur. Man kann nicht mehr über die institutionelle Autorität führen, die Hierarchie muss flach werden. Das bringt sehr viele Change-Themen mit sich. Wenn ich mich diesen Themen nicht stelle, lande ich dort, wo sich heute viele Führungskräfte befinden: in der Überforderung, und diese ist die Vorstufe eines Burnouts.
Was hat das Burn-out des Kollegen mit mir zu tun?
Das Burn-out ist die Krankheit der Tüchtigen. Burn-out ist ein Führungsthema. Wenn bei mir als Führungskraft einer im Team ein Burn-out hat, so hat dies auch etwas mit mir zu tun. Ich muss mir die Fragen stellen, ob ich die betreffende Person richtig geführt und Warnzeichen übersehen habe. Ich muss mir die Frage stellen, ob ich das Umfeld so gestaltet habe, dass es zur Überforderung führen musste. Ich bin radikal in meinen Führungsansätzen. Für mich ist jedes Problem ein Führungsproblem.
Wie komme ich in die Champions League der Führung?
Aus meiner Sicht sind operationell und strategisch auf folgende zwei Fragen Antworten zu finden. Erstens: Was kann ich tun, dass Mitarbeitende freiwillig mehr leisten, als sie leisten müssten? Zweitens: Was kann ich tun, dass Mitarbeitende für mich durchs Feuer gehen? Wenn ich diese zwei Antworten habe, bin ich in der Champions League der Führung angekommen.
Was brauchen Mitarbeitende, um ihre Stärken zu entfalten?
Diese Frage zu stellen, bedeutet, in einen anderen Modus zu wechseln. Ich führe nicht mehr über das Instrument der Arbeitsanweisung, sondern über das der Beobachtung. Im Idealfall hole ich so die Mitarbeitenden dort ab, wo sie stark sind – auch im Lustbereich. Erst dann schauen Mitarbeitende nicht mehr auf die Uhr, denn die Arbeit macht Spass. So funktioniert zeitgenössische Führung. Dabei ist eine wert- und motivorientierte Sprache zentral. Also eine Sprache, bei der ich mich zwinge, die Ich-Perspektive zu verlassen, und die Du-Perspektive einnehme.
Wer ist für wen da?
Der Strategieanteil in der Führung wächst zwangs-läufig, wenn wir wollen, dass Mitarbeitende mehr leisten sollen, als sie leisten müssten. Dabei geht es um eine ganz zentrale Frage: Wer ist eigentlich für wen da? Sind die Mitarbeitenden für die Führungskräfte da? Oder sind die Führungskräfte für die Mitarbeiten-den da? In der alten Denkweise war der Fall klar: Führung funktionierte über Arbeitsanweisung. Das kann in gewissen Situationen – zum Beispiel in einer Krise – durchaus erfolgreich sein. Mittel- und lang-fristig wird das aber nicht mehr funktionieren. Heute muss eine Führungskraft stärker für die Mitarbeiten-den da sein und nicht zu viel im Weg herumstehen. Die gute Nachricht: Werte- und motivorientierte Führung ist lernbar!