«Vertrauen geben, mal machen und dann weiterschauen»

Holacracy ist ein Leadership-Trend. Noch ist der umfassende, partizipative Management-Ansatz in der Hotel-Branche nur selten anzutreffen. Den Gründen dafür und den Erfahrungen mit dem neuen Modell geht Pascal Sommer, Dozent für Personalmanagement an der SHL Schweizerischen Hotelfachschule Luzern, im Gespräch mit Jonas Gass, Direktor im Hotel Nomad Basel, nach.

Starten wir mit deinem ­persönlichen Führungsstil: Kannst du deine Grundsätze in Worte fassen?

Jonas Gass: Ehrlich gesagt, habe ich keinen speziellen Führungsstil für mich definiert. Dieser hat sich in den letzten Jahren verändert – und manifestiert. So glaube ich, heute der Chef zu sein, der ich immer sein wollte, ohne mir das im Vorfeld konkret überlegt zu haben. Schon immer habe ich viel nach dem Prinzip ‹mal machen und dann weiterschauen› gehandelt. Diesen Ansatz würde ich immer noch unterschreiben. Mein wichtigster Grundsatz lautet allerdings: Vertrauen geben. Weiter will ich vermitteln, dass mit dem geschenkten Vertrauen die Übernahme von Verantwortung eng verknüpft ist. Es ist mir ein grosses Anliegen zu motivieren und zu inspirieren. Und als letzter Grundsatz ist mir wichtig: konsequent sein und damit Führungsstärke zeigen.

Aus welchen Erfahrungen und ­Gegebenheiten hat sich dieser ­Führungsstil entwickelt?

Der grösste Einfluss hatte wohl das Popup-Projekt «100 Tage Warschau», für dessen Realisierung wir uns 2018 zu viert zusammengetan haben. Wir haben bewusst ohne Konzept auf Papier losgelegt. Durch glückliche Schicksalsfügung fanden wir ein grossartiges Team, denen wir unser volles Vertrauen und die damit verbundene Verantwortung übergeben konnten. Wir spürten, dass wir nicht die Chefs vor Ort sein mussten. Nach einer Woche haben wir ihnen gesagt: Das ist euer Ding! Organisiert euch, wie ihr möchtet. So haben sie unter anderem selbständig Lieferanten ausgesucht, Dienstpläne gemacht oder Personal ausgetauscht. Sobald es konzeptionell wurde, haben sie uns – das Gründerteam – ins Boot geholt. Das Popup hat funktioniert, weil wir den Leuten vor Ort Vertrauen gegeben und sie immer wieder gestärkt und gelobt haben. Durch diese Erfahrung habe ich schliesslich auch meinen Mitarbeitenden im Nomad viel mehr Vertrauen geschenkt.

Das klingt nach viel holakratischem Ansatz in deiner Führungsphilosophie.

(Lacht). In der Tat. Als ich mich in der Vorbereitung auf dieses Interview mit dem holakratischen Führungsstil auseinandersetzte, ist mir aufgefallen, dass wir im Nomad Basel vieles, was in der Holacracy- Grundidee steckt, unbewusst umsetzen. Ich finde es essenziell, Vertrauen und optimale Austauschmöglichkeiten zu schaffen. Ein Beispiel dazu: Ich ging zu unserer ­Grafikerin und wünschte mir neue Bilder für unsere Website. Sie fragte, ob sie sich austoben darf. Meine Antwort: Stell dir dein Team zusammen und leg los. Bis zum Vortag der Live-Schaltung hatte ich nichts mehr mit dem Projekt zu tun. Mein Vetorecht bei der Ansicht der Bilder brauchte es nicht, weil ich absolut fantastisch fand, was ich zu sehen bekam.


Entlastet dich dein Führungsstil in ­deiner täglichen Arbeit?

Hundertprozentig. Auch hierzu ein Beispiel: Im Mai, einem der umsatzstärks- ten Monate in diesem Jahr, war ich während vier Wochen im Vaterschaftsurlaub. Während dieser Zeit erreichte mich kein einziges Telefon, keine Reklamation. Ich konnte mich vollkommen auf meine junge Familie konzentrieren. Das war eines der schönsten Erlebnisse, seit ich Führungsperson bin.


Wie möchtest du dich als Führungsperson weiterentwickeln?

Grundsätzlich bin ich voll im hier und jetzt. Wir möchten aber zukünftig in der ganzen Krafft Gruppe, in der ich seit 2021 Mit­eigentümer bin, noch stärker in die Mit­arbeitenden investieren. Mitarbeitenden-Führung, Mitarbeitenden-Gewinnung und generell der arbeitende Mensch stehen für uns im Fokus. Dafür haben wir Brainstormings mit Mitarbeitenden unterschiedlicher Abteilungen durchgeführt und einen nicht unerheblichen Betrag budgetiert. Daraus entstanden viele spannende – teils vielleicht auch utopische – Massnahmen, die wir aktuell konkretisieren. Unsere Theo­rie lautet: Wenn wir jetzt in unsere Mitarbeitenden investieren, werden wir in den nächsten drei bis fünf Jahren massiv Geld sparen bezüglich Fluktuation, Per­formance oder Absenzen. Der positive Mindset, der bei uns herrscht, spielt uns jetzt schon in die Karten. Im Service Team wünsche ich mir mehr Konstanz, da hat es mir noch zu viele Wechsel gegeben in der Vergangenheit. Im Leitungsteam hat je­­doch seit vier Jahren niemand mehr gekündigt. Das gibt mir eine grosse Bestätigung. Wir haben kaum krankheitsbedingte Aus­fälle und mit der Performance bin ich su­­per happy. Nebenbei bin ich überzeugt davon, dass auch unsere Gäste das optimierte Arbeitsklima spüren und sich dies umsatzseitig auszahlen wird.

Darf ich etwas provokativ sein?

(Lacht). Nur zu.


Vieles, das du ansprichst, tönt nach einer Wohlfühl-Oase für die Mitarbeitenden. Letztendlich müssen aber immer ausserordentliche Leistungen erbracht werden, damit ein Hotel- oder Gastrobetrieb überlebt. Wie passt das zusammen?

Es ist ein Spiel zwischen Geben und Nehmen. Es gibt aber einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Faktor. Wenn man mich erlebt, meint man allenfalls, dass ich nicht so streng bin. Ich habe jedoch hohe Er­­wartungen an meine Teamleiter:innen und Mitarbeitenden und zeige Konsequenz und Härte in Fällen, in denen sie sich nicht zu hundert Prozent mit dem Betrieb und dem Produkt identifizieren. Etwas vom Schlimmsten für mich ist, wenn jemand seine Verantwortung nicht wahrnimmt. Es gibt klare Regeln in der Zusammenarbeit mit mir. Wenn wir jemanden einstellen und es dadurch schwierig für das Team wird, unser familiäres Klima beschädigt wird, dann habe ich keine andere Wahl, als entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Wenn du in solchen Momenten keine Führungsstärke zeigst, leidet das ganze Team und letztendlich die Kultur. Das fällt mir übrigens gar nicht schwer, weil ich dabei das grosse Ganze sehe.

Glaubst du, dass man vertrauensvolle Führung lernen kann?

Gute Frage. Grundsätzlich glaube ich, dass alles lernbar ist. In Bezug auf vertrauensvolles Führen aber vielleicht über eine ­längere Zeitspanne, da man erst lernen muss zu vertrauen. Das beginnt in erster Linie bei sich selbst. Wer sich selbst nicht vertrauen kann, wird es niemals schaffen, seinen Mitmenschen zu vertrauen.»




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