Möbelstrasse zum Hotel – wie kommt ein Möbel ins Zimmer?


Möbelstrasse zum Hotel – wie kommt ein Möbel ins Zimmer? Gäste betreten ein Hotel und bilden sich sofort, oft unbewusst, eine Meinung über einen Raum: Ist er klassisch– modern, elegant – formlos, gepflegt – ungepflegt; und hinzukommend haben sie Erwartungen über ihren Aufenthalt. Nur einige Gäste stellen sich die Frage, aus welchen Einzelteilen das Interieur besteht, woher die Möbel kommen, die eingesetzt wurden und ob sich das Material auch betrieblich eignet. Ein Erfahrungsbericht vom Hotelbau- und Projektexperten Damien Rottet.





Konzept


Die Entwicklung eines neuen Hotelprodukts oder die Aktualisierung eines bestehenden Produkts basiert auf einer Vielzahl von Faktoren, die auf strategischen und/oder finanziellen Entscheidungen der Eigentümer/Betreiber beruhen, um mit den Mitbewerbern und den Gästebedürfnissen Schritt zu halten. Die daraus resultierende Vision und das zugehörige Stimmungsbild bilden die Grundlage für die Auswahl der geeigneten Designer. Grundsätzlich lässt sich über ein Wettbewerbsverfahren, das Netzwerk oder einen Direktauftrag ein geeigneter Partner für die Innenarchitektur definieren.


Entwicklung


Nach erfolgreicher Fertigstellung des Projektkonzepts und dessen Freigabe beginnt der beauftragte Designer mit der Entwicklung des Designs und erweckt mit der Detaillierung von Raum, Farben, Materialien, Texturen und schliesslich mit den Möbelspezifikationen das Projekt zum Leben.


Im Rahmen der Entwicklung eines Interieurs sind nebst der Gestaltung per se die Schnittstellen zum Raum (also dem eigentlichen Bau) sowie zum Kleininventar (international OS&E – Operating Supplies & Equipments) und der Informatik (international IT / ICT -Information & Communication Technologies) sauber abzugrenzen und in entsprechenden Budgets vorzusehen.


Die Möbelspezifikationen ist auf mehreren (hundert) Seiten festgehalten und umfasst jeden Aspekt der Ausstattung: Welcher Stuhl, von welchem Hersteller, mit welchem Stoff, in welcher Farbe; und auch an welchem Standort im Hotel die Platzierung erfolgen soll. In den meisten Fällen ist dies thematisch in unterschiedliche Pakete wie Möbel (Tische, Stühle, etc.), Stoffe (Vorhänge, Decken, Kissen, etc.), dekorative Leuchten (Wand- / Hänge- / Steh- / Leseleuchten, etc.), Auflageteppiche, Kunst (dekorative Spiegel, Bilder, etc.), gegliedert. Diese Möbelspezifikation bildet nach Freigabe die Grundlage für die Beschaffung der Ausstattung. Im internationalen Gebrauch wird die Ausstattung unter dem Begriff FF&E (Fixtures, Furnitures & Equipments) zusammengefasst.


Beschaffung


Grundsätzlich kann die Möbelspezifikation eines Hotelprodukts verschiedene Beschaffungswege gehen:


· Möbelhändler, die in Nähe zum Objekt und ggf. zum Kunden die gesamte Möbelspezifikation anbieten. Der Showroom ermöglicht gewisse Produkte / Marken zu zeigen und zu testen. Die Abwicklung erfolgt im üblichen Handelsmodus, d.h. der Händler verdient auf den Produkten und der Dienstleistung eine Handelsmarge.


· Beschaffungsunternehmen sind spezialisiert auf den Objekteinkauf und begleiten bis zur fertiggestellten Einrichtung vor Ort. Sie verhandeln die Preise direkt mit der jeweiligen Marke / Vertreter / Agent / Hersteller und optimieren dadurch den Netto-Einkaufspreis der Produkte für den Käufer. Die Dienstleistung wird entschädigt. Als attraktiver Knowhow-Träger, Spezialist und Treiber für Optimierungen sind Beschaffungsunternehmen attraktiver Partner für die Abwicklung.


· General-Ausstatter,kalkulieren (a) offen oder (b) verdeckt: (a) transparente Nettopreise mit Margenzuschlag für die Abwicklung über einen Vertrag ausweisen oder (b) die Produkte als Verkaufspreis inkl. Handelsmarge verdeckt anbieten. Der Käufer weiss somit bei einer verdeckten Abwicklung (b) nicht, wie viel der General-Ausstatter am Projekt verdient, im Gegenzug zu einer offenen Abwicklung (a), wo die Marge transparent ausgewiesen wird. General-Ausstatter sind vom Prinzip her Möbelhändler ohne Showroom für den Objektbereich.


· General-Unternehmen, die die Schirmherrschaft, Verantwortung und das Risiko des Gesamtgebäudes inkl. Ausstattung in Ihre Verträge übernehmen. Oft vergeben diese die Ausstattung als Paket einem Möbelhändler oder nehmen sich ein Beschaffungsunternehmen zur Seite, welches in Ihrem Interesse die Beschaffung sicherstellt.


Alle Wege führen (irgendwann) nach Rom. Für die Käufer ist letztendlich der gewünschte Transparenzgrad, die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Endpreis, sowie das Streben nach potenziellem Einsparungs- und Optimierungspotenzial für die Wahl des Beschaffungspartners entscheidend.


Möbelhändler sind meistens in den von Ihnen geführten Kollektionen unschlagbar, bei Marken / Herstellern die Ihnen gänzlich unbekannt sind jedoch bedingt erfahren. Beschaffungsunternehmen sind stets volatil und mit den unterschiedlichsten Marken / Vertretern / Agenten / Herstellern in Kontakt im Wissen um projektspezifische Abwicklungen oder Massanfertigungen nach Vorgaben der Innenarchitekten.


Interessanterweise sind Marken nicht zwingend Hersteller, und Hersteller verfügen nicht zwingend über eine Produktelinie. Der internationale Möbelmarkt ist fragmentiert und voller kleiner und grosser Spezialisten, die Teile oder ganze Linien herstellen. So zum Beispiel haben wir kürzlich herausgefunden, dass mehrere nordische Marken Ihre Produkte in einer Fabrik in Polen herstellen lassen, d.h. den Herstellungsprozess nicht selbst führen, sondern lediglich sicherstellen, dass das Produkt dem Standard der Marke entspricht. Umso spannender wird es, den Produktionswegen zu folgen und ggf. aus demselben Werk ein entsprechendes Alternativprodukt mit anderem Preis anbieten zu können.


Unsere Erfahrung mit Möblierungsprojekten zeigt, dass Budget- und Designvorgaben meist nur durch eine gezielte Suche nach Alternativprodukten zum Ersatz oder Optimierung einer Spezifikation der Innenarchitekten und einem starken Fokus auf die Entwicklung von Lösungen für die Umsetzung der Designvisionen erreichbar sind. Der Beschaffungsprozess – ungeachtet vom ausgewählten Beschaffungspartner - endet mit der Beauftragung eines Pakets bei einem Möbelhändler / direkt bei einer Marke – einem Hersteller / einem General-Ausstatter oder einem General-Unternehmer.






Realisierung

Für die Realisierung des Projekts sind noch unzählige Schritte notwendig: Massanfertigungen müssen geplant, bemustert und zur Serienproduktion freigegeben werden. Produkte ab Stange gehen sofort in den Produktionsprozess. Masse für Vorhänge müssen vor Ort aufgenommen und die Vorhänge in Produktion gegeben werden. Dies alles, damit das Hotelprodukt zu gegebener Zeit ausgestattet und dem Käufer geliefert werden kann.


Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Waren in der Schweiz hergestellt werden. Meistens kommen über 80% der Ausstattungswaren aus dem Ausland und werden über tausende Kilometer in die Schweiz transportiert und importiert. Die Waren werden anlässlich der Zwischenlagerung nach Terminprogramm und Baufortschritt für die Lieferetappen gerüstet und zur Auslieferung vorbereitet.


Obschon die Ausstattung jeweils planmässig nach der Vollendung der Bauarbeiten erfolgt, zeigt die Realität - aufgrund Verzögerung der Bauarbeiten – dass die Ausstattung meist parallel zu den Abschlussarbeiten erfolgt. Die Logistikpartner sind gefordert, die Ausstattungen zu vertragen, auszupacken, zu montieren, zu platzieren und das Verpackungsmaterial wieder aus dem Objekt abzuführen? zu entsorgen. Überdies muss das richtige Produkt mit der richtigen Farbe am richtigen Ort platziert sein – und dies - ohne jegliche Schäden am Raum bzw. der Ware zu hinterlassen.


Fazit


Hotelprojekte in die Realität umzusetzen, bedeutet für die Ausstattung ein ganzes Stück Arbeit.


Ein neues Hotelprodukt wie der Märthof in Basel verschlingt nicht weniger als 1'800 Mannstunden um die insgesamt 2'200 Positionen (Möbel, Vorhänge, Teppich, etc.) zur Übergabe an den Kunden bereitzustellen. Dies entspricht rund 1:30h Arbeit pro Position, um sicherzustellen, dass das Produkt in der gewünschten Qualität und dem gesuchten Interieur den Gästen präsentiert werden kann.


Dieser Einblick in die Möbelstrasse zum Hotel ermöglicht es hoffentlich, auch aus Gästesicht einen etwas differenzierteren Blick auf das Interieur zu werfen.



PRAXISBEISPIEL Boutique-Hotel Märthof, Basel


Coop Immobilien und der Betreiber Bâle Hotels eröffneten Ende Juli 2021 das Boutique-Hotel Märthof am Marktplatz in Basel.


Blick hinter die Kulissen: Keine zwei Zimmer sind identisch, geschuldet der historischen Struktur und dem Design, welches 68 Zimmer in 3 Farbschemen vorsah. Insgesamt wurden rund 2'200 Positionen an Vorhängen, dekorativen Kissen, Kunst, Möbel, Betten, Auflageteppichen ins Hotel eingebracht. Über 70 Hersteller und Marken weltweit waren allein für die Ausstattung im Prozess involviert. Der logistische Prozess wurde über ein zentrales Zwischenlager und eine Abwicklung pro Etage sichergestellt. Entstanden ist ein Schmuckstück mit hohem Wiedererkennungswert.


Für das Design des Hotels zeichnet sich Iria Degen Interiors verantwortlich, das Bohemia Restaurant & Bar ist aus der Feder von Nader Interior. Beschaffung des Mobiliars durch D&D Hospitality Projects GmbH, Abwicklung als Generalausstatter durch Gastruum GmbH.


Fotograf: René Dürr

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