«Unsere hastige Gesellschaft will unterschiedlichste Dinge und Genuss gleichzeitig»

«Joy» ist das Zauberwort, das Selecta seinen Kunden bieten will. Dazu ist bei Selecta ein Umbruch im Gang, der das Unternehmen zukunftsfähig macht, erklärt CEO Christian Schmitz. Die Produkte ­entsprechen dem schnellen Zeitgeist. Sie sollen jederzeit die unterschiedlichen Bedürfnisse und Rhythmen der Menschen bedienen können. Potenziale für das Unternehmen sieht er bei 2- und 3-Sterne-Hotels. Düster sieht es aus für die Minibar. Er hat eine Alternative parat.



Mit Selecta verbinden viele Leute Automaten, die irgendwo und überall stehen und Süssigkeiten oder Getränke anbieten. Ist das Selecta?

Christian Schmitz: Ja, das war und ist Selecta. Unser Kerngeschäft ist tatsächlich der Premium-Kaffee und die Snacks aus Automaten. Mit unseren rund 400 000 Installationen erzielen wir in 16 Ländern einen Umsatz von rund 1,4 Milliarden Euro, davon gut 15 Prozent in der Schweiz. Auch wenn wir in allen Ländern, in denen wir präsent sind, die erste oder zweite Marktposition innehaben, befindet sich unser Unternehmen in einem grossen Umbruch.


Wohin geht die Reise?

In Richtung Essen, vielfältige Verpflegung, frische Gerichte und Produkte.


Und dabei will Selecta nicht nur Produkte bieten, sondern «Moments of Joy». Beispielsweise den besten Kaffee des Tages – jenen am Morgen auf dem Weg zur Arbeit oder bei der Arbeit. Selecta will der Freude-Lieferant sein? Aber können ­Automaten tatsächlich Freude und Genuss bringen?

Genuss hat viele Dimensionen, der Cappuccino zwischendurch oder ein schönes Abendessen. Heute bekommt man beinahe ein schlechtes Gewissen, wenn man Chips oder Schokolade isst. Ist nicht alles gesund, muss man sich fast entschuldigen. Selecta ist nicht für den Genuss zuständig, sondern nur für bestimmte Momente – und die bestimmen unsere Kunden. Wir haben täglich 10 Millionen Kunden, da braucht es eine grosse Menge von Lösungen, von Genüssen: Gesund, frisch, süss, salzig – wir wollen die ganze Bandbreite anbieten.

Selecta-Systeme liefern schnell Snacks oder Getränke. Ist «schnell» der Zeitgeist beim Essen und Trinken, dem sie Rechnung tragen?

Wir wollen Angebote für unterschiedliche Bedürfnis­se und Rhythmen der Menschen bieten, und zwar je­der­zeit. Diese ändern im Tagesablauf. Das kenne ich vor allem am Morgen, da bleibt wenig Zeit, denn da be­stim­men unsere vier- und sechsjährigen Kinder den Rhythmus. Die Bedürfnisse ändern sich aber auch unter der Woche und am Wochenende. Da bietet unser Geschäftsmodell mit unseren unbemannten Systemen gute Lösungen.

Aber wo bleibt der Genuss?

Ein Produkt schnell anzubieten, heisst nicht, dass es mit Höchstgeschwindigkeit konsumiert werden muss. Bei einem guten Produkt, wie beispielsweise einem Premium-Kaffee, bleibt Genuss immer möglich. Entscheidend sind hochwertige Produkte. Ob man Zeit dafür hat, ist eine andere Frage. Wir leben in einer ­hastigen Gesellschaft, die unterschiedlichste Dinge und Genuss gleichzeitig will.

Ein neuer Trend in den Angeboten von Selecta sind frische Produkte. Wie passen Sie das ­Sortiment der sich ändernden Nachfrage an?

Für uns gibt es zwei zentrale Fragen: Was sind die Trends? Welches sind die grossen Märkte für diese Trends? Die Distribution und den technischen Service, das können wir. Deshalb beobachten wir sehr genau, wie sich die Verpflegungs- und Catering-Landschaft bewegt. Da stellen wir unter anderem fest, dass die Kantine seit Corona gefährdet ist. Die Leute sind weniger im Büro. Der Montag wurde zum Übergangstag. Am Freitag sind viele Büros leer. Die Leute wollen flexibel und nicht unbedingt zwischen 11.30 und 13.30 Uhr essen. Solche Beobachtungen und neue Technologien bringen wir zusammen.


Können Sie ein konkretes neues Angebot nennen, das diese Trends und neue Techno­logien zusammenbringt?

Den «Smart Fridge», den intelligenten Kühlschrank. Da können Sie ein frisches Produkt rausholen und sich umentscheiden, das Produkt wieder reinstellen und etwas anderes wählen. Das ist problemlos möglich; Sie brauchen einzig eine Kreditkarte oder eine App. Wir setzen den «Smart Fridge» in ganz Europa in 150 Amazon-Zentren, an vielen Flughäfen, in Spitälern und bereits in einigen Hotels ein.

Wie verhält es sich dabei mit dem Schutz der ­Kundendaten beziehungsweise mit der Daten­bewirtschaftung durch Selecta? Mir scheint, diese wird im Foodbereich immer wichtiger.

Ich bin ein militanter Datenschützer. Wir arbeiten auch in diesem Feld sehr sauber. Alle Selecta-Daten sind anonymisierte Transaktionsdaten, ohne jegliche Verknüpfung zwischen gewähltem Produkt und ­Zahlung. Das ist für mich auch persönlich sehr wichtig. So läuft bei uns aktuell ein «Shop & Go»-Projekt in Belgien ganz ohne Personal. Da gibt es keine Kameras, sondern nur Sensorik. Wenn ein Kunde den Store betritt, so erscheint er nur als wandelnder Punkt. Der Check-out erfolgt über eine Schranke und die Warenbezüge werden direkt über die Kreditkarte abgerechnet.

Kehren wir nochmals zurück zu Ihrer Markt­beobachtung. Wie erkennen Sie die Trends und Veränderungen im Kaufverhalten Ihren Kunden?

Selbstverständlich werten wir die Käufe in unseren Automaten aus. Wir haben viel in die Digitalisierung, in das intelligente Innere, investiert. Heute sind wir in der Lage, für jeden Standort sehr schnell zu sehen und auszuwerten, was wann verkauft worden ist. Zudem sind unsere rund 7000 Mitarbeitenden, die ­tagtäglich die Automaten befüllen, sehr gute Marktforscher. Ihre Hinweise bringen die meisten Inputs, von denen viele mit unserem Technologie-Team um­­gesetzt werden. Und klar, wir führen auch regelmässig Umfragen bei unseren Kunden durch. Selecta hat einen echten Innovationssprung gemacht, obwohl wir in den letzten zehn Jahren bereits Marktführer waren. Wir erfinden das Unternehmen neu.


Neu erfunden? Wie?

Wir gehen weg von einer Kultur, die sich in erster Linie an Wachstum und Finanzzahlen orientiert. Wir wollen unseren Kunden «Joy», Freude, bringen. Das ist andersrum gedacht. Gelingt es, so stimmen auch die Zahlen. Wir wollen aussergewöhnliche Zufriedenheit, das ist unser Ziel. Auf einer Skala von 1 bis 10 ­wollen wir eine 9 oder eine 10 erreichen. 7 oder 8 sind neutral und bringen nichts und bis 7 ist ein Minus. Wöchentlich führen wird dazu mit unseren Kunden rund 500 ­Telefonate. Wer unsere Leistung tiefer als 7 bewertet, wird innerhalb von 48 Stunden kontaktiert. Bring joy to the people, davon bin ich besessen. Und ja, das war ein kultureller Schock für Selecta.

Woher haben Sie diese Spitzensportler-Haltung?

Bereits als Kind hat mir das Gewinnen am meisten Freude gemacht. Wenn ich bei Monopoly nicht ge­­wann, war der Sonntag gelaufen. Zudem prägte mich mein Aufenthalt in den USA. Dort haben sie einen anderen Fokus auf das Thema Service und darauf, wie man auf Wünsche der Kunden eingeht. Es ist ­wichtig, die bestehenden Kunden zu halten – und zwar 99 Prozent. Dann machen wir vieles richtig. Sind es nur 95 Prozent, so sehe ich das kritisch. Dabei bilden die Faktoren «Joy» an erster Stelle, kombiniert mit den Finanzzahlen die gute Formel.


Lassen Sie uns abschliessend noch auf Hotels zu sprechen kommen. Sie erwähnten, dass sie bei der Entwicklung neuer Angebote und Produkte von Selecta eine wichtige Rolle spielen.

Hotels im 2- und 3-Sterne-Business, die ihr Geschäftsmodell bereits stark optimiert haben, bieten für uns weiteres Potenzial. Ich denke an die ungewisse Zu­­kunft der Minibar, die durch den «Smart Fridge», inklusive dem kühlen Bier, ersetzt werden könnte. Oder Experimente mit kleinen Food-Markets in der Lobby. Solche neuen Ideen begeistern mich.

Sie sprühen vor Energie, bringen viele Ideen und viel Bewegung in das Traditionsunter­nehmen. Gab es eigentlich nie Widerstand? Nie Fragezeichen?

Kritische Stimmen gibt es. Klar. Aber die alte Selecta funktioniert nicht mehr, sie wäre nicht zukunftsfähig. Wir kreieren ein Momentum und hören unseren ­Kunden zu. Mit exzellentem Service zu jeder Zeit ­wollen wir ein integriertes Unternehmen bauen, das Produkte anbietet, deren Geschmäcker vor Ort typisch und verschieden bleiben. Das ist meine Ambition.




Zurück zu den Artikeln