Die Zukunft liegt (nicht) in den Sternen

Der Weg zu den Sternen führt durch das Raue oder das Schwierige oder die Mühsal. So ungefähr lässt sich die lateinische Redewendung «per aspera ad astra» übersetzen. Auf jeden Fall sind die Sterne in diesen schwierigen Zeiten der Zeitenwende hoch im Kurs, nicht nur in der Astrologie. Vielmehr in der Spitzen-Hotellerie und Gastronomie, wenn die «Zukunft» diskutiert wird. Es ist die Rede von Revolutionen und Provokationen.



Provokation: Null-Stern-Hotel

Im Null-Stern-Hotel können dieses Sommer wieder Suiten gebucht werden. Im verschlafenen Saillon, im französischsprachigen Wallis, werden vier Freiluft-Suiten «unter Millionen von Himmelssternen auf einem Fünf-Sterne-Luxusbett» (Bico-Matratze) angeboten. Die Nacht zu 295 Franken, inklusive Butler, der das Frühstück ans Bett serviert. Drei Suiten sind in Weinbergen gelegen, die vierte, die «Anti-Idylle-Suite», steht direkt an einer Strasse neben einer Tankstelle. Klar, hier geht es nicht um «ä tüüfä gsundä Schlaaf».

Mit ihrer Marke «Null Stern Hotel» geht es den St. Galler Aktionskünstlern und Zwillingsbrüdern Frank und Patrik Riklin um einen «Weckruf». Die Gäste sollen «nachdenken über die aktuelle Weltlage, über gesellschaftliche Veränderungen und auch das eigene Handeln hinterfragen». Es geht den Riklin-Brüdern um eine «Antithese zur Luxushotellerie», wie der «Bund» schreibt (4.6.2022). Die Landschaft der Schweiz werde «zur Tapete der Zimmer». Man wolle den Gästen Raum ­bieten, «um über Grenzen und Normen von Luxus und Standards der Hotellerie nachzudenken».


GaultMillau: Keine Schulnoten für Köche

Nicht um Sterne, sondern um ein «starres Punkte­system nach dem Vorbild von französischen Schul­noten» geht es bei der Bewertung von Köchen im GaultMillau. Dabei ereignete sich, hierzulande kaum bemerkt, beim GaultMillau Deutschland eine «Re­­volution», wie die FAZ am längsten, hellsten Tag (21.6.2022) schreibt. Was ist geschehen: GaultMillau «wagt das Undenkbare» und schafft die Punkte (11–20 Punkte) ab.

Der GaultMillau-Chefredaktor begründet den Entscheid einleuchtend: «Köchinnen und Köche seien Könner und viele von ihnen auch Künstler, die er nicht mehr wie Schüler behandelt und bewerten wolle. Bei der Punktevergabe habe er sich oft gefühlt, als müsse er darüber urteilen, ob Monet oder Goethe der bessere Künstler sei, und das sei absurd.» Neu vergibt der Restaurantführer für die tausend besten Köche Deutschlands nur noch Hauben. Eine Haube steht für ein «sehr empfehlenswertes Haus», fünf Hauben bekommen die «weltbesten Restaurants».

Luxus hat Zukunft, wenn …

Es stellt sich die Frage, welche Zukunft Luxus hat. Für die Hotellerie sieht Erwan Rambourg in seinem neuen Buch «Die Zukunft des Luxus. Neue Kunden, neue Werte – eine Branche vor Veränderungen» gute Per­spektiven: «Wohlhabende Verbraucher werden Boutique-Hotel gegenüber Hotelketten bevorzugen. Letztere bieten zwar den Anreiz der Treueprogramme, aber sie werden unter dem Gefühl des ‹Copy and paste› sowie unter ihrer mangelnden Authentizität leiden.»


Rambourg war viele Jahre Manager in der Luxus­güter-Industrie (LVMH, Richemont). Als Managing Director HSBC-Bank ist er heute für die weltweite Forschung zu Konsumenthemen (Head of Consumer & Retail Equity) verantwortlich, schreibt regelmässig für das Wall Street Journal oder die Financial Times. Er erwartet weltweit weiterhin ein beachtliches Wachstum (steigende Kaufkraft der Frauen, anhaltendes Ansteigen des chinesischen Konsums) für die Luxussegmen­te bei den Konsumgütern aller Branchen. Allerdings verlangt er Veränderungen, welche die Produzenten von Luxusgütern erfüllen müssten, um Erfolg zu haben. Die Marken müssten «Substanz entwickeln» und die Themen wie «Vielfalt, Nachhaltigkeit und ethischen Produktion ernst nehmen».


Ratloser Tourismus

Harry Gatterer, Geschäftsführer des Zukunftsin­stituts (Frankfurt am Main, Wien), ist eine andere grosse Nummer in der Zukunftsforschung. In der htr hotelrevue vom 9.5.2022 blickte er in die Tourismus-Glaskugel. Derzeit sieht er in der Tourismus­branche eine «Ratlosigkeit», erachtet diese jedoch als «normal». Dennoch, was ist zu tun? Die komplexen Probleme würden «objektives und unemotionales Handeln» erfordern. Lösungen würden am besten ­ge­­funden, wenn man «einen kühlen Kopf» bewahre. Es brauche Mut, die «Karten neu auszulegen», «Out-of-the-box-Denken und den Dialog». Vorbei sei die Zeit, als der Tourismus damit Erfolg hatte, «beim Gast künstliche Bedürfnisse zu erzeugen und ent­sprechende Angebote zu schaffen» – er nennt «Adventure und Wellness». Jetzt brauche es den «Resonanz-Tourismus».

Resonanz-Tourismus

Das sei nicht «Tourismus à la Zurück in die Zukunft». Die Wirklichkeit sei «nicht mehr nur in Holz ge­­schnitzt, sondern auch in Bits und Bytes». Damit ­Re­­sonanz in der Hotellerie gelinge, müsse sich der Gast nicht nur beim Gastgeber wohlfühlen. «Genau so wichtig ist es für den Gast, bei sich selbst emotional anzukommen.» Zugleich stellt Gatterer fest, dass eine Konstante im Tourismus, «der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit auch künftig bestehen bleiben, wenn nicht sogar wachsen» werde. Nur, wie erreicht man diese Zukunft?


Nicht in einem «Workshop, sondern in einem Prozess». Dabei müssten «wir von einem Verwalten des alten Zustands in das Gestalten des neuen Zustands übergehen». Kaum Chancen gibt er in solchen Prozessen dem Einzelnen. Eine Zukunftsentwicklung, die auf «in­­dividuellem Erfolg» basiert, sei «Geschichte». Grundlegend für den künftigen Erfolg sieht er die Kooperation mit «gleichwertigen, ideenreichen Partnern»: Konkurrenten, Lieferanten, Angestellten. Dann folgt noch eine Verheissung, die heute unvermeidliche Volte zum Metaversum. Da sei man nicht mehr gezwungen, an einen spezifischen (Ferien-) Ort reisen zu müssen. «Ein Hotel mit 50 Zimmern, aber 1000 Gästen, die von überall auf der Welt ein­checken – wäre das nicht grossartig?» Immerhin, ­Gatterer setzt ein Fragezeichen.


Was lernen wir aus den Zukunftsartikeln? Zum einen, Zukunft ist nicht etwas, das morgen oder übermorgen beginnt. Schon immer hat Zukunft in der Gegenwart, unter Einbezug des Vergangenen, angefangen. Zum andern, Prognosen bleiben äusserst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Eine Weisheit, die Mark Twain, Karl Valentin, Niels Bohr oder auch Winston Churchill zugeschrieben wird. In dieser erlauchten Gesellschaft steht Harry Gatterer und Erwan Rambourg die Ehre dieser Einsicht sicherlich auch zu.

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