Raphael Guggenbühl: kreativer Rebell in Kulinarik und Kunst

Aufgewachsen ist Raphael Guggenbühl im Zürcher Seefeld als Sohn eines Psychologen und einer Sozialarbeiterin. Zusammen mit seinem Bruder Alexander ist er in die Restaurant-Selbstständigkeit gestartet. Inzwischen sind seine besten Freunde ­Mitinhaber vom «Restaurant Rechberg 1837» in Zürich.

Zuallererst war da ein kleines handgeschriebenes Weinkeller-Büchlein, das sich «Weinkarte» nannte und von Raphael Allan Victor Guggenbühl vom Restaurant Rechberg 1837 in Zürich stammte. Er bewarb sich damit 2019 für den Winelist-Award des Weinmagazins Vinum. Einsenden konnte er es nicht, denn es existierte nur eine einzige Ausgabe davon.


Sonderpreis für Schatzkarte

Als Jurypräsident machte ich mir die Mühe, die «Weinkarte» dort selbst anzuschauen, um mir ein Urteil zu bilden. Jede Änderung wurde mit dem Gummi und Bleistift von Hand vorgenommen. Vinum hat die Weinkarte dann mit dem Ueli-Prager-Preis, dem Jury-Sonderpreis für die ungewöhnlichste, neuartigste Weinkarte der Gegenwart ausgezeichnet. Seine Weinkarte, die Schatzkarte, ist ein absolutes Unikat, das gleichzeitig als Kellerbuch fungiert und so manche Preziosen beherbergt. Dieses Kaleidoskop von Ge­­heim­tipps erfüllt damit genau die Massstäbe, die Ueli Prager mit seinem Aufbruch in die neue Welt vollbrachte und hier mit der Philosophie «Zurück zu den Wurzeln» umgesetzt wurde.


1837 ist Programm

Im Konzept Rechberg 1837 ist die Zahl im Namen ­Programm. Die Gerichte bestehen nur aus Zutaten, die im Jahr 1837 – als der «Rechbergs» erbaut wurde – in und um Zürich auf dem Markt erhältlich waren. Raphael Guggenbühl sagt dazu: «Wir wissen, wie unsere Produzenten arbeiten, und die Ursprünglichkeit der Produkte steht im Zentrum. Wer einmal ­gesehen hat, wie viel Arbeit und Liebe in einem einzelnen Rüebli oder Apfel stecken, geht ganz anders damit um.» Damit will er sagen, dass bei Lebensmitteln, die das ganze Jahr über erhältlich sind, das Bewusstsein für deren Ursprung leicht verloren geht. Aber auch alle Getränke und über 600 Weine, die er im avant­gardistischen Rechberg 1837 direkt von den Winzern bezieht, stammen ausschliesslich aus der Schweiz.

Hotels und Jazzclubs

Raphael Guggenbühls Werdegang ist geprägt von luxuriösen Hotels und alternativen Jazzclubs sowie Partys. Als er sich selbstständig machte, war die Idee, diese beiden Welten zusammenzubringen: Das ­soziale und ökologische Denken sowie der persönliche und tiefere Umgang mit den Kunden der alterna­tiveren Szene gemischt mit der hohen Qualität der Produkte und Dienstleistungen der 4- und 5-Sterne-Hotellerie. Dieses gemeinsame Verständnis hat die Freunde Raphael, Alexander, Carlos und Celine zu einer kleinen Familie zusammengeschweisst. «Das wünsche ich jedem Gastrobetrieb», sagt der junge Chef. Da ihnen Innovation sehr wichtig ist, haben sie eine soziale ­Firmenstruktur aufgebaut, bei der die Mitwirkenden viel Mitspracherecht haben. Raphael Guggenbühl ist stolz auf sein Team, das wie ein ­«fluides Uhrwerk» läuft.


Der Rechberg 1837 steht für gehobene Gastronomie mit Sterne-Qualität, aber ohne Sternen-Steife. Eine gute Stube für Freunde, in der das gälische Sprichwort ‹als Fremder kommst du, als Freund gehst du› gelebt wird. Vielleicht eine kleine Reminiszenz an Raphael Guggenbühls schottische Vorfahren aus Aberdeen. Weil sich sein Bruder stark für Musik interessiert, der eigene Werdegang gespickt ist von Jazz Clubs und Bars (u.­ a. Eden au Lac, Widder Bar und Bazillus) und sie nach ihrer Selbstständigkeit wenig Zeit für Konzertbesuche hatten, begannen sie, musikalische Abende zu gestalten. Kunst und Kulinarik, die Fusion der Künste. Das Resultat sind inzwischen 15 Gault­Millau-Punkte sowie ein grüner Michelin-Stern. Auch das zweite Lokal fängt gerade an zu laufen, das ­«Kultur Lokal Rank» im Zürcher Niederdorf, dort, wo früher der älteste, legendäre Kult-Stripclub der Schweiz «Calypso» zu Hause war.

Mit Credo in den Vorstand

Raphael Guggenbühl ist ein Rebell und eröffnete sein eigenes Restaurant nach dem Motto «No risk no fun, all in». Dazu kämpft er für eine nachhaltige Gastro­nomie – auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Ebene –, für eine, die neue Wege geht und trotzdem den Bezug zur Tradition nicht verliert. Wen verwundert es da noch, dass er kürzlich mit anderen dabei war, als es bei einer Kampfwahl zum Umsturz im Branchenverband kam und er in den Vorstand von «Gastro Stadt Zürich» gewählt wurde. «Als ich fünf Jahre alt war, sagte mir meine Mutter, dass Glück der Schlüssel zum Leben sei», erzählt er. «Ich liebe es, Gutes zu tun, selbstständig in Gastronomie und Kultur zu sein. Nicht sehr reich an Geld, aber mit Tatendrang, Wissen und Liebe zu meiner Umgebung», ist sein Credo. Mit Mut, jugendlicher Frische und Kon­sequenz setzt er seine Ideen um. Eine Konsequenz, die beeindruckt und auf die er und seine Freunde sehr stolz sein dürfen.


«Chopf abe und gnüsse»


Ein Gefühlsmensch, der immer 100 Prozent gibt, mit 30 Personen in die Ferien geht und süffigen Blauburgunder mit radikal denkenden Sommeliers trinkt. Das ist Raphael Guggenbühl – und noch viel, viel mehr.


Sind Sie ein Gefühls- oder ein Kopfmensch?

Ich würde mich eher als ein Gefühlsmenschen bezeichnen. Wenn sich etwas richtig anfühlt, muss es weiterverfolgt werden und lässt mich nicht mehr los.


Welchen Titel hätte Ihre Biografie?

«Chopf abe und gnüsse». Ich versuche bei allem, was ich mache, 100 Prozent zu geben und dabei mich selbst und authentisch zu bleiben.


Was ist das Beste an Ihrem Beruf?

Menschen glücklich zu machen, Emotionen weiter­zutragen und Beziehungen zu Menschen aufzubauen, die viel Liebe für ihr Produkt besitzen.


Welchen Geschmack verbinden Sie mit Ihrer Kindheit?

Karamellisierte Äpfel mit viel Butter.


Welcher Wein hat ursprünglich Ihre Liebe zum Wein geweckt?

Ein Zürichsee-Räuschling, den ich bei meinem Lehrantritt im Hotel Eden au Lac kennenlernen durfte.


Welchen Wein haben Sie immer vorrätig?

Einen süffigen Blauburgunder und einen gereiften Comp­leter sowie einen handgerüttelten Schaumwein.


Welche junge Winzerin beeindruckt Sie?

Die Winzerin Madlaina Erni aus dem Misox. Die Emotionen, der Tatendrang und ihre Leidenschaft für den Weinbau faszinieren mich.


Welche Weinpersönlichkeit hat Sie am meisten beeindruckt?

Vermutlich Chosy – Josef-Marie Chanton. Sein Wissen über die Schweizer Trauben, seine Ruhe und Gutmütigkeit haben mich stets mitgerissen.


Wie arbeiten Sie als Sommelier mit Winzern zusammen?

Für mich ist ein direkter Austausch entscheidend. Es ist mir wichtig zu wissen, wer und was hinter dem Produkt steht, was für Arbeitsweisen, welche Ideale und Zukunftsvisionen die Personen auf dem Weingut haben.


Was erwarten Sie von einem guten Sommelier?

Dass er nicht voreingenommen oder radikal denkt und nicht ausschliesslich seine Vorlieben oder Ge­­schmäcker verkauft, sondern das richtige Produkt im richtigen Moment für den Gast sucht.


Was ist Ihre letzte Weinentdeckung?

The Juice vom Domaine des Groubeaux, Les Cuvées Pompette. Ein süffiger, einfacher Sommerwein, der seine Ecken und Kanten hat, aber durchaus Spass macht.

Welcher war der beste Wein Ihres Lebens und wo haben Sie ihn getrunken?

Ich bin ein Fan von Completer, auch Zürirebe genannt. Ich habe einen alten Jahrgang von Giani Boner ge­­schenkt bekommen, dieser oder der etwas jüngere 1997, den mir Peter Keller mitgebracht hat, ist wohl mein Favorit.

In welchem Restaurant sind Sie immer wieder Gast?

Im F39 im Zürcher Seefeld. Privat geführt, keine ­falsche Coolness oder Abgehobenheit. Ehrliche Lei­den­schaft für das Kochen, lokale Produkte und sehr hohe Qualität, ohne sich anzupassen. Ehrlich und authentisch. Einfach grossartig.

Welcher Koch hat Sie am meisten beeindruckt?

Mein Jugendfreund und Geschäftspartner Carlos Navarro. Er hat eine unbremsbare Energie dafür, Neues zu probieren und sich weiterzuentwickeln, ohne dabei Mitbewerber zu kopieren.


Was fällt Ihnen an anderen Menschen als erstes auf?

In der Regel die Aura eines Menschen, ob er beispielsweise offen ist, etwas Neues kennenzulernen. Oder ob die Person einen schlechten Tag hat, sie kopflos geniessen will oder nicht offen ist, Risiken einzugehen.


Was ist der beste Rat, den Sie je erhalten haben?

Es gibt kein Richtig oder Falsch, Schwarz oder Weiss, die Welt ist grau und jeder hat seinen eigenen Rucksack mit Erlebnissen und Erfahrungen, die die Mo­­mente anders erleben lassen.


Was darf in Ihrem Kühlschrank niemals fehlen?

Eine Flasche Adank’s Brut und ein Stück Käse.


Welche Haushaltsarbeit machen Sie am liebsten?

Putzen, da sieht man das Ergebnis gleich und weiss, was man gemacht hat.


Für welche Eigenschaft bekommen Sie die ­meisten Komplimente?

Männer kriegen keine Komplimente.

Was war Ihr schönstes Ferienerlebnis?

Alle zwei Jahre gehen wir mit der Grossfamilie, mit mehr als 30 Personen, in die Ferien. Wir mieten ein abgelegenes Haus, wegen unseren Wurzeln in der Regel in Schottland. Die Ferien erden mich jeweils und lösen oft Knöpfe vom Alltag.

Auf welcher Website verbringen Sie online am meisten Zeit?

Privat ist es wohl SRF, NZZ, 9gag, Discord, Steam oder Reddit.

Gibt es etwas, das Sie unbedingt noch erleben wollen?

Neben meiner ruhigen, leicht introvertierten Art habe ich eine sehr aktive und abenteuerlustige Seite, die noch sehr viel vorhat.

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